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ASIEN/006: Indien - Abbau von Treibstoff-Subventionen erregt die Gemüter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2010

Indien: Abbau von Treibstoff-Subventionen erregt die Gemüter

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 10. August (IPS) - Die indische Regierung hat damit begonnen, Subventionen auf Erdöl-basierte Treibstoffe zu streichen. Während die Opposition lauthals protestiert und sich auf die Seite der Armen stellt, meinen unabhängige Experten, dass die ungleiche Verteilung der staatlichen Zuschüsse weder für die unteren Bevölkerungsschichten noch für die Umwelt ein Segen war.

Eine wachsende Zahl von Autofahrern, darunter auch zahlreiche Gutverdiener, stieg auf Fahrzeuge mit günstigem Diesel-Betrieb um. Wer in Indien normales Benzin tankte, musste dagegen immer tiefer in die Tasche greifen. Davon waren beispielsweise auch Motorradfahrer betroffen. Häufig wurde zudem subventioniertes Kerosin, das in den meisten Haushalten zum Kochen verwendet wird, als Autotreibstoff zweckentfremdet. Die Folge waren nicht nur erhebliche Preisverzerrungen auf dem Markt, sondern auch eine Zunahme der Luftverschmutzung.

Seit der Deregulierung der Erdölpreise auf dem Subkontinent am 25. Juli hat sich Autobenzin um 6,7 Prozent verteuert. Der Preis für Diesel stieg um fünf Prozent, obwohl in diesem Bereich die staatlichen Subventionen vorerst weiter bestehen. Die Regierung von Ministerpräsident Manmohan Singh begründete dies damit, dass der Agrarsektor geschont werden solle. Traktoren und Bewässerungspumpen werden hauptsächlich mit Diesel angetrieben.

Die Zuschüsse auf die in Millionen Haushalten verwendeten Brennstoffe Flüssiggas und Kerosin wurden dagegen konsequent abgebaut. Diese Entscheidung stieß bei der politischen Opposition - der rechten Bharatiya Janata Partei (BJP) und den kommunistischen Parteien der Linken Front - auf erbitterten Widerstand. Trotz eines landesweiten Generalstreiks am 5. Juli blieb die Regierung unbeugsam.


Subventionen wurden dem Staat zu teuer

"Sicherlich schmeckt diese Entscheidung vielen Leuten nicht. Letztlich werden sie aber einsehen, warum wir so handeln mussten", sagte der Sprecher der regierenden Kongress-Partei, Manish Tewari.

Die Subventionen auf Treibstoffe, die auf Grundlage des größtenteils nach Indien importierten Erdöls hergestellt werden, beliefen sich auf etwa 17 Milliarden US-Dollar jährlich. Angesichts der schwankenden Weltmarktpreise sahen sich die staatlichen Erdölunternehmen nicht mehr dazu in der Lage, diese Kosten aufzufangen.

Auch die globalen Bemühungen zur Reduzierung der Treibhaus setzen Indien unter wachsenden Druck. "In Zeiten zunehmender Erderwärmung kann eine verantwortungsbewusste Regierung nicht länger fossile Brennstoffe bezuschussen", sagte Anumita Roychowdhury vom nichtstaatlichen Zentrum für Wissenschaft und Entwicklung (CSE) im Gespräch mit IPS.

Andere Staaten sind in einer ähnlichen Zwangslage. Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds waren die Subventionen auf Erdöl-Produkte zwischen 2003 und 2007 weltweit von 60 Milliarden auf 520 Milliarden Dollar stark angestiegen.

In Indien kamen weitere Probleme hinzu. Experten beklagten in der Vergangenheit, dass die Preise für einige Treibstoffarten durch die Subventionen so sehr verzerrt wurden, dass beispielsweise billiges Flüssiggas und Kerosin mit Diesel gemischt und in Autotanks gefüllt wurden.

Etwa 40 Prozent des im Land gehandelten Kerosins, das der Staat für ärmere Familien erschwinglich machen wollte, sei nicht zum Kochen, sondern als Fahrzeugtreibstoff verwendet worden, kritisierten Experten. Dem Fiskus entgingen dadurch erhebliche Einnahmen. Zudem ruinierten die Verbraucher ihre Dieselmotoren und trugen zur Umweltverschmutzung bei.

Andere Konsumenten machten es sich zunutze, dass Flüssiggas und Benzin ähnliche chemische Strukturen aufweisen. Mit geringem Aufwand wurden Fahrzeuge so umgerüstet, dass sie fortan mit diesem Billig-Sprit angetrieben werden konnten.

Noch schwerwiegendere Folgen hätten die Subventionierung von Diesel und die gleichzeitige Verteuerung von Benzin gehabt, meinen Beobachter. Die Regierung sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die besser gestellten Bevölkerungsschichten weiterhin Autos mit Benzinmotoren nutzten und vor allem ärmere Bauern von dem günstigen Diesel profitierten.


Diesel-Geländewagen heiß begehrt

Das Gegenteil war der Fall. Die Nachfrage nach dieselbetriebenen Luxuskarossen und Geländewagen stieg sprunghaft an. Die Umweltexpertin Roychowdhury kritisierte, dass auf den Straßen Indiens immer mehr Dieselautos unterwegs seien. In den Städten steige einem die höhere Luftbelastung sofort in die Nase.

"Indien verfügt über keine geeigneten Technologien, um sauberen Diesel zu erzeugen", sagte die CSE-Vizedirektorin. Mit diesem Kraftstoff würden inzwischen aber rund 30 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge in dem Land betankt. Die Halter luxuriöser Dieselautos könnten also vor allem deshalb Geld sparen, weil die Besitzer kleinerer benzingetriebener Wagen oder Motorräder stärker zur Kasse gebeten würden.

Nach Angaben von Kaushik Ranjan Bandhyopadhyay vom Asien-Institut für Verkehrsentwicklung in Neu-Delhi sind immerhin mehr als 70 Prozent aller Fahrzeuge in Indien benzinbetriebene Zweiräder, deren Besitzer sich oftmals kein Auto leisten können.

Auch die Flüssiggas-Subventionen seien nicht nur den Ärmsten der Armen zugute gekommen, wie es sich die Regierung zunächst vorstellt habe, sagte Bandhyopadhyay IPS. Nutznießer seien größtenteils die Angehörigen der "wohlhabenden urbanen Mittelschicht" gewesen. (Ende/IPS/ck/2010)


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http://www.unescap.org/Hdw/ppp/PPP09_Bkk/aitd.pdf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010