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ARTENRAUB/188: Überleben zwischen Netzen und Öl - Neuseelands Maui-Delfine (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2015

Überleben zwischen Netzen und Öl
Neuseelands Maui-Delfine

Von Barbara Maas


Die kleinsten Meeresdelfine der Welt, die Maui-Delfine, sind durch Stell- und Schleppnetzfischerei akut vom Aussterben bedroht. Nur noch etwa 50 Individuen leben in den Küstengewässern Neuseelands - in den 1970er Jahren waren es noch rund 2.000. Die NABU International Naturschutzstiftung engagiert sich seit Jahren für die Rettung der bedrohten Tiere.


Hector- und Maui-Delfine sind die seltensten Meeresdelfine der Welt. Mit einer maximalen Körperlänge von etwa 1,4 Metern und einem Gewicht von 35 bis 60 Kilogramm sind sie außerdem die kleinsten Delfine überhaupt. Die Tiere sind ausschließlich in den Küstengewässern Neuseelands beheimatet, wo sie in Wassertiefen von bis zu 100 Metern leben. Es ist die einzige einheimische Walart des Landes. Maui-Delfine sind eine Unterart des um die Südinsel Neuseelands vorkommenden Hector-Delfins. Sie sind heute nur noch vor der Westküste der Nordinsel anzufinden. Von anderen Delfinarten lassen sich Hector- und Maui-Delfine anhand ihrer runden Micky Maus-Ohr ähnlichen Rückenflosse unterscheiden. Seit der Einführung sogenannter Nylon-Kiemennetze in den 1970er Jahren ist der Bestand der Hector-Delfine von 29.000 auf rund 7.200 gesunken. Um seinen kleinen Verwandten, den Maui-Delfin steht es sogar noch schlechter: Dessen Population hat seit den 1970er Jahren von etwa 2.000 auf nur 50 Individuen abgenommen - ein Rückgang von 98 Prozent!

Tödliche Verstrickung

Weltweit sterben jährlich schätzungsweise 308.000 Wale, Delfine und Schweinswale als Beifang in den Netzen der Fischerei. Das entspricht etwa einem Todesfall alle anderthalb Minuten. Stell- und Schleppnetze sind dabei die Haupttäter. Delfine sind Säugetiere und müssen zum Atmen an die Wasseroberfläche. Wenn sie sich in Netzen verfangen, ersticken sie qualvoll. Wie ein tödlicher Vorhang hängen die Stellnetze bis zu zwei Tage im Wasser. In Neuseeland ist der Gebrauch von kommerziell genutzten Stellnetzen bis zu einer Länge von drei Kilometern erlaubt, selbst Hobbyfischer dürfen in bestimmten Arealen bis zu 60 Meter lange Stellnetze auslegen. Hinzu kommen die Schleppnetze, die wie ein großer, sich stetig verengender Sack, von den Fischereifahrzeugen aktiv durchs Meer gezogen werden.

Unzureichender Schutz als Todesurteil

Fangnetze haben Hector- und Maui-Delfine bereits an den Rand des Aussterbens getrieben - und der Trend setzt sich fort. Noch immer verenden jedes Jahr drei bis vier Maui-Delfine in den Netzen der Fischerei. Dabei dürfte es höchstens einer alle zehn bis 23 Jahre sein, haben Wissenschaftler errechnet. Mehr kann die kleine Restpopulation nicht mehr verkraften. Die bestehenden Schutzgebiete reichen aber bei weitem nicht aus, dies zu gewährleisten. Denn gegenwärtig sind im Lebensraum der Maui-Delfine nur fünf Prozent der Fläche vor Schleppnetzen geschützt und in weniger als 20 Prozent ist der Einsatz von Stellnetzen verboten. Wenn sich das Sterben der kleinen Meeressäuger aber ungehindert fortsetzt, wird die Art in etwa 16 Jahren erloschen sein.

