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ATOM/1205: Sieg für litauische Umweltschützer - Geplantes Atomkraftwerk wird nicht gebaut (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 171 - Dezember 2012/Januar 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Sieg für litauische Umweltschützer
Das geplante Atomkraftwerk wird nicht gebaut

von Volker Voss



"NE ATOMINE" hieß noch die Parole während einer Protestkundgebung litauischer, polnischer und deutscher AKW-Gegner am 5. November vor der litauischen Botschaft in Berlin, organisiert von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. und Zali.lt. Anlass war bis dato die Weigerung der Regierung des baltischen Staates, das im Oktober 2012 abgehaltene Referendum, bei dem sich fast 63 Prozent gegen den Bau von Atomkraftwerken entschieden, anzuerkennen.

Am 12. November dann die erhoffte Wende. Der neu gewählte Ministerpräsident Algirdas Butkevicius erklärte: "Das in Visaginas geplante Atomkraftwerk wird nicht gebaut. Die Menschen haben ihren Willen in dem Referendum ausgedrückt und ich will diesem Willen folgen." Der noch von der vorigen, im Oktober abgewählten Mitte-Rechts-Regierung geplante Meiler ist nun wohl Geschichte.

"Wir wollen ein atomfreies Land sein", sagte die litauische Umweltaktivistin Laura Gintalaite vor der Botschaft und bekam letztendlich Recht. Bitterer Spaß beim Protest: Auf einem Plakat der polnischen AKW-Gegnerin Krystyna Jesse stand geschrieben: "Die Menschen bauen Atomkraftwerke, um sich in Gefahr zu bringen. Keine Maus würde je auf die Idee kommen, eine Mausefalle zu bauen." Aber Vorsicht! Eine Hintertür hat sich die neue Regierung offengehalten. Denn der Ministerpräsident fügte hinzu, dass seine Sozialdemokratische Partei die Atomkraft nicht generell ablehne. Es sei daher durchaus möglich, dass eines Tages doch ein Atomkraftwerk in Litauen, eventuell an einem anderen Standort, gebaut werde.

Erneuerbare Energien ausbauen

Gefordert wird von den Umweltschützern die Entwicklung erneuerbarer Energien. Ohnehin hatte sich die litauische Regierung gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch bis 2020 auf 23 Prozent zu erhöhen. Das ist sicher noch ausbaufähig. Umstritten war der Bau des AKW in Litauen sowieso. Das bis 2022 vom japanischen Hitachi-Konzern zu bauende AKW nahe der Stadt Visaginas mit einer Leistung von über 1.300 Megawatt, unweit der Grenze zu Belarus, war mit Baukosten von etwa fünf Milliarden Euro veranschlagt.

Von der amerikanischen Ratingagentur Moody's, das Wirtschaftsunternehmen und Banken auf Grund ihrer veröffentlichten Zahlen bewertet, wurden nicht nur Bedenken gegen die Sicherheit des AKW benannt, sondern der Bau auch mit 40 Prozent höheren Kosten veranschlagt. Der polnische Energiekonzern Polska Grupa Energetyczna als ursprünglich weiterer Anteilseigner hatte sich bereits frühzeitig zurückgezogen, obwohl die Tür zur Kooperation weiter offen stand. Erst Ende 2009 wurde das bislang einzige AKW Litauens, vom Typ des in Tschernobyl 1986 explodierten Atommeilers, vom Netz genommen.

Es war eine aufgeheizte Stimmung. Die AKW-Gegner wurden als russische Agenten verleumdet, die die Energieunabhängigkeit Litauens unterminieren wollten. Denn das Land wolle mit dem Bau des AKW unabhängig von russischen Energielieferungen werden. Ein Abgeordneter forderte gar ein Gesetz, dass AKW-Gegner wegen Landesverrat mit einer Haftstrafe von bis zu 12 Jahren belegt, berichten litauische Aktivisten. Der weißrussischen Atomkraftgegnerin und Leiterin der weißrussischen Anti-Atom-Kampagne, Tatjana Novikova, die unter anderem mit der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung zusammenarbeitet und ihrem Kollegen Nikolaj Ulasewitsch wurde die Einreise nach Litauen verwehrt. Ihnen wurde erklärt, sie bedrohen die Sicherheit von mindestens einem EU-Staat. "Der Vorgang zeigt: Wenn es um die Interessen der Atomwirtschaft geht, arbeiten das seit 2004 zur EU gehörende Litauen und das sich als anti-westlich gebärdende Belarus Hand in Hand zusammen," empörten sich litauische Umweltaktivisten. Ihre "Bedrohung" bestand darin, an einer Konferenz unter dem Titel "Litauen und Belarus - atomare Nachbarschaft" im litauischen Parlament teilnehmen zu wollen.

