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ROHSTOFFE/062: Der Wald im Bio-Kapitalismus - Bioökonomie als Brandbeschleuniger (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2021

Der Wald im Bio-Kapitalismus
Von falschen Klimaversprechen und Bioökonomie als Brandbeschleuniger

von Peter Gerhardt


Der Wald war schon immer mehr als die Summe seiner Bäume. Er ist es gewohnt, Sehnsuchtsort und Lebensraum zu sein, Brennholz und Konstruktionsmaterial zu liefern und dabei auch noch zahlreiche wichtige Ökofunktionen zu erfüllen. Unsere Ansprüche haben dieses Ökosystem schon mächtig unter Druck gesetzt und an vielen Stellen auf dem Globus mit dafür gesorgt, dass die Wälder erschöpft sind oder vernichtet wurden. Dessen ungeachtet soll der Wald die Menschheit nun auch noch vor einem möglichen Klimakollaps bewahren und als Rohstofflager für die Wirtschaft der Zukunft dienen - der sogenannten Bioökonomie. Das kann nicht gut gehen.

Aber der Reihe nach. Beim diesjährigen UN-Klimagipfel in Glasgow gab es gleich zu Beginn eine Art Überbietungswettbewerb zwischen den Regierenden, welches Land die meisten Wälder im Namen des Klimaschutzes vor dem Kahlschlag retten will. Gleichzeitig wurden großzügige Aufforstungs-Initiativen in Aussicht gestellt. Insgesamt versprachen 137 Regierungen, in deren Nationen über 90% der verbliebenen Waldfläche beheimatet sind, einen umfassenden Waldschutz. Die Mächtigen entdeckten in der "Glasgow Leaders' Declaration on Forests and Land Use" den Wald als Klimaretter. Was ist davon zu halten?

Zum einen geht die Glaubwürdigkeit mancher dieser selbsternannten WaldschützerInnen gegen Null. Zum Beispiel Brasiliens Jair Bolsonaro, der in der Vergangenheit vor allem dadurch aufgefallen ist, dass er den Amazonas-Regenwald für illegale Holzfäller- und Goldsuchertrupps geöffnet und die Rechte indigener UreinwohnerInnen mit Füßen getreten hat. Dass diesem Klimaleugner jetzt in Glasgow eine Bühne für leere Öko-Versprechen gegeben wird, ist einfach nur verstörend. Kaum besser ist, dass sich Nationen wie Malaysia oder Indonesien, die ihre Wälder großflächig in Mondlandschaften aus Ölpalmen umgewandelt haben, jetzt unter den Unterstützern der Glasgower Walddeklaration befinden.

Man kann sich außerdem fast sicher sein, dass Länder, die große Flächen mit Eukalyptus für die Zellstoffindustrie aufforsten, dies in Zukunft auch im Namen des Klimaschutzes tun werden. Etwa in Mosambik, wo internationale Investoren riesige Monokulturen aus dem Boden stampfen und dabei der lokalen Bevölkerung das Land zum Leben rauben. Das Pflanzen von Bäumen wird so zum aggressiven Akt gegen Mensch und Natur. Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes geht das in Zukunft vielleicht noch ein wenig leichter von der Hand.

Aber nicht nur im Globalen Süden laufen die Dinge klimapolitisch vollkommen aus dem Ruder. Auch europäische Industrienationen wie Großbritannien oder Deutschland lobpreisen in der Erklärung die Bedeutung der Wälder fürs Weltklima und machen vor der eigenen Haustür genau das Gegenteil. Mit dem Segen der britischen Regierung verbrennt das Kraftwerk Drax in Nordengland Millionen Tonnen Holz für Elektrizität und Deutschland, das dem Rest der Welt gerne ungebetene Klima-Ratschläge erteilt, verfeuert einen größeren Teil seiner jährlichen Holzernte. Der im Rohstoff Holz gespeicherte Kohlenstoff wird so durch den Kamin gejagt und landet als Klimagas in der Atmosphäre. Aber es könnte noch schlimmer kommen: Die noch amtierende Bundesregierung hat Pläne in der Schublade, um das Umrüsten alter Kohlekraftwerke auf Holzfeuerung mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren.

Kahlschlag für Bioökonomie?

Und dann gibt es noch die Bioökonomie: Jene Wirtschaftsordnung, die von sich selbst behauptet, so etwas wie die Zukunft jenseits des fossilen Zeitalters zu sein. Anstatt Kohle, Gas oder Erdöl sollen hier ausschließlich nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz kommen. Anfang November 2021 gab es wieder einmal einen kleinen Vorgeschmack, wie die Bio-Zukunft aussehen könnte - zumindest, wenn die Industrie das Sagen hat: Der finnische Forst- und Papierkonzern UPM-Kymnene verkündete stolz, dass die firmeneigene Bioraffinerie im sachsen-anhaltinischen Leuna demnächst die Coca-Cola-Company mit Polymeren beliefern wird. Die Raffinerie benötigt dafür Holz, aus dem der US-Konzern dann Getränkeflaschen fertigt, die bislang aus Erdöl hergestellt wurden. Nun kann man sich zu Recht fragen, ob es nicht sinnvollere Bioökonomie-Anwendungen gibt, als amerikanische Zuckerbrause in Plastikflaschen zu füllen. Coca-Cola macht damit schließlich den sogenannten Starinvestor Warren Buffett zum Milliardär und zahlreiche Kinder zu fettleibigen DiabetikerInnen.