Die Weibchen beider Delfinarten pflanzen sich erst ab einem Alter von sechs bis neun Jahren fort und gebären dann alle zwei bis vier Jahre nur ein einziges Kalb. Mit einer Lebensspanne von etwa 20 Jahren können Muttertiere daher, selbst unter idealen Umständen, in ihrem Leben nur eine kleine Anzahl Kälber aufziehen. Das bedeutet, dass eine Population von 50 Individuen pro Jahr höchstens um ein Tier zunehmen kann - eine Wachstumsrate von zwei Prozent. Das macht die bereits stark dezimierten Hector- und Maui-Delfine besonders anfällig. Dennoch sind die Maui-Delfine auch trotz ihrer geringen Anzahl aus biologischer Sicht noch nicht zum Aussterben verurteilt. Dank ihrer unerwartet hohen genetischen Variabilität sind Wissenschaftler optimistisch, dass sich die Maui-Delfine wieder erholen könnten - wenn die vom Menschen verursachte Sterblichkeit gestoppt würde. Würde Neuseeland den Lebensraum der Delfine schützen, könnte es bis zum Jahr 2093 bereits wieder 250 Maui-Delfine geben.

Wissenschaftlich fundiertes Schutzmandat

Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass nur ein konsequentes Fischereiverbot im gesamten Lebensraum der Delfine den Tieren eine Überlebenschance bieten kann. In den vergangenen drei Jahren hat der Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission (IWC) Neuseeland immer dringlicher dazu aufgerufen, die geforderten Schutzmaßnahmen durchzuführen, nachdem NABU International das Thema dort vorgestellt hatte. Bei der kürzlich stattgefundenen Tagung der IWC in Slowenien konnte die Stiftung diese Forderungen - gegen den massiven Widerstand Neuseelands - auch auf breiter politischer Ebene durchsetzen. Einunddreißig Kommissionsländer, darunter auch die EU und die USA, appellierten an die neuseeländische Regierung, den Rat des wissenschaftlichen Komitees endlich umzusetzen, um das Aussterben der Tiere abzuwenden. Zum Erstaunen von IWC-Delegierten bekannte Neuseeland endlich Farbe und verteidigte seine Handlungsunwilligkeit mit übergeordneten wirtschaftlichen Interessen. Ein Armutszeugnis für ein Land, das so stolz auf seine "intakte" Natur und Umweltfreundlichkeit ist und eine Tragödie für den Artenschutz. Neben dem Wissenschaftsausschuss der Internationalen Walfangkommission (IWC), haben auch die Weltnaturschutzunion (IUCN) und die Gesellschaft für Meeressäugetierkunde (SMM) Neuseeland bezüglich der Delfine wiederholt kritisiert. Die neuseeländische Regierung ignoriert jedoch die dringenden Mahnungen der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft. Damit riskiert das Land sein lukratives grünes Image. Im Jahr 2012 forderte eine Entscheidung der IUCN die neuseeländische Regierung auf, den Lebensraum von Maui- und Hector-Delfinen gegen Kiemen- und Schleppnetzfischerei sofort zu schützen. Der Antrag wurde mit 576 Ja-Stimmen angenommen. Im Alleingang gegen die Fakten hat einzig Neuseeland gegen die Entscheidung gestimmt.

Achtung! Fischerlatein

Eigentlich sollten die Vorraussetzungen für effektiven Natur- und Artenschutz in einem Land wie Neuseeland ideal sein. Umso mehr, wenn es um eine kleine, ansprechende Delfinart geht. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern stuft Neuseeland seinen Ruf als umweltbewusste Nation hoch ein, und im Gegensatz zu vielen anderen Arten erfordert die Rettung der Delfine keine internationale Zusammenarbeit. Zudem haben 30 Jahre intensiver Forschung eine solide wissenschaftliche Basis für den Schutz der Tiere geschaffen. Neuseeland könnte den vergleichsweise preiswerten Schutz der Tiere zudem problemlos leisten.

