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ATOM/1314: THTR Hamm-Uentrop - Radioaktivität aus Kugelhaufenreaktor 1986 vorsätzlich freigesetzt (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 706-707 / 30. Jahrgang, 2. Juni 2016 - ISSN 0931-4288

THTR Hamm-Uentrop
Radioaktivität aus Kugelhaufenreaktor 1986 vorsätzlich freigesetzt

Von Thomas Dersee


Seit langem bekannt, von den Verantwortlichen jedoch bis heute vehement bestritten: Am 4. Mai 1986 nutzte man die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, um die Rohrleitungen des Kugelhaufen-Reaktors von Hamm-Uentrop (THTR) zu reinigen und ungefiltert zusätzliche Radioaktivität in die radioaktive Wolke von Tschernobyl zu blasen - in der Hoffnung, daß das niemand merken würde. Das bestätigte jetzt der inzwischen 83 Jahre alte Dr.-Ing. Hermann Schollmeyer am 20. Mai 2017 gegenüber dem Westfälischen Anzeiger in Hamm und dem Fernsehen des Westdeutschen Rundfunks (WDR). "Das war Absicht", erklärte der THTR-Experte Schollmeyer, damals in dem Atomkraftwerk in Hamm-Uentrop zuständig für die Abschaltstäbe und die Dampfturbinen der Anlage.

"Wir hatten Probleme mit der Anlage, und ich war bei ein paar Sitzungen dabei", wird Schollmeyer zitiert. Am 26. April 1986 war es in Tschernobyl zum Super-Gau gekommen, und eine gigantische radioaktive Wolke trieb damals auf Westeuropa zu. Im THTR war es in jenen Tagen immer wieder zu Problemen beim Transport der radioaktiven Brennelemente-Kugeln gekommen. Die Kugeln verklemmten sich in den Leitungen. "Irgendein Schlaumeier ist dann auf die Idee gekommen, dass wir die Leitungen mit Helium freiblasen sollten. Wegen der Tschernobyl-Wolke würde das doch ohnehin niemand bemerken", sagt Schollmeyer, betont aber, dass er bei dieser entscheidenden Sitzung nicht zugegen gewesen sei. Trotzdem gebe es keine andere Erklä-rung: "Das Gas wurde von Hand abgelassen", sagt er.

Schollmeyer will mit seinen Aussagen nicht den Umweltschützern nach dem Mund reden, sondern ein Plädoyer für die THTR-Technologie halten. "Es gab keinen Störfall in der Anlage. Ich stehe diesem Reaktor immer noch sehr positiv gegenüber. Man hätte damals einfach nur warten müssen. Die Filteranlagen waren doch schon bestellt. Aber man wollte den Reaktor nicht noch weitere zwei oder drei Wochen abschalten."

Bereits im März 2015 hatte Schollmeyer seine These auf der Wikipedia-Diskussionsseite zum THTR veröffentlicht, was aber erst jetzt von der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm bemerkt wurde. Dort wies er dem damaligen Leiter der Anlage Dr. Hassan Daoud die Verantwortung zu. Es sei eine "eigenverantwortliche Entscheidung" dieses Mannes gewesen, "die dieser gegen jede Warnung durchführte und wegen fehlender Fachkompetenz zu verheimlichen suchte", so Schollmeyer.

Durch den "Störfall" vor 30 Jahren seien nur geringe Mengen an Radioaktivität ausgetreten, der Vorfall sei noch nicht einmal meldepflichtig gewesen, wurde bisher immer wieder von offizieller Seite betont.

Die Sache ist nicht neu: Das Öko-Institut Darmstadt, damals noch atomkritisch, hatte aufgedeckt, daß Radioaktivität aus dem Reaktor abgelassen worden war und wegen des Zeitpunkts auch darauf geschlossen, daß man wohl die Tschernobyl-Katastrophe nutzen wollte. Betreiber und Behörden bestritten jedoch, daß es sich um einen absichtlich herbeigeführten Störfall handele. Der offizielle Untersuchungsbericht des Landes Nordrhein-Westfalen zog im August 1986 die Schlußfolgerung, eine "Fehlentscheidung" bei der Bedienung und eine "Fehlfunktion" hätten den radioaktiven Ausstoß verursacht. Die Strahlenbelastung der Bevölketung sei jedoch vergleichsweise gering gewesen. Trotzdem wurde das Atomkraftwerk zeitweise stillgelegt und 1989 endgültig abgeschaltet.

Im übrigen verhält man sich auch heute wie gewohnt: Ein Sprecher des Betreibers RWE zweifelte gegenüber dem WDR die Seriosität Schollmeyers an.

Horst Blume, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm, kommentiert in einer Presseerklärung vom 18. Mai 2016: "Der Betreiber wartete mit dem Abblasen nicht ab, bis die schon bestellten Filter eingetroffen waren. Man glaubte offenbar, die ausgeblasenen radioaktiven Isotope würden wegen der Tschernobylwolke nicht auffallen. Dr. Daoud als Beauftragter des Hauptinbetriebnehmers HRB (Hochtemperatur Reaktorbau GmbH) und Leiter des Anfahrbetriebs handelte eigenmächtig, was angesichts der Freisetzung radioaktiver Stoffe eine strafrechtliche Relevanz hat.

Der radioaktiv verseuchte Kugelbruch wurde also doch absichtlich in die Umgebung ausgeblasen und damit die Bevölkerung einer großen Gefahr ausgesetzt. Der Betreiber hat wissentlich gegen wesentliche atomrechtliche Auflagen verstoßen. Durch die Freisetzung radioaktiver Stoffe ist dieser Störfall auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) als Stufe 3 zu bezeichnen. Aus diesen neuen Erkenntnissen ergeben sich ebenfalls Fragen an die politisch Verantwortlichen und die Atomaufsicht im Wirtschaftsministerium NRW."


https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Kernkraftwerk_THTR-300#Steuerst.C3.A4be.2FAbsorberst.C3.A4be
http://www.wa.de/hamm/neuevorwuerfe-thtr-hammradioaktive-wolke-tschernobylgenutzt-gefaehrliches-materialentsorgen-6417525.html
http://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/hamm-uentropstoerfall-100.html


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_16_706-707_S11.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2016, Seite 11
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2016

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