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FRAGEN/021: Miriam Miranda - "Wenn wir Frauen nicht die Umwelt verteidigen, dann knallt der Planet auseinander" (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Honduras

"Wenn wir Frauen nicht die Umwelt verteidigen, dann knallt der Planet auseinander"



Bild: Felipe Canova, via flickr [(CC BY-NC 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/]

Miriam Miranda
Bild: Felipe Canova, via flickr (CC BY-NC 2.0)
https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

(Madrid, 05. Oktober 2019, público) - Miriam Miranda, Kampfgefährtin von Berta Cáceres und Verteidigerin der indigenen Rechte in Honduras, über Gewalt in den lokalen Gemeinschaften und über die aktuelle Klimakrise in den Ländern der südlichen Hemisphäre.

Sie kommt aus Honduras, wo die Ressourcen der Erde ein Synonym für den Tod sind. Miriam Miranda, die sich an Berta Cáceres als ihre "Gefährtin im Kampf", erinnert, ist eine der bedeutendsten Menschenrechtsverteidigerinnen Lateinamerikas. Eine dieser Frauen, die gegen das kämpft, was kommt und jeden Tag dem Tod ins Auge sieht. Zwischen 2010 und 2017 wurden in ihrem Land 120 Umweltaktivist*innen ermordet. Aber die Angst hält sie nicht auf.

Miranda, Koordinatorin der Black Fraternal Organization of Honduras (OFRANEH), kommt nach Spanien, um auf die Verfolgung und Vernichtung des Volks der Garífuna sowie auf die von der Rohstoffgewinnung ausgehende Gefährdung der indigenen Gesellschaften in ihren angestammten Gebieten aufmerksam zu machen.


Honduras ist ein tödlicher Ort für die Verteidiger der Erde. Außer über Berta Cáceres weiß man in Europa nichts von diesem Problem - warum?

Man will verschleiern, was mit den Verteidigerinnen des Landes passiert. Die internationale geostrategische Politik beschäftigt sich nicht viel mit Honduras. Deshalb ist die Situation in unserem Land nicht besonders bekannt. Zum Beispiel wissen nur sehr wenige Menschen in Spanien, dass Honduras bereits mehrere Staatsstreiche erlebt hat. Derzeit läuft in den Vereinigten Staaten ein politischer Prozess gegen den Bruder des derzeitigen Präsidenten, Juan Orlando Hernández, weil er von Chapo Guzmán Geld erhalten hat. Aber das ist nichts Neues.

Aber man spricht in Spanien über andere Länder wie Venezuela oder Nicaragua ... dann hat das mit den Umweltressourcen in diesen Ländern zu tun?

Auf jeden Fall. Honduras hat kein Öl. Venezuela hat es. In den letzten Jahren wurde vermehrt über Venezuela und Nicaragua berichtet. Das hat mit der internationalen Politik zu tun. Die Länder, die als sozialistisch katalogisiert wurden, erfahren mehr Aufmerksamkeit in den internationalen Medien. Ein kleines und so unglückliches Land wie Honduras weckt keine Aufmerksamkeit. Dabei gehört unser Land zu den Staaten mit der höchsten Abwanderungsrate in die USA. Tausende und Abertausende Honduraner*innen stehen an den Grenzen. Die Menschen leben unter extremen Bedingungen, und niemand beachtet sie.

Zurück zu Berta Cáceres - was bedeutet ihre Ermordung für die Verteidiger*innen des Landes? Gab es irgendwelche Fortschritte, seitdem sie ermordet wurde?

In einem Land ohne Rechtsstaatlichkeit ist es schwierig, Gerechtigkeit zu schaffen. In Bertas Fall wurde eine Reihe von Personen inhaftiert, die sie getötet haben, aber gegen die Drahtzieher, jene mit ökonomischer Macht, wurden keine rechtlichen Schritte eingeleitet. Im Hinblick auf Berta Cáceres gibt es für uns ein Vorher und ein Nachher. Berta hat ein sehr wichtiges Erbe hinterlassen, und sie hat auch den sozialen Bewegungen viel Kraft gegeben. 27 Jahre meines Lebens habe ich mit Berta verbracht, sie war meine Genossin und Begleiterin im Kampf, und ich habe den Verlust noch nicht überwunden, den ihre Ermordung für mich bedeutet. Sie ist eine sehr wichtige Person für das honduranische Volk. Wir werden nicht aufhören, für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Auch du leidest unter der Gewalt, die Cáceres erlitten hat: Du wurdest entführt, bedroht und geschlagen ... Hast du je daran gedacht, den Kampf aufzugeben?