Die Hauptschuld für Neuseelands Widerstand trägt die mächtige Fischereiindustrie des Landes, die jegliche Verantwortung für den Untergang der Art leugnet und alle Versuche zum Schutz der seltenen Delfine blockiert. Die Industrie - darunter auch einige Fischereiwissenschaftler - streitet öffentlich ab, dass Hector-Delfine überhaupt gefährdet sind und der bisherige Bestandsrückgang beider Unterarten auf ihre Fangnetze zurückzuführen ist. Dabei wäre es einfach und effektiv, die Fischer auf nachhaltige Fangmethoden und alternative Einnahmequellen umzusatteln. Außerdem könnten die Fischer auch in andere Gebiete ausweichen - ein Luxus, den Hector- und Maui-Delfine nicht genießen. Sie werden aussterben, wenn Neuseelands Fischereiindustrie nicht endlich einlenkt. Wenn das passiert, wird Neuseeland den Ruf als umweltverantwortungsbewusste Nation verlieren.

Aussterben geht uns alle an

Der Kampf um das Leben dieser Tiere ist umso dringlicher, da seismische Tests und Ölbohrungen der Konzerne Shell und OMV eine zusätzliche Bedrohung darstellen. NABU International hat Delfinfreunde aus aller Welt mobilisiert und Einwände bei der neuseeländischen Regierung eingereicht, um zu erreichen, dass die Argumente für den Schutz der Meerestiere öffentlich gehört werden. Außerdem unterzeichneten mehr als 220.000 Menschen eine Petition für einen sofortigen und konsequenten Schutz der Delfine. Doch Neuseeland stellt sich hinter seine Fischereiindustrie und deren Profitinteressen und nimmt das Aussterben der Maui-Delfine "in Kauf". Erst vor wenigen Jahren wurde Chinas Flussdelfin, der Yangtse-Delfin, offiziell für ausgestorben erklärt. Wir müssen verhindern, dass Maui- und Hector-Delfine das gleiche Schicksal erleiden. Die NABU International Naturschutzstiftung ist daher in internationalen wissenschaftlichen Gremien, durch Öffentlichkeitsarbeit sowie gegenüber neuseeländischen Politikern und Vertretern der Fischereiindustrie aktiv, um die Zukunft dieser bedrohten Meeressäuger zu sichern. Der Einsatz der Stiftung hat sichtbare Erfolge erzielt: Mehr als 6.000 Quadratkilometer Lebensraum der Maui-Delfine sind mittlerweile geschützt. Jedoch ist die Rettung der extrem bedrohten Tiere ein Wettlauf gegen die Zeit. Die hartnäckige Haltung der neuseeländischen Regierung beruht nicht auf wissenschaftlichen Argumenten sondern auf Profitinteressen. Dazu kommt, dass der Präsident der gegenwärtigen Regierungspartei, Peter Goodfellow, gleichzeitig der Direktor des größten staatseigenen Fischereiunternehmens ist. In einem Ende November veröffentlichten offenen Brief von NABU International an die neuseeländische Regierung erklärten 104 internationale Naturschutzorganisationen ihre Absicht, solange zum Boykott von neuseeländischem Fisch aufzurufen, bis Neuseeland wissenschaftlich fundierte Schutzmaßnahmen umsetzt. Um gegebenenfalls auch rechtlich gegen die Neuseeländische Regierung vorgehen zu können, hat die Stiftung einen Rettungfonds für Maui-Delfine (Maui's Dolphin Defence Fund) eingerichtet.


Barbara Maas ist Leiterin für Internationalen Artenschutz, NABU International Naturschutzstiftung

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Quelle:
naturmagazin, 29. Jahrgang - Nr. 1, Februar bis April 2015, S. 32-35
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Naturschutzfonds Brandenburg/Naturwacht
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2015

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