Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels - 17.07.2025 11:31
Erwärmte Meere vergraulen weibliche Engelhaie - mit potenziell dramatischen Folgen
Engelhaie, eine vom Aussterben bedrohte Haiart, verändern in wärmer
werdenden Ozeanen ihr Paarungsverhalten: Wenn die Wassertemperaturen
zu hoch werden, meiden die Weibchen ihre traditionellen
Fortpflanzungsgebiete - und setzen stattdessen auf Abkühlung.
Diese Verhaltensänderung führt dazu, dass die Haie sich schlechter
fortpflanzen können. Das könnte schwerwiegende Folgen für den Bestand
der Art haben. So das Ergebnis einer Studie, die jetzt im Fachmagazin
Global Change Biology veröffentlicht wurde.
Die Studie wurde von Forschenden der Lancaster University und des
Angel Shark Project: Canary Islands durchgeführt - einer
Zusammenarbeit des Leibniz-Instituts zur Analyse des
Biodiversitätswandels (LIB), der Universität Las Palmas de Gran
Canaria und der Zoological Society of London.
Mithilfe akustischer Sender untersuchte das Team das Verhalten der
Engelhaie (Squatina squatina) rund um die Kanarischen Inseln und
stellte fest: Die langanhaltende Erwärmung der Meere in der Region
bringt das Fortpflanzungsverhalten weiblicher Tiere aus dem
Gleichgewicht.
Besonders deutlich wurde das im Jahr 2022, als außergewöhnlich hohe
Meerestemperaturen herrschten. Die Forschenden beobachteten, dass
weibliche Engelhaie in dieser Zeit fast vollständig aus dem La
Graciosa Meeresreservat - dem größten Spaniens - verschwanden.
Normalerweise ist dieses Gebiet vor Lanzarote ein zentrales
Paarungsgebiet der Art. Die Wassertemperaturen lagen damals bei über
23,8 °C und überschritten 22,5 °C fast drei Mal so lang wie in
früheren Jahren - und das während der gesamten Paarungszeit im Herbst
und Winter, die üblicherweise durch kühlere Bedingungen geprägt ist.
Während die Weibchen also der Hitze auswichen, kehrten die Männchen
wie gewohnt im November zurück, um sich fortzupflanzen.
"Diese immer häufigeren und extremeren Hitzewellen sind wie Waldbrände
unter Wasser - mit enormen, noch kaum abschätzbaren Auswirkungen auf
Meereslebewesen", erklärt Dr. David Jacoby, Zoologe an der Lancaster
University und Hauptautor der Studie. "Wir sehen deutliche
geschlechtsspezifische Unterschiede: Weibliche Engelhaie sind deutlich
temperaturempfindlicher und meiden ihre traditionellen
Paarungsgebiete, wenn das Wasser zu warm ist. Die Männchen hingegen
halten an ihrem üblichen Verhalten fest - selbst bei
Extremtemperaturen."
Die Kanarischen Inseln markieren den südlichsten Bereich des
natürlichen Verbreitungsgebiets der Engelhaie. Die dortige Population
gilt als besonders wichtig für den Fortbestand der Art, die laut Roter
Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als vom Aussterben bedroht
eingestuft ist. Die Tiere - sowohl ausgewachsene als auch Jungtiere -
werden regelmäßig gesichtet und sind zu einem Aushängeschild für den
regionalen Tauch-Tourismus geworden.
Zwischen 2018 und 2023 verfolgten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe akustischer Ortung über 100 individuelle Tiere und verknüpften deren Aufenthaltsorte mit Umweltparametern. Vor dem Jahr 2022 zeigten sich regelmäßig deutliche Spitzen in der Anwesenheit beider Geschlechter im November und Dezember. Doch 2022 blieb die Zahl der weiblichen Haie das ganze Jahr über ungewöhnlich niedrig. Die Daten deuten darauf hin, dass 22,5 °C eine kritische Temperaturobergrenze für Weibchen darstellen könnte.
Während des fünfjährigen Beobachtungszeitraums stiegen die maximalen
Meerestemperaturen kontinuierlich an. Die Zahl der Tage mit
Temperaturen über 22,5 °C wuchs von 30 Tagen (2019) auf 85 Tage
(2022). In diesem Jahr hielt die Wärme bis weit in den Spätherbst an
und überschritt die kritische Grenze bis in den November - also mitten
in der Paarungszeit.
Der Grund für das veränderte Verhalten der Weibchen liegt in ihrer
Physiologie: Die Fortpflanzung ist für weibliche Engelhaie besonders
energieaufwendig. Um ihre Stoffwechselprozesse im Gleichgewicht zu
halten, sind sie auf bestimmte Temperaturbereiche angewiesen.
Dr. Lucy Mead, Erstautorin der Studie und Forscherin an der Zoological
Society of London und der Lancaster University, betont:
"Dass Umweltveränderungen nun zu einem zeitlichen Auseinanderfallen
der Ankunft von Männchen und Weibchen an den Fortpflanzungsplätzen
führen, ist äußerst besorgniserregend. Männliche Engelhaie scheinen
selbst unter ungünstigen Bedingungen die Paarung zu priorisieren,
während Weibchen stärker auf Temperaturreize reagieren. Das ist
biologisch durchaus sinnvoll - denn wie bei vielen wechselwarmen Arten
sind weibliche Tiere temperaturabhängiger.
Doch mit der zu erwartenden weiteren Erwärmung könnten wichtige
Lebensräume für Weibchen unbewohnbar werden. Das hat ernste
Konsequenzen für den Schutz dieser bedrohten Art."
Auch Dr. Eva Meyers, Mitinitiatorin des Angel Shark Project und
Forscherin am LIB, warnt: "Diese Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie
stark klimatische Extreme das Verhalten sensibler Meeresarten bereits
heute verändern.
Langfristiges Monitoring besonders sensibler Lebensräume - wie rund um
die Kanaren - ist ein zentrales Element jeder wirksamen Strategie zur
Erholung mariner Biodiversität.
Die Kanaren sind einer der letzten Rückzugsräume dieser Art - der
Schutz dieser Gewässer ist dringender denn je."
Für Dr. Dennis Rödder, Privatdozent und Arbeitsgruppenleiter am LIB,
ist die Studie ein wichtiger Beleg für die Auswirkungen der
Klimaveränderungen auf die Ozeane: "Der anthropogene Klimawandel hat
nicht nur gravierende Auswirkungen auf terrestrische Systeme, sondern
beeinflusst auch Lebensgemeinschaften in unseren Meeren. Diese können
sehr vielfältig sein: Vom Korallensterben bis hin zu demographischen
Veränderungen in Populationen".
Finanziell unterstützt wurde die Forschung unter anderem durch:
Shark Conservation Fund, Oceanário de Lisboa, Gobierno de Canarias,
Loro Parque Fundación, Save Our Seas Foundation, Ocean Tracking
Network, WWF Niederlande, Deutsche Elasmobranchier-Gesellschaft, Queen
Mary University of London, Institute of Zoology (ZSL) sowie den
Natural Environment Research Council.
Originalpublikation:
Global Change Biologiy: "Rapid ocean warming drives sexually divergent
habitat use in a threatened predatory marine ectotherm",
https://doi.org/10.1111/gcb.70331
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
https://idw-online.de/de/institution150
Homepage: https://leibniz-lib.de/
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels - 17.07.2025 11:31
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. Juli 2025
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