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ENTWICKLUNG/018: Brasilien - Öko-Plastik im Kommen, Kunststoff aus Zuckerrohr jedoch nicht abbaubar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2012

Brasilien: Öko-Plastik im Kommen - Kunststoff aus Zuckerrohr jedoch nicht abbaubar

von Fabiana Frayssinet



Rio de Janeiro, 15. August (IPS) - Brasilien will weltweit Vorreiter bei der Produktion von Biopolymeren werden. Die Herstellung dieser Kunststoffe generiert eine geringere Menge an Treibhausgasen als die herkömmliche Plastikherstellung auf Erdölbasis. Dennoch hat 'grünes' Plastik aus Zuckerrohr einen bitteren Nachgeschmack.

Eine vor zwei Jahren im Industriepark 'Polo Petroquimico do Sul' gegründete Fabrik produziert im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul jährlich etwa 200.000 Tonnen Öko-Polyethylen. Dabei handelt es sich um Thermoplast-Harz auf der Grundlage von Ethanol, das aus dem in Brasilien reichlich vorhandenen Zuckerrohr hergestellt wird. Die dazu notwendige Technologie wurde von 'Braskem', einem der weltgrößten Unternehmen in der Petrochemie-Branche, entwickelt.

Laut der brasilianischen Firma, deren Produktion nach wie vor hauptsächlich auf Erdöl basiert, hat die Bio-Variante dieselben Eigenschaften wie normales Polyethylen. Der Unterschied liegt darin, dass die Umwelt durch den 'grünen' Kunststoff weniger belastet wird.

"Pro Tonne Bio-Plastik können bis zu 2,5 Tonnen Kohlendioxid gespeichert werden", erklärt Marcelo Nunes, der bei 'Braskem' für Chemikalien aus erneuerbaren Quellen zuständig ist. "Der Kunststoff stammt zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen." Das Material kann unter anderem im Hygiene- und Reinigungsbereich sowie bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Kosmetik und Autos verwendet werden.


Fünf Millionen Bäume

Braskem reduziert nach eigenen Angaben durch die Herstellung seines Polyethylens und anderer nachhaltiger Produkte den CO2-Ausstoß um jährlich mehr als 750.000 Tonnen. Um dieses Ergebnis zu erreichen, müssten jedes Jahr rund fünf Millionen Bäume gepflanzt und gepflegt werden.

Als nächstes will die Firma ihre erste Fabrik für 'grünes' Polyethylen eröffnen. Die Produktion soll 2013 anlaufen. Laut Nunes ist auch die Herstellung von Bio-Polypropylen geplant, das in seiner herkömmlichen Form der weltweit am zweithäufigsten verwendete Kunststoff aus Thermoplast-Harz ist. Die schonenden Auswirkungen auf die Umwelt sind ähnlich wie bei dem Öko-Polyethylen.

Noch bewegt sich die Produktion 'grüner' Kunststoffe auf einem niedrigen Niveau im Vergleich zur Herstellung althergebrachten Plastiks. Braskem will jedoch bis 2020 Weltmarktführer auf dem Feld der nachhaltigen Chemieproduktion werden.

Der Umweltforscher José Goldemberg von der Universität São Paulo sieht 'grünes' Plastik als gute Investition, da es der Petrochemie-Industrie dabei hilft, rare Materialien wie Rohbenzin einzusparen. Rohbenzin oder Naphtha ist der wichtigste Grundstoff in der Petrochemie-Branche und wird bei nahezu der Hälfte der globalen Ethylen-Produktion eingesetzt. In einigen Regionen wie dem Nahen Osten oder Nordamerika wird dagegen häufiger Gas verwendet.

"Zuckerrohr als Ersatz für Erzeugnisse aus Naphtha zu nutzen, ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Nachhaltigkeit", sagt Goldemberg.

In seinem 2009 veröffentlichten Artikel 'Grünes Polyethylen, ein positives Signal' kommt auch der Wissenschaftler Eduardo Athayde zu dem Schluss, dass das neue, mit brasilianischer Technik produzierte Plastikmaterial der Industrie die Voraussetzungen dafür bietet, den CO2-Ausstoß zu bremsen.

"Auch wenn dieses Produkt noch nicht biologisch abbaubar ist, steht es im Einklang mit den Empfehlungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen", sagt der Direktor des 'Wordwatch Institute Brazil'.


Ausweitung von Monokulturen befürchtet

Der Klimaexperte Robert Kishinami sieht voraus, dass bald Ersatz für Erdöl und Erdgas bei der Produktion von Polymeren gefunden werden muss. "Je früher desto besser", meint Kishinami, der unabhängige Organisationen wie 'Action Aid' berät. Andererseits befürchtet er aber, dass die massive Verwendung von Zuckerrohr in der Petrochemie-Industrie zur Ausweitung von Monokulturen führen kann.

Nunes wendet ein, dass zurzeit erst auf 0,02 Prozent des urbaren Landes in Brasilien Zuckerrohr für die Bio-Plastikproduktion angepflanzt wird. Der Anbau von Nahrungsmitteln werde dadurch nicht beeinträchtigt, anders als bei der Verwendung von Mais bei der Kunststoffherstellung, versichert er.

Der Agraringenieur Luiz Jacques Saldanha warnt davor, von einer 'grünen' Produktion zu sprechen, nur weil der Grundstoff aus einer Pflanze stammt. "Die Nahrungsproduktion wird verändert. Wie im Fall von Sojabohnen werden große Monokulturen angelegt. Das ist die größte Tragödie des 21. Jahrhunderts bei der weltweiten Nutzung von urbarem Land." Solange die Stoffe nicht biologisch abbaubar seien, würden sie die Ökosysteme über einen langen Zeitraum hinweg belasten. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.linearclipping.com.br/conab/m_stca_detalhe_noticia.asp?cd_sistema=26&cd_noticia=744236
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101371
http://www.ipsnews.net/2012/08/mauritanian-women-turn-to-poultry-to-fight-poverty/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2012