Länderübergreifende Aktivitäten

Der Sieg der litauischen AKW-Gegner wird gewiss auch den Umweltschützern in den Nachbarstaaten, die teilweise unter erheblich schlechteren Bedingungen kämpfen, Auftrieb geben. Nahe der weißrussischen Stadt Ostrowez soll ein AKW mit Hilfe eines russischen Staatskredits entstehen. Die Menschen in Belarus wehren sich ebenfalls gegen den geplanten AKW-Bau. Dabei verstößt die Regierung eindeutig gegen internationale Konventionen: "Die Bevölkerung wird nicht informiert, alles bleibt unter Verschluss, auch gibt es keine Beteiligung der Bevölkerung", berichten weißrussische AKW-Gegner. Alles sei sicher, behaupten die Behörden, dabei gebe es nicht einmal Baupläne, obwohl es schon einen ersten Betonguss gebe. Sollte es jedoch zu einem Unfall kommen, sei niemand gefährdet, zitieren weißrussische AKWGegner die Behörden ihres Landes.

Für sie ist die Vernetzung mit den Anti-AKW-Gruppen im Ausland besonders wichtig, berichteten sie Ende Oktober auf der Herbstkonferenz der AKW-Gegner in Berlin. "Wir sind doch keine Extremisten, halten uns an die Gesetze", sagen sie. "Wir wollen nur eine Sache: keine AKWs." Ziel ist auch, die Lügen der Regierung aufzudecken. Bei von oppositionellen Parteien angemeldeten Demos, wie beispielsweise am Tschernobyl-Tag, wurden Teilnehmer willkürlich verhaftet.

Unter erschwerten Bedingungen kämpfen auch die russischen Umweltschützer gegen das Atomprogramm ihrer Regierung. Wobei sie ebenfalls wie ihre litauischen Kollegen als "ausländische Agenten" bezeichnet werden. Demnach wollten sie im ausländischen Auftrag "die russische Wettbewerbsfähigkeit" unterminieren. Die gute Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen AKW-Gegnern zeigt bereits erste Erfolge. Es konnten gemeinsam Lieferungen von zur Wiederaufbereitung vorgesehenem radioaktivem Müll aus deutschen AKW nach Russland verhindert werden.

Es gibt in Russland vier Wiederaufbereitungsanlagen für Uran. Dort wurde bereits aus Frankreich und Deutschland Uran angeliefert. Mittlerweile wurden die Lieferverträge für Uran aus dem deutschen Grohnau gekündigt. Russische Teilnehmer an der Berliner Anti-AKW-Konferenz erinnerten an den schweren und lange geheim gehaltenen Atomunfall im Ural 1957. Die ganze Gegend war strahlenverseucht, viele Menschen starben an den Folgen. Juristen kämpften lange um die Anerkennung der Betroffenen als Opfer der nuklearen Katastrophe.

32 Atomanlagen gibt es heute in Russland. 40 weitere seien noch geplant oder befinden sich im Bau, beispielsweise ein AKW in Kaliningrad, das ein reines Stromexportprojekt Richtung Westen sein soll. Da die russische Exklave um Kaliningrad keine technische Anbindung Richtung Westen hat, wäre lediglich über die Ostsee eine Kabelverlegung möglich. Wie in den westlichen Ländern wurden auch in der Nähe des Atomkraftwerks nahe St. Petersburg in der Umgebung kürzlich erhebliche Umweltschäden entdeckt, die eindeutig auf die Strahlenbelastung aus der Anlage zurückzuführen sind.

Weitere Informationen:
www.antiatomberlin.de
www.anti-atom.ru
www.atomby.net
nuclear-heritage.net

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 171 - Dezember 2012/Januar 2013, S. 19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2012