Nein, im Gegenteil. Ich möchte auch das Land nicht verlassen. Das ist eine persönliche Entscheidung. Ich werde nicht vor meiner Verantwortung und meinem Engagement für die Rechte der Garifuna und des honduranischen Volks davonlaufen. Ich bin praktisch nicht mehr frei, denn ich habe keinerlei Sicherheit, nur die, die ich mit meinem Volk schaffen kann. Wir verdienen ein anderes Schicksal, und deshalb werde ich weiter kämpfen.

Was bedeutete der Staatsstreich 2009 für die Rechte der indigenen Gemeinden?

Davor war es etwas anderes. Der Staatsstreich bedeutete die Zerschlagung der Institutionen. Wenn ein Land keine arbeitsfähigen Institutionen hat, verlieren die Bürger*innen alle ihre Rechte. Dieser Staatsstreich gab Unternehmen und mächtigen Kooperativen, die die Umweltressourcen eines Landes an sich reißen wollen, das Recht, die Tür sehr weit aufzuhalten. Eins der größten Probleme unseres Landes ist das Gesetz über die Einrichtung von speziellen Entwicklungszonen; in diesen Regionen kann ein Staat im Staate gegründet werden. Das bedeutet, jemand, der viel Geld hat, kann auf alle Territorien zugreifen und sie erwerben, alle, die er haben möchte. Das ist eine Gefahr für die Garifuna-Gemeinden. Nach dem Staatsstreich wurden viele Gesetze verabschiedet, die Investitionen garantierten und die gegen die angestammten Rechte der indigenen Gemeinschaften verstoßen.

Sind spanische Unternehmen an der Verletzung der Menschenrechte in Honduras beteiligt?

Die Minenindustrie übt wegen des Bodens Druck aus. Das ist der Hauptgrund, weshalb die Verteidigerinnen des Landes ermordet werden. Die großen Unternehmen benutzen honduranische Landgesellschaften, um sich zu tarnen. Es gibt eine ganze Reihe von Strategien, mit denen internationale Akteure die Minenprojekte unterstützen, man kann nicht direkt identifizieren, um wen es sich handelt. Es gibt Kreditgeber und Unternehmer, die bei den internationalen Konzernen einsteigen. Ich könnte dir nicht sagen, ob es da spanische Geschäftsleute gibt oder nicht, das haben wir nicht herausgefunden. Aber wir wissen, dass viele der Rohstoffunternehmen mit internationalem Kapital finanziert werden.

Müssen sich Honduras' indigene Gemeinden mit dem Drogenhandel beschäftigen?

Honduras wird als Narkostaat eingestuft. Sie nutzen die Landnahme, um afrikanische Palmen zu produzieren und Geld zu waschen. Im Jahr 2014 wurden wir von Auftragskillern der Drogenmafia entführt. In einem sehr wichtigen Küstengebiet - Vallecito - wollten sie uns töten. Es ist sehr schwierig für mich, über ein Thema zu sprechen, das mich so tief berührt.

Wir versuchen, die Oberhand über ein Gebiet zu halten, in dem täglich bewaffnete Menschen unterwegs sind. Wir leben an der Küste, ganz in der Nähe von Lagunen und dem Meer, das heißt, in einem für den Drogenhandel strategisch günstig gelegenen Gebiet. Jeden Tag tauchen Einheiten auf, perfekt organisiert, die unseren Kampf sehr schwierig und gefährlich machen.

Aber es ist umso schwieriger, wenn man darüber hinaus weiß, dass es Militärbehörden und Justizbeamte gibt, die korrupt sind. Wenn du zu ihnen gehst, dann setzt du dein Leben aufs Spiel. Da ist man absolut hilflos.

Wie verteidigt ihr euch gegen diese Angriffe?

Wir können nicht mit noch mehr Gewalt auf die Gewalt reagieren. Im Fall Vallecito haben wir friedliche Arbeit geleistet. Solidarität ist wichtig, und vor allem braucht es Menschen, die zeigen, was passieren kann. Das heißt, wir haben ein Kommunikationssystem geschaffen, mit dem wir schnelle Warnmeldungen versenden können. Wir haben unsere eigenen internen Strategien, die uns geholfen haben, Gebiete aus den Händen des Drogenhandels zu befreien. Wir müssen kreativ sein, ich kann dir nicht verraten, was wir genau tun, aber ich kann dir versichern, dass wir friedlich arbeiten. Tatsächlich haben wir das Vallecito-Gebiet zu einer waffenfreien Zone erklärt.

Welche Rolle spielen Frauen bei der Verteidigung von Land und indigenen Gemeinden?

