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VERKEHR/649: Bürgerrechte abgeholzt - Fraport läßt den Kelsterbacher Wald roden (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

verkehr
Bürgerrechte abgeholzt
Fraport lässt den Kelsterbacher Wald roden

von Monika Lege


Seit dem 20. Januar lässt Fraport den Kelsterbacher Wald für den Ausbau des Frankfurter Flughafens roden. Zehn Hektar Wald fallen durchschnittlich an einem Tag. Für die Rodungsmaschinen macht es keinen Unterschied, ob sie sich durch eine Plantage oder einen "für das Gemeinwohl unersetzlichen" - so das hessische Forstrecht - "Bannwald" fressen. Fünf Tage zuvor hat das Verwaltungsgericht Kassel Eilanträge gegen die Rodung abgewiesen, am 18. Januar ergaben die hessischen Neuwahlen eine schwarz-gelbe Mehrheit.

Der Spitzenkandidat der FDP, Jörg-Uwe Hahn, ist Mitglied im Aufsichtsrat der Fraport und hatte vor einem Jahr eine Koalition mit der SPD kategorisch ausgeschlossen. Damit fingen die "hessischen Verhältnisse" an. Zwischen den Jahren hatte das Regierungspräsidium Darmstadt entschieden, Fraport "vordringliche Arbeiten" auf rund 90 genau ausgewiesenen Hektar im Kelsterbacher Wald durch eine "vorzeitige Besitzeinweisung" zu ermöglichen, obwohl dieser Wald noch der Stadt Kelsterbach gehört und diese gegen den Bau einer vierten Landebahn auf Kosten von 250 Hektar Wald klagt.

Im Dezember wurde ein Schreiben der Fraport an das Regierungspräsidium Darmstadt bekannt, in dem das Unternehmen nachdrücklich fordert, die beantragte Besitzeinweisung mit Wirkung vom 12. Januar 2009 zu erteilen, um "entsprechend der Absprache mit dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unmittelbar ab Zustellung der Eilbeschlüsse" mit der Rodung beginnen zu können. Aufgrund dieser "Absprachen" erfolgte Befangenheitsanträge gegen die Kassler Verwaltungsrichter wurden abgelehnt.

Einen Tag nach Beginn der Rodung präsentieren der Kelsterbacher Bürgermeister Manfred Ockel, SPD, und der Fraport-Vizechef Stefan Schulte ein "Eckpunkte-Papier": Die Stadt verkauft ihren Wald und weitere Flächen an Fraport und zieht ihre Klagen gegen den Flughafenausbau zurück. Dafür verspricht Fraport der Stadt ein "Paket mit einem Finanzvolumen von über 30 Millionen Euro". Die Hälfte davon ist für den Lärmschutz (den Fraport sowieso zahlen muss), ein Bach wird renaturiert, es gibt ein paar Praktikumsplätze, Kooperationen mit Schulen und Kindergärten, "politische Landschaftspflege". Der Bürgermeister von Kelsterbach ist gelernter Landschaftsgärtner und seit 1998 Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH Regionalpark RheinMain, die sich höflich bei ihrem Hauptsponsor Fraport bedankt.

Nun erfordert auch in der 14.000-Einwohner-Stadt Kelsterbach eine so weit reichende Entscheidung wie der Verkauf mehrerer hundert Hektar Grund und der Verzicht auf Prozessrechte die Zustimmung der kommunalen VertreterInnen. Dass diese bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 9. Februar erfolgt, haben Magistrat und Fraport fest eingeplant. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit scheinen alle Absprachen längst getroffen, denn Fraport rodet in Vorwegnahme der Entscheidung seit dem 20. Januar auf der gesamten für den Ausbau begehrten Fläche statt nur auf den oben genannten vorzeitig Besitz eingewiesenen 90 Hektar. Zwei Wochen unklarer Besitzverhältnisse kosten beim beobachteten Rodungstempo 100 Hektar Wald. Fraports Wissen um die Zukunft reicht noch weiter: Erst im Juni wird das Verwaltungsgericht Kassel das Hauptsacheverfahren über 260 Klagen von Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und dem Naturschutzverband BUND gegen die Rodung und den Ausbau eröffnen. Bis dahin hat Fraport die Fakten bereits unumkehrbar in Beton gegossen. Das Wald existiert nicht mehr, das Gericht wird den Tatsachen hinterher eilen müssen.

