Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2019
Die Geister, die wir riefen
Chemikalien belasten zunehmend Mensch und Umwelt - Zeit zu handeln!
Es braut sich eine stille Krise zusammen
Unsolides Chemikalienmanagement in Entwicklungsländern
von Gilbert Kuepououo
Eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Studien verbindet die Exposition gegenüber selbst sehr niedrigen Konzentrationen von Chemikalien in der Frühphase des Lebens mit einem Rückgang des Intelligenzquotienten (IQ), Verhaltensproblemen und einer Vielzahl anderer schwerwiegender gesundheitlicher Auswirkungen. Blei, Quecksilber, Dioxine und bestimmte Pestizide sind nur einige Beispiele für Chemikalien, denen der Mensch durch Umweltverschmutzung - einschließlich verunreinigter Luft, Lebensmittel und Wasser sowie der Exposition am Arbeitsplatz - ausgesetzt ist. Afrika hat es versäumt, diese Gefährdungen zu regulieren und ist eine Deponie für Abfälle, die anderswo anfallen. Die unverhältnismäßige Belastung des Kontinents durch Chemikalien wirkt sich wahrscheinlich bereits auf individuelle Bildungschancen aus und schränkt die wirtschaftliche Entwicklung ein.
Im Bewusstsein dieser Bedrohungen haben sich die Staats- und
Regierungschefs auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung (WSSD)
im Jahr 2002 für ein solides Management von Chemikalien während ihres
gesamten Lebenszyklus eingesetzt, "mit dem Ziel, die Produktion von
Chemikalien bis 2020 so zu gestalten, dass erhebliche negative
Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt minimiert
werden". Dieses Ziel wurde auch zur Vorgabe des Strategischen Ansatzes
zum Internationalen Chemikalienmanagement (SAICM). Von 2003 bis 2006
setzten sich afrikanische Länder für ein ehrgeiziges SAICM-Abkommen
ein. Sie sind der Ansicht, dass ein ebenso ambitioniertes Abkommen für
die Zeit nach 2020 dringend als Instrument zur Umsetzung des
WSSD-Ziels benötigt wird.
Wie hat SAICM Afrika geholfen?
SAICM bietet ein einzigartiges globales Forum, in dem die gesamte
Bandbreite der bekannten und neu entdeckten Gesundheits- und
Umweltprobleme, welche von Chemikalien ausgehen, identifiziert,
bewertet und angegangen werden kann. Das Rahmenwerk bündelt,
katalysiert und ermöglicht Bemühungen verschiedener Interessengruppen
aus allen Bereichen, Chemikaliensicherheit zu erreichen und alle
Quellen toxischer Belastung zu minimieren oder zu beseitigen. 14 Jahre
nach der Verabschiedung von SAICM ist der verantwortungsvolle Umgang
mit Chemikalien jedoch noch nicht in der Gesetzgebung verankert. Auch
wird Chemikalienmanagement in vielen afrikanischen Ländern nicht als
wichtiger Wert und Vorteil für die Gesellschaft angesehen oder als
unerlässlich, um Bildungschancen zu gewährleisten.
Einer der Erfolge von SAICM in Afrika besteht darin, das Verbot von Bleifarben erreicht zu haben. Darüber hinaus wurde die Sicherheit von elektronischen und elektrischen Geräten verbessert sowie der Einsatz von Pestiziden reduziert oder beendet und die integrierte Schädlingskontrolle vorangetrieben. Außerdem wurden die Ziele von SAICM zur Risikominderung, Wissensvermittlung, Information und zum Aufbau von Kapazitäten in Bezug auf gefährliche Chemikalien in Produkten angegangen. Diese Arbeit trug dazu bei, die Ratifizierung chemikalienbezogener Übereinkommen in Afrika zu fördern, und das politische Engagement für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu verstärken. Leider reichen diese politischen Verpflichtungen nicht aus, denn die Umsetzung der Instrumente ist eine große Herausforderung für Länder, die Schwierigkeiten haben, ihrer Bevölkerung auch nur eine Grundversorgung zu bieten. Diese Schwierigkeiten sind auf die von vornherein unzureichende Finanzierung für die Implementierung dieser Übereinkommen und Vereinbarungen zurückzuführen.
Wie unterscheiden sich die Bedürfnisse zwischen Nord und Süd?
Es gibt zwei widersprüchliche Interessen, welche die Regierungen aus
Nord und Süd trennen: Die Industrieländer wollen ihre nationalen
Rechtsinstrumente durch internationales Recht globalisieren, während
Entwicklungs- und Schwellenländer erwarten, dass sie das Völkerrecht
nutzen können, um ihre nationalen Rechtsrahmen in Bezug auf
Gesundheits- und Umweltfragen zu gestalten. Im Allgemeinen sind die
Industrieländer nicht auf bereits bestehende internationale Normen
beschränkt, um im Inland zu handeln.