Wenn wir Frauen uns nicht an der Verteidigung der natürlichen Ressourcen beteiligen, und das ist gleichbedeutend mit der Verteidigung des Lebens an sich, wird dieser Planet letztlich auseinanderfliegen. Heute sind Frauen in den territorialen Kämpfen präsent. Wir gebären nicht nur das Leben, wir gebären auch Bewegungen, wir gebären Ideen ... Deshalb ermordet man uns. Die Tatsache, dass wir als politische Subjekte bei der Verteidigung von Natur und Mensch jetzt mehr im Vordergrund stehen, macht uns zu leichten Zielscheiben. Frauen leiden unter vielem, worunter Männer nicht leiden. Da wäre das Thema Stigmatisierung; Schmierkampagnen wie gegen die Kämpferinnen gibt es nicht gegen Männer. Berta hat das erlitten und ich auch.

Kommt diese Art der Kriminalisierung auch aus euren eigenen Gemeinden?

Insbesondere Frauen, die eine Führungsrolle in gemischten Gruppen übernehmen, erleiden Diskreditierung und Aggression durch ihre männlichen Kameraden. Wenn Frauen in ihrem Kampf über die Ziellinie hinausschießen, fühlen sich Männer in Gefahr, und das sollte nicht passieren, denn wir kommen gemeinsam und wollen gemeinsam etwas aufbauen. Wenn wir alle zusammenhalten, dann ist die Last insgesamt geringer. Machismus und Patriarchat machen Frauen zu einer Gefahr für ihre Kameraden im Kampf. Das ist etwas, wogegen wir vorgehen müssen.

Im Moment gibt es weltweit eine wachsende Klimabewegung, wie steht die Garífuna-Gemeinde dazu?

Wir haben schon in der Vergangenheit für den Schutz des Klimas gekämpft. Für einige ist das eine Mode, für uns ist es ein permanenter Kampf. Wir erkennen jetzt, angesichts der weltweiten Aufmerksamkeit, dass der gesamte Planet in Gefahr ist. Wir arbeiten ständig und themenübergreifend an der Verteidigung der natürlichen Ressourcen. Wenn wir Wälder, Flüsse oder Berge verteidigen, kämpfen wir für das Klima. Mit unserer internationalen Kampagne wollen wir zeigen, dass die Verteidigung des Planeten durch die indigenen Gemeinden eine sehr lange Tradition hat.

Laut IPCC-Berichten sind indigene Völker viel anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. Ist dir bewusst, wie stark sich euer Leben dadurch verändern kann?

Wir spüren es bereits. Wir haben jetzt schon Gemeinden, die durch den steigenden Meeresspiegel vertrieben wurden. Wir wissen, dass wir uns in einer unumkehrbaren Situation befinden. Honduras ist eins der klimatisch am stärksten gefährdeten Länder. Wenn man sich das mal auf einer Karte anguckt, wird man feststellen, dass die Gemeinden, die am meisten für den Klimaschutz eintreten, auch die am meisten gefährdeten sind. Aber kaum verteidigen wir Umweltressourcen gegen touristische Megaprojekte, sagt man uns, wir seien rückständig und gegen jede Entwicklung. Aber die Wissenschaft gibt uns recht.

Gibt es angesichts des drohenden Klimawandels, der brennenden Amazonasgebiete und des Aufkommens faschistischer Regierungen überhaupt noch Hoffnung für indigene Gemeinden?

Das Klima wird uns die Rechnung präsentieren, im Süden wie im Norden. Ich hoffe, dass uns das Klima eine Lektion erteilt und uns dazu bringt, über unsere Lebensweise nachzudenken. Das Klima wird uns noch eine Lehre sein, es ist wichtig, dass die Menschen das begreifen. Wir dürfen nicht bei diesem Marathon der Selbstzerstörung mitmachen. Wir, die indigenen Gemeinden, leben in permanentem Widerstand und kämpfen für das Klima. Aber wir sagen den Menschen im Norden auch, dass wir es leid sind, in diesen Kampf die treibende Kraft zu sein. Die Städte hängen stark davon ab, was in ländlichen Gebieten passiert. Die Kämpfe, die wir dort führen, helfen auch den Menschen in den städtischen Gebieten. Der Norden muss sich genauso einmischen und erkennen, dass die Verteidigung des Lebens auch ihn etwas angeht. Zusammengefasst, nicht alle Probleme werden in der Hauptstadt gelöst. Es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen, manchmal vergessen wir das. Wir müssen menschlicher werden, anders werden wir diesen Planeten nicht retten.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2019

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