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ENERGIE/071: Chile - Absage an umstrittenes Wasserkraftprojekt in Patagonien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Juni 2014

CHILE: Absage an umstrittenes Wasserkraftprojekt in Patagonien

von Marianela Jarroud


Bild: Mit der freundlichen Genehmigung von 'Greenpeace Chile'

Mitglieder der Kampagne 'Patagonien ohne Staudämme' feiern die Absage der Regierung an das Wasserkraftprojekt 'HidroAysén'
Bild: Mit der freundlichen Genehmigung von 'Greenpeace Chile'

Santiago, 11. Juni (IPS) - Nach sechsjährigen Protesten und zahlreichen Gerichtsverfahren gegen das umstrittene Wasserkraftwerksprojekt 'HidroAysén' im südchilenischen Patagonien hat die Regierung in Santiago das Vorhaben jetzt storniert.

"Das ist ein historischer Tag", erklärte Juan Pablo Orrego, der internationale Koordinator der Kampagne 'Patagonien ohne Staudämme', nach der Bekanntgabe der Regierungsentscheidung vom 10. Juni. "Es berührt mich zutiefst, dass die Bürger - denn schließlich handelt es sich um ihren Sieg - die Regierung doch noch dazu bewegen konnten, das Richtige zu tun."

Die Absage war das Ergebnis einer dreistündigen Sitzung, auf der sich die Minister für Umwelt, Energie, Landwirtschaft, Bergbau, Wirtschaft und Gesundheit geschlossen hinter die insgesamt 35 Einwände der Projektgegner stellten. "Der Ministerausschuss hat beschlossen, die von den Bürgern vorgebrachten Beschwerden zu akzeptieren und die Umweltgenehmigung für das HidroAysén-Projekt zurückzuziehen", erklärte Umweltminister Pablo Badenier vor Journalisten.

HidroAysén ist ein Joint Venture des italienischen Energieriesen 'Endesa-Enel', der 51 Prozent der Aktien hält, und der chilenischen Firma 'Colbún'. Diese haben nun 30 Tage Zeit, um die Regierungsentscheidung vor einem Umweltgericht in der südchilenischen Stadt Valdivia anzufechten.


Wahlkampfversprechen eingelöst

Während ihres Wahlkampfes hatte die seit März zum zweiten Mal amtierende sozialistische Präsidentin Bachelet erklärt, dass die Staudämme nicht umsetzungsfähig seien. Im Mai, als die Regierung ihre Energiepläne vorstellte, erklärte sie, dass sie sich anders als ihr Amtsvorgänger Sebastián Piñera (2010-2014), der Wasserkraft befürwortet, für die Nutzung von alternativen Energien und Gas einsetzen werde.

Das im August 2007 vorgestellte HidroAysén-Projekt sah den Bau von fünf großen Staudämmen an den Flüssen Baker und Pascua auf einer Gesamtfläche von 5.910 Hektar vor. Geplant war zudem eine 1.912 Kilometer lange Stromleitung durch neun der 15 chilenischen Regionen. 2008 stimmten 32 der 34 zuständigen öffentlichen Einrichtungen gegen das Vorhaben.

Umweltgruppen und einige Regierungsvertreter schlugen daraufhin als Präventivmaßnahme gegen das Großprojekt vor, für die südliche Region Aysén den Welterbestatus der Weltkulturorganisation UNESCO zu beantragen. Patagonien ist nicht nur wegen seines ungeheuren Artenreichtums ein Juwel. Es ist zudem eines der größten Wasserreservoirs der Erde.

Chiles installierte Energieleistung liegt bei 17.000 MW. 74 Prozent werden in das das zentrale Stromversorgungsnetzwerk SIC, 25 Prozent in das für den Norden zuständige SING und der Rest in die mittelgroßen Stromnetze von Aysén und Magallanes im Süden eingespeist. Die Stromerzeugungskapazität von HidroAysén wurde mit 2.750 Megawatt (MW) angegeben.


Hohe Stromproduktionskosten

Chile muss derzeit 97 Prozent seiner fossilen Energieträger importieren. Der Energiemix des Landes setzt sich zu 40 Prozent aus Wasserkraft zusammen, den Rest steuern fossile Brennstoffe bei, mit denen Wärmekraftwerke betrieben werden. Dadurch, dass Chile keine eigenen Öl- und Gasreserven besitzt, sind die Stromproduktionskosten des Landes die höchsten Lateinamerikas. Die MW-Stunde kostet das südamerikanische Land 160 US-Dollar. In Peru sind es dagegen 55 Dollar, in Kolumbien 40 und in Argentinien sogar nur zehn Dollar.

Der Geschäftsführer der Vereinigung der Elektrizitätsunternehmen (ASEL), Rodrigo Castillo, erklärte am 10. Juni, dass sich die Entscheidung gegen HidroAysén "auf ein spezifisches Projekt bezieht und eine künftige Ausbeutung der Wasserkraft im Süden Chiles nicht per se ausschließt".

Wie René Muga, Leiter der Vereinigung der Stromerzeuger (AGG), betonte, sollte HidroAysén 40 Prozent der Energie generieren, die das Land in den nächsten zehn Jahren braucht. Seinen Angaben zufolge entspricht dies in etwa der Energie, die in sieben oder acht Kohlekraftwerken generiert wird.

Laut Juan Pablo Orrego hat die Entscheidung der Bachelet-Regierung politische Konsequenzen. Sie besiegelt "das Ende der Ära der Mega-Wärme- und Wasserkraftwerke". Der Umweltschützer sprach von einem "mutigen Schritt", unterstrich jedoch, "dass uns allen klar ist, dass die Entscheidung letztendlich von den Bürgern getroffen wurde. Die vielen Jahre des Widerstands haben sich in einem durchschlagenden Erfolg der Bürger niedergeschlagen."

Orrego, der 1998 mit dem alternativen Nobelpreis 'Right Livelihood Award' ausgezeichnet worden war, dankte auch Chiles "Verbündeten" in Ländern wie Argentinien, Belgien, Italien und Spanien für deren Unterstützung.


Erfolgreiche Kampagne

Der von Orrego und der prominenten Umweltschützerin Sara Larraín geführten Kampagne Patagonien ohne Staudämme war es gelungen, das gesamte Land gegen das HidroAysén-Projekt zu mobilisieren. In Meinungsumfragen erklärten drei Viertel aller Befragten, gegen die Dämme zu sein. Und Anfang 2011 nahmen mehr als 100.000 Menschen an Protesten gegen HidroAysén teil.

Patricio Segura vom 'Bürgerlichen Bündnis für das Aysén-Reservat des Lebens', erklärte gegenüber IPS, dass die Regierung ein Projekt verhindert habe, "das nur durch Lobbyarbeit und Druck vorankommen konnte". Segura zufolge hat das Projekt die Menschen in Aysén stark polarisiert. Dank der Entscheidung der Regierung könne man nun endlich über einen souveränen und nachhaltigen Energiemix für Aysén nachdenken. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:
http://www.ipsnoticias.net/2014/06/chile-cierra-la-compuerta-a-hidroaysen-y-la-patagonia-celebra/
http://www.ipsnews.net/2014/06/chiles-patagonia-celebrates-decision-against-wilderness-dams/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2014