So verfügten beispielsweise viele Industrieländer bereits über Rechtsinstrumente, um die Quecksilberbelastung auf nationaler Ebene zu minimieren, aber sie erkannten, dass diese nicht ausreichten, um sich vor der Belastung aus externen Quellen zu schützen. Afrikanische Länder hatten keine solche Vorschriften, waren aber eher von der Quecksilberbelastung betroffen. Dieser Unterschied kann zu Schutzlücken führen, wenn die Bedürfnisse der Entwicklungsländer bei der Erarbeitung internationaler Bestimmungen nicht berücksichtigt werden. So ist beispielsweise die offene Verbrennung von Abfällen zur Quecksilbergewinnung für afrikanische Länder von großer Bedeutung, wird aber im Minamata-Übereinkommen nicht behandelt. Infolgedessen können sich die Entwicklungsländer nicht auf diese sogenannte Quecksilber-Konvention berufen, um eine innerstaatliche Regelung zur Kontrolle der Quecksilberbelastung aus dieser verbreiteten Verschmutzungsquelle zu erlassen.
Diese Bedürfnisdiskrepanz trat sogar in Bezug auf Bleifarben auf. So mussten wir beispielsweise in Kamerun nachweisen, dass 90 parts per million (ppm) Gesamt-Blei ein anerkannter internationaler Standard für bleisichere Farben ist, bevor wir diesen Wert als Referenz für die Entwicklung unseres nationalen Gesetzes zum Verbot von Bleifarben verwenden konnten. Es dauerte Jahre, bis die politischen EntscheidungsträgerInnen die 90 ppm-Grenze akzeptierten. Erst als die Global Alliance to Eliminate Lead in Paint (GAELP) diesen Standard verbreitete, konnten Entscheidungsträger überzeugt und das Gesetz erlassen werden.
Maßnahmen gegen hochgefährliche Pestizide (HHPs), die für erhebliche Gesundheits- und Umweltschäden verantwortlich sind, werden nur sehr langsam ergriffen, da es keine international anerkannte Liste von HHPs gibt, obwohl bereits Kriterien für deren Erstellung bestehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kameruns Ansatz zur Regulierung gefährlicher Chemikalien, wie der vieler Entwicklungsländer, stark von der bereits bestehenden internationalen Gesetzgebung geprägt ist.
Warum gehen Entwicklungsländer Verpflichtungen ein, die sie kaum
einhalten können?
Der wichtigste Aspekt globaler Chemikalienabkommen in Entwicklungs-
und Schwellenländern ist die finanzielle Unterstützung bei der
Umsetzung, da diese Länder nur begrenzte Ressourcen und Kapazitäten
zur Verfügung haben. Leider ist dies noch nie in einem solchen Umfang
geschehen, dass Entwicklungs- und Schwellenländer ausreichende
Maßnahmen ergreifen konnten. Selbst wenn Hilfe angeboten wird, werden
Geber ihren Versprechungen unserer Erfahrung nach oftmals nicht
gerecht. Dies wird als Betrug oder mangelndes Engagement wahrgenommen.
Es entsteht der Eindruck, dass SAICM-InteressensvertreterInnen viel
Ressourcen und Energie aufwenden, um Aktionspläne und Resolutionen zu
entwickeln, aber weniger für deren Umsetzung unternehmen. Ein
wichtiger Schritt wäre es diesbezüglich, Chemikalien als politische
Priorität zu definieren und sie in dem Komplex nachhaltige Entwicklung
und internationale Zusammenarbeit zu behandeln.
Während SAICM-VertreterInnen ein neues Rahmenwerk für die Zeit nach 2020 aushandeln, ist es unmöglich, sich eine Zukunft ohne umfassende internationale Anstrengungen zur Verbesserung der Chemikaliensicherheit vorzustellen. Ein gestärktes Rahmenwerk mit angemessener politischer Priorität wird für die Zukunft Afrikas essenziell sein. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden bei diesen Bemühungen eine wichtige Rolle spielen, so wie sie auch bei der Umsetzung von SAICM von Bedeutung waren. Das Centre de Recherche et d'Education pour le Développement (CREPD) zeigt, wie wichtig es ist, dass mehrere Interessengruppen zu Vorschriften über Blei in Farben, über die Verringerung der Quecksilberbelastung oder zu anderen Fragen der Chemikaliensicherheit in Kamerun beitragen. Dies war unter anderem durch die Finanzierung des Schnellstartprogramms im Rahmen von SAICM möglich, welche die Regierung auch bei der Umsetzung unterstützte.
Als SAICM-Präsident spielt Deutschland eine Schlüsselrolle bei der Schaffung eines Rahmens, der es ermöglicht, einen Großteil der weltweit dringlichsten Probleme der Chemikaliensicherheit durch ein Abkommen anzugehen. Dieses muss natürlich mit der gebotenen politischen Priorität und angemessenen Ressourcen ausgestattet werden. Wir haben keinen Zweifel daran, dass Deutschland dieser Aufgabe gewachsen ist und sie im Sinne der Nord-Süd-Solidarität für eine gesündere und sicherere Welt angeht.
Autor
Gilbert Kuepououo ist Mitbegründer und seit 2005
Leiter von CREPD, einer gemeinnützigen NGO mit Sitz in Kamerun.
Aus dem Englischen von Lina Gerstmeyer.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
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Quelle:
Rundbrief 4/2019, Seite 6 - 7
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 920
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Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2020
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