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ATOM/1165: Der Erdbeben-Schutz von Atomkraftwerken ist fehlerhaft (IPPNW)


IPPNW - Berlin, den 22. März 2011

"Der Erdbeben-Schutz von Atomkraftwerken ist grundsätzlich fehlerhaft"

Experte Görgens: Schon schwächere Erdbeben und kleine Flugzeuge stellen eine erhebliche Gefahr dar / Nachrüstungen dringend erforderlich


Der deutsche Konstrukteur und Spezialist für erdbebensichere Stützsysteme Erich Görgens ist der Auffassung, dass es in Deutschland wie auch weltweit kein Atomkraftwerk gibt, das zuverlässig gegen Erdbeben, Flugzeugabstürze oder Terrorangriffe geschützt wäre. Selbst relativ schwache Erdbeben und der Absturz kleinerer Flugzeuge könnten aufgrund ungeeigneter Stützsysteme zu gefährlichen Schwingungen und relativen Verschiebungen führen, was eine Zerstörung der Kühlsysteme zur Folge haben könnte. Der Fachmann, der an der Planung und Errichtung der meisten deutschen Atomkraftwerke beteiligt war, sieht in allen Atomkraftwerken dringlichen Nachrüstungsbedarf. Selbst beim Atomkraftwerkshersteller Siemens/KWU habe man das Problem Anfang der 1980er Jahre diskutiert, ohne dass dies aber damals zur Verbesserung der Technik geführt habe. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW fordert die Atombehörden in Bund und Ländern dazu auf, die deutschen Atomkraftwerke wegen der Gefährdung selbst durch schwächere Erdbeben und kleine Flugzeuge vom Netz zu nehmen.

Görgens widerspricht der Auffassung, dass die Kühlsysteme im japanischen Katastrophenmeiler Fukushima durch die Stärke des Erdbebens zerstört wurden. "Ich vermute vielmehr, dass es die besondere Charakteristik des Erdbebens war", so Görgens, der weltweit mit führenden Erdbeben-Spezialisten zusammengearbeitet hat.

Die herkömmlichen Befestigungskonzepte etwa für Rohrleitungen und Kühlwasserpumpen in Atomkraftwerken ständen sich bezüglich den Anforderungen zum Schutz vor Erdbeben und vor Flugzeugabstürzen diametral entgegen. Görgens: "Zum Schutz der durch Erdbeben ausgelösten mittelfrequenten Schwingungen setzt man auf starre Stützsysteme, die aber eine Gefahr bei Flugzeugabstürzen darstellen. Hochfrequente Schwingungen, wie sie schon beim Aufprall kleiner Flugzeuge auf ein Reaktorgebäude entstehen, erfordern hingegen eine sehr leichte, flexible Aufhängung." Nach Auffassung von Görgens, der mit den Verantwortlichen etlicher Atomkraftwerkshersteller über die Thematik diskutierte und mit diversen Universitäten zusammengearbeitet hat, sind diese Konzepte völlig untauglich. Je nach Charakteristik eines Erdbebens könne man mit der starren Auslegung zwar Glück haben. Pech habe man aber, wenn es etwa im Bereich der Kühlwassersysteme zu Verschiebungen zwischen den Abstützungen komme wie jetzt möglicherweise in Japan. Auch von den in der Atomtechnik und von Gutachterorganisationen eingesetzten "Rechenprogrammen" hält Görgens nichts, weil denen stark vereinfachte Modellannahmen zugrunde lägen.

"Absolute Momentfreiheit" ist für Maschinenbauer Görgens die Lösung des Problems. "Die Lösung liegt in einem stressfreien, frequenzunabhängigen Stützkonzept für mechanische Systeme", meint Görgens. "Relative Verschiebungen zwischen Stützpunkten, muss man momentfrei auslenken und dadurch sichern können." Eine Technik, wie sie prinzipiell in den Hinterachsen von Autos Verwendung findet. In den USA habe man in Atomkraftwerken immerhin so genannte "Struts" eingesetzt, Görgens zufolge aber nicht optimal genutzt.

Görgens ist kein Atomkraftgegner. Er ist allerdings der Auffassung, dass alle Atomkraftwerke weltweit derzeit eine erhebliche Gefahr darstellen und so nicht weiterbetrieben werden dürfen. Die Verantwortlichen in der Bundesregierung müssten sich ebenso damit auseinandersetzen wie die Reaktorsicherheitskommission des Bundes. In umfassenden Nachrüstungen der sicherheitsrelevanten Systeme sieht er eine Chance, die Gefahren zu beseitigen.

Angesichts des völlig unzulänglichen Schutzes deutscher Atomkraftwerke gegen Erdbeben, Flugzeugabsturz und Terrorangriffe, fordert die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW die Stilllegung aller Atomkraftwerke.


Über die IPPNW:

Diese Abkürzung steht für International Physicians for the Prevention of Nuclear War. Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges engagieren sich seit 1982 für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg. 1985 wurden sie dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit 1990 stehen zusätzlich gesundheitspolitische Themen (z.B. Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten) auf dem Programm des Vereins. In der IPPNW sind rund 7.000 ÄrztInnen und Medizinstudierende organisiert.


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, 22.03.2011
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
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Internet: www.ippnw.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2011