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VIELFALT/166: Standpunkt - Biologische Vielfalt muß es uns wert sein (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2010

Standpunkt: Biologische Vielfalt - Sie muss es uns wert sein !

Von Josef Settele


Am 11. Januar 2010 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das Internationale Jahr der Biologischen Vielfalt offiziell eingeläutet. Sie stellte die Notwendigkeit, Arten, Ökosysteme und die darauf basierenden Dienstleistungen zu schützen, auf die gleiche Ebene wie den Klimaschutz. Das UFZ hat sich mit seiner breit angelegten Biodiversitätsforschung in den letzten Jahren international hohes Ansehen erworben. Kein Grund, sich zurückzulehnen.

Den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten ist untrennbar verbunden mit dem allgemein formulierten Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Was das konkret bedeutet, wird stets umstritten bleiben. Allerdings besteht Konsens, dass die menschliche Lebensweise, speziell in den entwickelten Ländern, die Hauptursache vieler Probleme ist. Doch dieser allgemein bekannte und akzeptierte Sachverhalt scheint keineswegs zu konkreten Konsequenzen zu führen. Da die Auswirkungen nicht-nachhaltiger Entwicklungen vor allem in ärmeren Ländern zuerst akut werden, können wir die Problematik leichter aus unserem Alltag verdrängen. Und da auch die Zukunft weit weg scheint, entsteht keine unmittelbare Betroffenheit.

Saubere wissenschaftliche Arbeit und Vermittlung

Ein Ausweg aus dieser Situation kann aus meiner Sicht nur darin bestehen, dass wir die aktuellen Sachverhalte konkret machen und mit belastbaren Daten belegen - also auch weiterhin saubere wissenschaftliche Arbeit leisten. Zudem müssen wir durch eine zunehmende Integration zwischen verschiedenen Methoden, Disziplinen und Traditionen an die Analyse der großen Komplexität von Biodiversität und Ökosystemen angemessen herangehen. Doch dürfen wir hier keinesfalls stehen bleiben. Entscheidend ist der nächste Schritt: Unsere Ergebnisse vermitteln. Zum einen über die Politikberatung an Entscheidungsträger, zum anderen an die breite Bevölkerung, denn vor allem über diese wird die Politik zum Handeln gezwungen.

Hierbei sind uns als Wissenschaftler die geeigneten Mittel und Wege oft suspekt, da diese mit gewissen Ungenauigkeiten, Pragmatismen und - im "allerschlimmsten" Fall - mit Emotionen verbunden sind. Von den alltäglichen ökonomischen Entwicklungen kann man lernen, dass emotionale Komponenten die mitunter spärlichen Fakten vollständig überlagern und Entscheidungen ganz wesentlich beeinflussen. Genauso könnte der Aufbau einer emotionalen Bindung zu Biodiversität und Ökosystemen aber auch wesentlich dazu beitragen, die fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse, Fakten und Zahlen erfahrbar zu machen.

Menschen mitnehmen - Zusammenhänge erfahrbar machen

Folglich muss es für alle, denen am Erhalt der Biodiversität gelegen ist, das Ziel sein, die Menschen mitzunehmen. Das kann durch sehr verschiedene Wege geschehen, z. B. durch Kooperationen mit Schulen, die Mitgestaltung von Lehrplänen (www.pronas.ufz.de), populäre Aufarbeitung der Ergebnisse in Büchern, Ausstellungen, Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und TV-Beiträgen oder gar Kinofilmen. Es können aber auch Freiwilligen-Netzwerke wie das Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD; www.tagfalter-monitoring.de) dabei helfen.

Die mehrjährige enge Kooperation des TMD mit Freiwilligen aus allen Bevölkerungsschichten zeigt, dass man über eine vertrauensvolle Zusammenarbeit (die hier zudem eine aktive Beteiligung an der Erhebung wissenschaftlicher Daten einschließt) für viele Menschen den Zugang zu aktuellen Fragen der Wissenschaft ebnen kann und sie wiederum zu Multiplikatoren in ihrem direkten Umfeld werden. So können die Menschen durch viele kleine Schritte für die Thematik Biodiversität sensibilisiert werden und Zugang zu anderen relevanten Aspekten der Umweltforschung (z. B. Wasser oder Schadstoffe) gewinnen. Wenn Zusammenhänge erfahrbar werden, fällt der Schritt leichter, eigene Verhaltensmuster zu ändern. Dann kann beispielsweise Verständnis für die Rolle der Landwirtschaft für den Verlust wie auch den Erhalt der Artenvielfalt dazu führen, sich beim Einkauf für nachhaltig erzeugte Produkte zu entscheiden.

Eine derartig direkte - nicht nur emotionale - Integration der Öffentlichkeit scheint mir vor allem beim Thema Biodiversität möglich. Die verstärkte Aufmerksamkeit von Medien und Politik im Internationalen Jahr der Biodiversität wird dabei helfen und hoffentlich dazu beitragen, dass wir die biologische Vielfalt auch nach 2010 noch wertschätzen!

Josef Settele ist promovierter Agrarwissenschaftler und habilitierter Ökologe. Er koordinierte im Team mit anderen Wissenschaftlern das größte EU-Projekt zur Biodiversitätsforschung: ALARM (www.alarmproject.net) und ist Leiter der Arbeitsgruppe Tierökologie im Department Biozönoseforschung. e-mail: josef.settele@ufz.de


Ecology of Butterflies in Europe

Das Buch liefert einen umfassenden und aktuellen Überblick über Tagfalter als Modellsystem. Die fünf Schwerpunkte widmen sich der Landnutzung, Populationsökologie und Genetik, Evolutionsökologie, dem Vorkommen sowie dem globalen Wandel und Schutz. Das Buch richtet sich insbesondere an Studenten, Wissenschaftler und Enthusiasten.
Edited by Josef Settele et al.; 513 Seiten, Paperback ca. 50 Euro, Hardback ca. 100 Euro; Cambridge University Press, ISBN-13: 9780521747592 (pb), ISBN-13: 9780521766975 (hb)


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2010, Seite 10
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010