Im Wald steht das Dorf der WaldbesetzerInnen. Seit dem 20. Januar ist es eingezäunt, auf Veranlassung der Fraport, ausgeführt von einem privaten Sicherheitsdienst, rund um die Uhr bewacht von der Polizei. AusbaugegnerInnen und PressevertreterInnen erhalten reihenweise Platzverweise. Fraport droht Klagen wegen Hausfriedensbruch an. Die Polizei gibt Daten von AusbaugegnerInnen an die Rechtsabteilung der Fraport weiter. Nach einer hanebüchenen Rechtsauffassung ist der Wald eine Baustelle, die Baustelle gehört zum Flughafen, der Flughafen gehört Fraport, also hat Fraport das Hausrecht. De facto gibt es zu diesem Zeitpunkt eine "vorläufige Besitzeinweisung" für einen kleineren Teil des Waldes und ein Eckpunktepapier mit einem Vertreter der Stadt als Eigentümerin des Waldes. In ein paar Jahren werden Gerichte wahrscheinlich feststellen, dass diese Rechtsauffassung unhaltbar ist. Das macht aber nichts, denn heute ist sie für eine Kahlschlag-Politik ausgesprochen nützlich.

Der Saal, in der die Stadtverordnetenversammlung über den Verkauf des Waldes an Fraport entscheiden wird, ist unmittelbar vorher von einer anderen Veranstaltung belegt: Fasching der Fraport-Senioren.

Monika Lege, Redebeitrag von ROBIN WOOD auf der Demonstration "Kelsterbach steht auf!" am 31. Januar

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Obwohl die Besitzverhältnisse noch unklar sind, lässt Fraport den Wald schon mal roden
- Jeden Tag fallen 10 Hektar Wald für den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Die Menschen protestieren gegen die gigantische Naturzerstörung und gegen die Belastungen für Klima, Umwelt und Gesundheit in der Region
Fotos: Thomas Piper


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Seit dem 28. Mai leben UmweltschützerInnen im besetzten Dorf im Kelsterbacher Stadtwald. Auch ein ROBIN WOODBaumhaus ist in den Wipfeln. Am 20. Januar ließ Fraport das Walddorf einzäunen. Seitdem kontrolliert die Polizei die Menschen im Wald rund um die Uhr mit großem technischem und personellem Aufwand.
Dezember: Vor dem Regierungspräsidium Darmstadt performen Straßentheater- SpielerInnen die hinter verschlossenen Türen verhandelte Rodung.
14. Dezember: Bei einem Waldspaziergang werden zahllose Bäume als unentbehrlich markiert und Thermokissen für den winterlichen Widerstand im Wald verteilt.
18. Januar: Auf Stelzen und mit Sambatrommeln demonstrieren ROBIN WOODlerInnen am Tag der Hessenwahl vor dem Landtag in Wiesbaden. Ihr Motto: "Partei ergreifen für Wald und Klima. Flughafenausbau durchkreuzen."
21. Januar: Wegen der Besetzung von zwei Verlademaschinen werden die Rodungsarbeiten für drei Stunden unterbrochen.
23. Januar: Die Besetzung einer Rodungsmaschine unterbricht für zwei Stunden deren Einsatz.
24. Januar: Mehr als tausend Menschen besuchen das Camp im Kelsterbach Wald.
28. Januar: Auf der Frankfurter Zeil erklimmen UmweltschützerInnen Bäume und hängen Transparente gegen den Kahlschlag in Kelsterbach auf.
31. Januar: Zwei AktivistInnen werden von einer Buche auf der Rodungsfläche geräumt. Vor dem Kelsterbacher Rathaus demonstrieren hunderte BürgerInnen gegen den Verkauf des Waldes an Fraport ...


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 100/1.09, S. 14-16
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009