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VERKEHR/978: Aufpassen auf den Luchs! A44 unwirtschaftlich, teuer, gefährlich (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 120/1.2014

Aufpassen auf den Luchs!
Die schwarz-grüne Autobahn A44 ist unwirtschaftlich, teuer, gefährlich

Von Klaus Schotte und Monika Lege



Eine Luchsin mit drei Jungen tappte Ende August in eine Fotofalle im Kaufunger Wald im nordhessischen Bergland. Die größte europäische Wildkatze ist eine Einzelgängerin und braucht große Wälder, um sich bei uns wieder anzusiedeln. Der Kaufunger Wald im Werra-Meißner-Kreis gehört zu den wenigen Regionen, in denen Nachwuchs beobachtet wurde. Durch dieses Gebiet soll die Autobahn 44 von Kassel nach Wommen gebaut werden. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Hessen bringt leider auch hier keine Politikwende. Lapidar heißt es: "Die Koalitionspartner stellen fest, dass ungeachtet ihrer unterschiedlichen Positionen zum Ausbau der A44 das Projekt weit fortgeschritten ist."

Daran ist nicht nur falsch, dass es sich keinesfalls um einen Ausbau, sondern einen 64 Kilometer langen Neubau handelt. Viel wichtiger: Von diesen 64 Kilometern sind nur 4,3 Kilometer fertig, und zwar genau in der Mitte zwischen den Autobahnen 7 bei Kassel und 4 bei Eisenach, die durch den Neubau verbunden werden sollen. Westlich und östlich davon ist jeweils ein weiteres Stück von fünf bzw. sechs Kilometern Länge im Bau. Also: Nur auf 15 von 64 Kilometern wurde bereits zerstörerisch in die Landschaft eingriffen. Es wurde deshalb in der Mitte angefangen zu bauen, um den Druck des Faktischen zu erzeugen: Je länger das Stück Autobahn in der Mitte, desto mehr Durchgangsverkehr, Lärm und Dreck für die AnwohnerInnen der anschließenden Bundesstraßen.

Die A44 soll die existierende Bundesstraßen entlasten. Aber dort ist der Verkehr rückläufig. Das Verkehrsaufkommen liegt unter dem Bundesschnitt und beträgt nur einen Bruchteil des durchschnittlichen Verkehrsaufkommens auf deutschen Autobahnen. Beim Landesstraßenbau soll in Hessen in Zukunft der Grundsatz "Erhalt vor Neubau" gelten. Warum nicht auch beim Fernstraßenbau? Mit derzeit 1,8 Milliarden Euro, mit 28.125 Euro pro Meter, ist die A44 das teuerste deutsche Autobahnprojekt.

Fakten für die weitere verkehrspolitische Debatte

Die A44 steht für eine verfehlte Verkehrspolitik, die einseitig auf Straßenbau setzt. Die folgende Zusammenfassung stützt sich auf verschiedene aktuelle Auswertungen der offiziellen Planung. Damit diese Fakten in den weiteren Debatten um eine zukunftsfähige Mobilität nicht vergessen werden. Außerdem: Fünfzig Kilometer, darunter der Abschnitt Kaufungen, sind noch nicht gebaut - noch kann also korrigiert werden.

Im Bundesgebiet und im Planungsraum wird es bis 2030 zu einem erheblichen Bevölkerungsrückgang kommen, das bedeutet weniger Autoverkehr. Rund um Sontra werden Einwohnerrückgänge um bis zu achtzehn Prozent stattfinden. Auf der B400 im östlichen Teil der geplanten A44 fahren derzeit gerade noch 3.300 bis 4.300 Autos und Lastwagen am Tag. Eine angebliche Entlastung der Ortschaften durch den Bau einer Autobahn ist angesichts dieser Verkehrszahlen absurd. Auch für die A4 ist seit 2005 eine deutlich rückläufige Verkehrstendenz einschließlich des Schwerverkehrsaufkommens nachweisbar. Schließlich sind selbst die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums für die Entwicklung der Fernverkehre deutlich rückläufig (2015: 17.000; 2025: 13.600 Kfz/24h). Es gibt also keinen relevanten Verkehrsbedarf für eine Autobahnplanung.

Nur ca. 40 Kilometer nördlich verläuft bereits die Autobahn 38 Kassel/Göttingen - Nordhausen/Halle als West-Ost-Verbindung und wird Verkehr von der A44 abziehen. Transeuropäische und nationale Ziele begründen nicht die Planung durch den ökologisch hoch sensiblen Sontra-Korridor. Andere Trassen oder der Ausbau bereits vorhandener Bundesstraßen zu Ortsumfahrungen sind möglich. Für die weitere Erschließung der als strukturschwach bezeichneten nordhessischen Region und die Entlastung der Ortsdurchfahrten ist keine Autobahn erforderlich. Die Planung hat die erhebliche Beeinträchtigung des Fauna-Flora-Habitat-Gebiets "Werra- und Wehretal" festgestellt. Weitere Naturschutzgebiete in den östlichen Abschnitten sind betroffen.

Selbst die offizielle Planung gelangt nur zu geringen Belastungszahlen unterhalb von 20.000 Kraftfahrzeugen am Tag. Sogar der kleinste Autobahnquerschnitt ist zu weniger als einem Drittel ausgelastet. Eine dreistreifige Bundesstraße würde reichen. Das einzige bislang für den Verkehr freigegebene Teilstück der A44 bei Hessisch Lichtenau wird gerade einmal von 6.700 Kraftfahrzeugen am Tag befahren. Die Autobahn ist überflüssig. Der Nutzen-Kosten-Faktor des Gesamtprojekts A44 verschlechtert sich seit der Bedarfsentscheidung des Gesetzgebers vor zwanzig Jahren deutlich, während die Baukosten von 160 Millionen auf mindestens 1,8 Milliarden Euro gestiegen sind. Jetzt schon sind weitere Kostensteigerungen von etwa 135 Millionen Euro absehbar, da bei der geplanten Lage eines Tunnels geotechnische Besonderheiten nicht berücksichtigt wurden.

Die A44 zerstört ökologisch wertvolle Landschaften, vor allem Wälder. Doch sie wäre noch dazu gefährlich für die, die auf ihr fahren: Die Planung sieht eine Vielzahl von zum Teil sehr engen Kurven vor, zahlreiche Tunnel und ungewöhnliche Querneigungen. Die Autobahn würde in weiten Bereichen nur mit einer zulässigen Geschwindigkeit von achtzig Stundenkilometern befahren werden dürften. Auf der parallelen Bundesstraße 27 darf Tempo Hundert gefahren werden.


Klaus Schotte, ROBIN WOOD-Mitglied und Sprecher der Aktionsgemeinschaft Verkehr Nordhessen (AVN), Monika Lege, ROBIN WOOD-Verkehrsreferentin
verkehr@robinwood.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Im Kaufunger Wald wurde jetzt seltener Luchs-Nachwuchs gesichtet. Durch dieses Gebiet soll die Autobahn 44 gebaut werden
- Der Neubau der A44 wird sieben europäische Schutzgebiete zerschneiden

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 120/1.2014, Seite 36 - 37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014