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ASIEN/098: Indien - Wallfahrten bedrohen Ökosystem (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2015

Indien: Wallfahrten bedrohen Ökosystem

von Athar Parvaiz


Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Pilger hinterlassen große Mengen an Plastikmüll am Himalaya
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

PAHALGAM, Indien (IPS) - Auf seinem Weg zur Pilgerstätte Amarnath im indischen Teil von Kaschmir sucht Mohan Kumar eine Stelle am Bach, die sauber genug ist, um sich niederzulassen und seine verschlammten Schuhe zu säubern. Doch während er sich umschaut, sieht er bloß immer mehr Dreck: Auf und neben dem Pfad zu einer der besucherstärksten religiösen Stätten weltweit liegt bergeweise Müll, Plastikflaschen und menschliche Exkremente verschmutzen außerdem das Bächlein, das neben dem Pfad entlangläuft.

Die 40 Meter hohe Amarnath-Höhle im Himalaya-Gebirge liegt 3.800 Meter über dem Meeresspiegel. In den Monaten Juli und August ist dort ein riesiger Stalagmit zu sehen, der den Hindu als lebende Anwesenheit des Gottes Shiva gilt. In diesen zwei Monaten besuchen daher mehr als 500.000 Pilger die Höhle.

Auf ihrem Fünftagesmarsch über den Pfad 'Amarnath Yatra' durch das Gebirge hinterlassen sie Berge von Müll und Fäkalien, die die Schönheit der Panoramablicke über die Gipfel und Täler des nordindischen Bundesstaats Jammu und Kaschmir schmälern.

"Ich verstehe einfach nicht, wie sich unsere Wallfahrt mit all dem Dreck am Rande des Pfades in Einklang bringen lassen soll", sagt der Pilger Kumar gegenüber IPS. "Ich hatte eine spirituelle Reise geplant, aber was ich hier sehe, widert mich einfach nur an. Wenn der Vandalismus weitergeht wie jetzt, dann wird in nicht allzu langer Zeit der Pfad einfach dicht gemacht."


Zehn Tonnen Müll pro Tag

Kumar ist nicht der einzige, der sich Sorgen über das zerbrechliche Ökosystem im Himalaya macht. Auch Umweltschützer und Gesundheitsexperten schlagen Alarm. Während im Jahr 1950 noch lediglich 4500 Pilger pro Jahr die Höhle besuchten, hat die Zahl seitdem stark zugenommen. In den späten 1990er Jahren kamen jährlich etwa 100.000 Menschen. 2012 waren es bereits 650.000 und damit rund 10.000 pro Tag. Hinzu kommen jeweils mehr als doppelt so viele Touristen, die sich nicht als Pilger verstehen. 1950 waren es noch 15.000, im Jahr 2012 bereits zwei Millionen.

Im renommierten Elsevier-Wissenschaftsverlag erschienen im Mai 2015 die Ergebnisse einer Studie zu nachhaltigem Tourismus im Kaschmir. Derzufolge übertrafen die Touristenströme vom Juli 2014 allein in die Kleinstadt Pahalgam um das Vierfache die Aufnahmekapazität des Ökosystems Himalaya.

Dem indischen Menschenrechtsaktivisten Gautam Navlakha zufolge sind die Zahlen vor allem seit 2002 stark angestiegen, nachdem der 'Shri-Amarnath-Schrein-Ausschuss' (SASB) gegründet worden war, ein Gremium, das allein aus Hindu besteht. Moslems, die die Mehrheit der Bevölkerung im Kaschmir stellen, sind darin nicht vertreten.

Wenige Jahre nach seiner Gründung erweiterte der Ausschuss den Besuchszeitraum der Pilgerstätte von einem auf zwei Monate. Umweltschützer hatten sich schon damals erfolglos gegen die Entscheidung ausgesprochen.

Für die Behörden bedeutet die große Zahl an Pilgern eine Mammutaufgabe. 7000 Sicherheitsleute sind während der 60 Tage im Einsatz, dazu kommen 1500 Ponys und genauso viele Männer, die Gepäck und Nahrung für die Pilger tragen.

"Ein Mensch verursacht pro Tag etwa ein Kilo Müll", sagte ein Mitarbeiter des Schadstoffamts der Stadt Srinagar gegenüber IPS. "Bei 100.000 Pilgern, die die Stätte täglich besuchen, bedeutet das, dass an jedem einzelnen Tag, an dem der Pfad begehbar ist, mindestens zehn Tonnen Müll hinterlassen werden."


Mangel an Sanitär- und Kläranlagen

Verantwortlich dafür sind nicht die Pilger allein. Dem Umweltwissenschaftler Riyaz Ahmed Lone zufolge, der die 'Pahalgam-Wohlfahrtsorganisation' leitet, reichen die Sanitär- und Abfallentsorgungsanlagen, die der 'Shri-Amarnath-Schrein-Ausschuss' entlang des Pilgerwegs zur Verfügung stellt, bei weitem nicht aus. Den Wanderern bleibt nichts anderes übrig, als sich an den Berghängen zu erleichtern.

Für die immerhin mehreren hundert Toiletten wurden bisher lediglich zwei Kläranlagen aufgestellt, die Mitarbeitern des Schadstoffamts zufolge nicht einmal richtig funktionieren. Notwendig wären mindestens vier weitere Anlagen ähnlicher Größe.

Neben dem Müll und den menschlichen Exkrementen ist am Rande des Pfades auch überall der in der Region weit verbreitete Kautabak Gotka zu sehen. Hinzu kommen außerdem die Fäkalien von Ponys und Eseln. Alles zusammen wird in das Bächlein gespült, das neben dem Pfad verläuft. Das wiederum fließt in die Flüsse Lidder und Sindh, die rund zwei Millionen Bewohner des indischen Teils von Kaschmir mit Wasser versorgen.


Bild: © Athar Parvaiz/IPS

Müll und Exkremente, die Pilger auf dem Weg zum Amarnath-Schrein hinterlassen, landen ungereinigt in den in der Nähe verlaufenden Flüssen
Bild: © Athar Parvaiz/IPS

85 Prozent der Wasserversorgung für die Menschen des Bundesstaats Jammu und Kaschmir stammt aus Oberflächengewässern aus den Bergen. Zu den Verschmutzungen im Himalaya hinzu kommen die Abwässer aus Hotelanlagen, die ebenso direkt in die Flüsse abgeleitet werden.

Im Hinblick auf Gesundheit und Hygiene ist die Wasserversorgung im Bundesstaat miserabel. Dem Gesundheitsministerium zufolge liegt Jammu und Kaschmir auf Platz 23 und damit auf einem der unteren Ränge der 30 untersuchten Bundesstaaten Indiens. Nach den aktuellsten Zahlen von 2011 hatten nur 41,7 Prozent der Bewohner Zugang zu Sanitäranlagen.

Die Lösung für das Müllproblem am Wallfahrtsort könnte sein, die Zahl der Pilger auf ein Tagesmaximum zu beschränken. Der Aktivist Navlakha verweist auf ähnliche Maßnahmen an der Quelle Gaumukh, eine religiöse Pilgerstätte ebenso im indischen Himalaya und am Manasarovar-See, eine der drei heiligen Stätten Tibets. Mehr als 3.000 Pilger pro Tag sollten nach der Vorstellung von Navlakha nicht zum Amarnath-Schrein zugelassen werden. (Ende/IPS/jk/20.08.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/08/kashmir-where-a-pilgrimage-threatens-a-delicate-ecosystem/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2015

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