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ENERGIE/044: Japan - Atommeiler gehen wieder ans Netz, alternative Energien für Versorger zu teuer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2012

Japan: Atommeiler gehen wieder ans Netz - Alternative Energien für Versorger zu teuer

von Richard Johnson



London, 4. Juli (IDN/IPS) - Der Neustart des Ohi-Atomreaktors in der japanischen Präfektur Fukui deutet auf eine folgenschwere Entwicklung hin. Fast 15 Monate nach der Kernschmelze im Kraftwerk Fukushima ist Ohi der erste Reaktor, der wieder ans Netz geht. Erst im Mai dieses Jahres war der letzte Meiler aus Sicherheitsgründen abgeschaltet worden.

Gegen die erneute Inbetriebnahme von Ohi hat es in der Hauptstadt Tokio massive Proteste gegeben. Auch der Bürgermeister der Stadt Osaka, Toru Hashimoto, sprach sich dagegen aus. Auf einer Aktionärsversammlung der Betreiberfirma 'Kansai Electric Power Co' (Kepco) forderte Hashimoto das Management auf, bei seinen Geschäftsstrategien nicht länger von einer Nutzung der Atomkraft auszugehen.

Medienberichten zufolge erklärte Hashimoto vor den Kepco-Aktionären: "Wir stehen vor einem epochalen Wandel bei der Energieversorgung. Die Verantwortlichen sollten dies bedenken und ein neues Versorgungssystem aufbauen." Die Stadt Osaka hält 9,5 Prozent der Anteile an Kepco.

Die Aktionäre des Unternehmens votierten dennoch gegen alle Anträge, die Verwendung von Atomkraft einzuschränken oder ganz aufzugeben. Insgesamt waren Kepco 28 Vorschläge vorgelegt worden, in denen ein Übergang von Kernkraft und fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen gefordert wurde. Nicht nur Osaka, sondern auch die Städte Kobe und Kyoto wollten eine endgültige Schließung aller Reaktoren erreichen.

Hochrangige Manager von Kepco warnten jedoch davor, dass umgerechnet etwa 11,3 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Kosten für Treibstoffe anfallen würden, wenn die von der Firma betriebenen Reaktoren nicht hochgefahren würden. Kepco-Präsident Makoto Yagi erklärte, Atomkraft solle weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Energieversorgung in Japan spielen.

Nachdem Regierungschef Yoshihiko Noda kürzlich seine Einwilligung erteilte, wird Kepco voraussichtlich am 17. Juli einen weiteren Kernreaktor wieder einschalten.


Auch Fukushima-Betreiber 'Tepco' hält an Atomstrom fest

Nach Informationen des Nachrichtendienstes 'World Nuclear News' (WNN) zeigt sich auch der durch die Fukushima-Katastrophe ins Zwielicht geratene Betreiber 'Tepco' unerbittlich. Auch dessen Aktionäre stimmten Ende Juni gegen die permanente Schließung der aus sieben Reaktoren bestehenden Anlage von Kashiwazaki Kariwa in der Präfektur Niigata und den Einsatz von Gasturbinen.

Nachdem die Regierung im Mai eine Änderung des zehnjährigen Geschäftsplans von Tepco gebilligt hatte, erklärten sich die Anteilseigner damit einverstanden, dass der japanische Staat für die Bereitstellung von 12,5 Milliarden Dollar erneut Hauptaktionär der Firma wird. Damit erhält die Regierung mehr als die Hälfte der Stimmrechte und kann so Reformen innerhalb des Unternehmens durchsetzen. Die staatlichen Zuschüsse für Tepco steigen damit laut WNN auf insgesamt 43,8 Milliarden Dollar.

Nach Einschätzung von Beobachtern kann diese Maßnahme das Versorgungsunternehmen vor dem Zusammenbruch bewahren. Denn auf Tepco sind nach den Vorfällen in Fukushima massive Entschädigungsforderungen und Aufräumkosten zugekommen.

"Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Tepco ist beschädigt", sagte Tokios Vizegouverneur Naoki Inose. Das Unternehmen müsse sich darüber im Klaren sein, dass eine vollständige Reform durch mehr Transparenz notwendig sei. Die Stadtverwaltung der Hauptstadt ist mit 2,7 Prozent an dem Versorger beteiligt. Nach dem Treffen setzte Tepco einen von der Regierung genehmigten Vorsitzenden und Präsidenten ein. Naomi Hirose, der bisherige geschäftsführende Direktor der Firma, löste Toshio Nishizawa ab.

Die Verluste des Unternehmens im Finanzjahr 2012 wurden mit 9,8 Milliarden Dollar angegeben. Die Hälfte dieser Summe entfällt auf Schadenersatzzahlungen und Aufräumarbeiten. Die weiteren Verluste gehen auf die gestiegenen Kosten für die Stromerzeugung in Japan zurück. Wenn Tepco seine Reaktoren neu starten und die Verbraucher stärker zur Kasse bitten darf, rechnet das Unternehmen damit, im Zeitraum 2013/2014 erneut die Gewinnzone zu erreichen.


Japan größtenteils von Energieimporten abhängig

Nach Angaben der 'World Nuclear Assocation' muss Japan etwa 84 Prozent der benötigten Energie importieren. Der erste kommerzielle Atomreaktor wurde 1966 in Betrieb genommen. Seit der Ölkrise 1973, als dringend Alternativen für fossile Brennstoffe gesucht wurden, hat Kernkraft in Japan eine nationale strategische Bedeutung. Damals waren in dem Land bereits fünf Atomreaktoren am Netz, und der Sektor wuchs in den folgenden Jahren weiter.

Nach dem Unfall in Fukushima im März 2011 wurde die hohe Nutzung des Nuklearstroms allerdings auf den Prüfstand gestellt. Die Regierung veröffentlichte im Oktober ein 'Weißbuch', in dem sie erklärte, dass die Abhängigkeit des Landes von Atomenergie mittel- bis langfristig so weit heruntergefahren werden solle wie möglich.

Die 50 größten Atommeiler in Japan haben etwa 30 Prozent zu der Elektrizitätsproduktion im Land beigetragen. Zunächst war von einem Anstieg auf mindestens 40 Prozent bis 2017 ausgegangen worden. Das Land verfügt über einen vollständigen Brennstoffkreislauf, einschließlich der Anreicherung und der Wiederverwertung von gebrauchtem Treibstoff.

Obwohl Japan als einziges Land am Ende des Zweiten Weltkriegs die verheerenden Auswirkungen der Atombombe zu spüren bekam, setzte das Land auf die friedliche Nutzung von Kernkraft bei der Stromversorgung. Allein zwischen 2009 und Anfang 2011 stieg der Anteil des Atomstroms von 29 auf fast 30 Prozent der gesamten Menge von 47,5 Gigawatt. Ursprüngliche Pläne sahen vor, dass der Anteil bis 2017 auf 41 Prozent und bis 2030 auf 50 Prozent steigen sollte.

2010 produzierte Japan Elektrizität im Umfang von insgesamt 1,08 Billionen Kilowattstunden brutto. Jeweils 27 Prozent wurden durch Kohle, Gas und Atomenergie erzeugt, neun Prozent aus Erdöl und sieben Prozent durch Wasserkraft. In dem Jahr war die Leistung der Kernkraftwerke infolge eines Erdbebens Mitte 2007 weiterhin eingeschränkt. Der Gesamtverbrauch an Strom lag bei 965 Milliarden Kilowattstunden, das bedeutet 7.500 Kilowattstunden pro Einwohner. (Ende/IPS/ck/jt/2012)

* Der von 'Global Cooperation Council' und 'Globalom Media' erstellte Informations- und Analysendienst IDN-InDepthNews ist Partner von IPS-Deutschland.


Links:

http://world-nuclear-news.org/
http://www.world-nuclear.org/
http://www.indepthnews.info/index.php/global-issues/1028-japan-finds-it-hard-to-abandon-nuclear-energy

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IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2012