Sich ein bisschen über Coca-Cola lustig zu machen, ist nicht besonders schwer. Das Beispiel zeigt aber gut, woran es in einer Bioökonomie hapern würde: Steuerung! Natürlich braucht die Welt frische Ideen, wenn fossile Rohstoffe in Zukunft in der Erde bleiben sollen. Und möglicherweise ist eine biobasierte Wirtschaft Teil der Lösung. Um das seriös abschätzen zu können, sollte aber zunächst eine Art Inventur beleuchten, wieviel die globalen Wälder zu liefern imstande sind, wenn es dabei sozial gerecht und ökologisch nachhaltig zugeht. Dabei sollte eingepreist werden, dass Schutzgebiete für die Artenvielfalt oder Wälder, die für den Klimaschutz wachsen sollen, die Erntemenge weiter reduzieren. Und schließlich ist nach wie vor ungeklärt, wie in unserer Profitökonomie eine sinnvolle Steuerung von knappen Rohstoffen vonstattengehen könnte. Bislang gilt: Wer den besten Preis bezahlt, bekommt den Zuschlag. Damit sind wir dann wieder bei Coca-Cola, die wahrscheinlich mehr Geld auf den Tisch blättern können als ein Startup aus der Öko-Nische.

Industrieländer werden ihren Rohstoffverbrauch dramatisch senken müssen. Sonst kommt es zum globalen Kahlschlag.

Bedauerlicherweise schweigt sich auch die Bundesregierung in ihrer Bioökonomie-Strategie darüber aus, welche Regeln für diese Wirtschaft maßgeblich sein könnten. In dem Papier mangelt es nicht an wolkigen Nachhaltigkeitsversprechen, dafür fehlen konkrete Politikvorschläge, wie die planetaren Belastbarkeitsgrenzen in einer Bioökonomie eingehalten werden könnten. Diese Aufgabe liegt nun unter anderem beim Bioökonomierat, der seit fast einem Jahr in seiner dritten Auflage der Bundesregierung zur Seite steht. Ob ausgerechnet dieses aus 20 ExpertInnen bunt zusammengewürfelte Gremium, das sich aus dem Dunstkreis der Biotech-Lobby bis hin zur Umweltbewegung rekrutiert, die notwendige Kraft dafür entwickeln kann? Welche Leitplanken für eine Bioökonomie aufgestellt werden, hängt letztendlich am politischen Willen einer zukünftigen Bundesregierung.

Dabei ist die Grundannahme der Bioökonomie, nachwachsende Rohstoffe wie Holz effizient und innovativ zu nutzen, zunächst mal eine gute Idee. Produkte biogenen Ursprungs lassen sich in der Regel einfacher in natürliche Kreisläufe integrieren und hinterlassen weniger problematische Schadstoffe bei der Entsorgung als Materialen aus der Erdölchemie. Auch bioökonomische Verfahren, die zum Beispiel Holz hochverdichten, haben vielversprechendes Potenzial, wenn dadurch Stahl oder Beton substituiert wird.

Die Euphorie für das neue Bio-Zeitalter birgt aber die Gefahr, ökologische Prinzipien der Waldbewirtschaftung hintenan zu stellen und der Holzproduktion einseitig Vorfahrt einzuräumen. Die Konsequenzen, wenn wirtschaftliche Interessen den Wald im Griff haben, werden der bundesdeutschen Öffentlichkeit aktuell mit dem "neuen Waldsterben" vor Augen geführt. Aus dem Brotbaum der Forstwirtschaft, der Fichte, ist in Zeiten des Klimawandels der Problembaum geworden.

Global betrachtet steigen Forstplantagen zu immer wichtigeren Holzlieferanten auf und sind damit auch mögliche Eckpfeiler einer bioökonomischen Rohstoffstrategie. Diese Industrielandschaften sollten nicht mit Wäldern in einen Topf geworfen werden. Eukalyptusäcker in Brasilien haben nichts mit der ursprünglichen Waldvegetation zu tun. Im südlichen Afrika wachsen Zellstoffplantagen auf Graslandstandorten, die vollkommen ungeeignet für das Anpflanzen von Bäumen sind. Zudem werden vor allem schutzlose Bevölkerungsgruppen wie Landlose und Subsistenzbauern und -bäuerinnen durch Forstplantagen aus ihren Lebensräumen verdrängt.

Ökosiegel sind keine Lösung

Es ist wahrscheinlich, dass die Industrie auch im Bereich der Bioökonomie auf mögliche Kritik mit freiwilligen Zertifizierungsinitiativen antworten wird. Schon heute tummeln sich im Bereich der Bioenergie industrienahe Ökosiegel wie das "Sustainable Biomass Program". Die Vergangenheit zeigt, dass auch die Nachhaltigkeitszertifikate für Holz, Papier, Palmöl oder Soja die Expansion von Industrieplantagen nicht verhindern konnten. Diese Siegel funktionieren fast alle nach dem gleichen Strickmuster und geben vor, Betroffene und NGOs in einem Multistakeholderverfahren angemessen zu beteiligen. De facto setzt in den meisten Fällen die Industrie ihre ökonomischen Interessen durch. Die Entwicklungs- und Umweltverbände sind deshalb gut beraten, der Siegelstrategie der Bioökonomie nicht auf den Leim zu gehen.

Von Klimaschutz bis zur verantwortungsvollen Rohstoffversorgung: Wälder sind dabei nicht wegzudenken. Die Kapazitäten dieses Ökosystems sind aber begrenzt. Darum werden allen voran die Industrieländer ihren Rohstoffverbrauch dramatisch senken müssen. Sonst kommt es zum globalen Kahlschlag.

Der Autor ist Gärtner, Agraringenieur und Politologe und politischer Geschäftsführer von denkhausbremen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2021, Seite 28-30
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 9. April 2022

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