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GLOBAL/108: Umwelt und Entwicklung - Der lange Weg der Konvergenz (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Der lange Weg der Konvergenz
Warum die Verbindung von Umwelt und Entwicklung so dringlich ist - und warum so schwer

von Marie-Luise Abshagen



Endlich haben Umweltthemen die Diskussion um neue Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele erreicht. In der 8. Sitzung der Open Working Group on Sustainable Development Goals wurden vom 3.-7. Februar 2014 unter anderem die Themenfelder Biodiversität, Wälder sowie Meere und Ozeane diskutiert. Der internationale Prozess hat dazu geführt, dass nun auch zahlreiche Umweltorganisationen klare Position beziehen über die Notwendigkeit, Entwicklung und Umwelt in der Post-2015-Agenda zu verbinden. Trotzdem scheint Umwelt zweitrangig zu bleiben.


Im September 2013 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die bis dato parallel laufenden Prozesse der Formulierung von Nachfolgezielen der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) und der Ausarbeitung von Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals SDGs), die auf der Rio+20-Konferenz angestoßen wurde, zusammenzuführen. Die neue sogenannte Post-2015-Agenda wird dementsprechend Entwicklungsziele gleichermaßen wie Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele beinhalten.

Damit wurde der Grundstein dafür gelegt, anzuerkennen, dass klassische Entwicklungsthemen wie Armuts- und Hungerbekämpfung nicht losgelöst vom Schutz von Ökosystemen und Biodiversität angegangen werden können. Und dass umgekehrt der weltweite Raubbau an der Natur durch Rohstoffentnahme, Übernutzung und Verschmutzung in erster Linie auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen wird und Ungerechtigkeiten verstärkt. Mit der Besinnung auf die Komplexität globaler Probleme und dem Verständnis, dass diese nur mit einem holistischen Ansatz gelöst werden können, scheint die Grundlage der neuen Entwicklungsziele eigentlich erfolgsversprechend. Soweit so gut.

Problematisch wird es dann, wenn es an die konkrete Benennung, Aufteilung und Ausformulierung der Ziele geht. Denn laut UN-Beschluss sollen die neuen Ziele leicht kommunizierbar sein sowie eine überschaubare Anzahl und einen globalen Anspruch haben. Wahrscheinlich werden sich die Ziele deshalb auf 10 bis 12 knackige Forderungen beschränken. Um dennoch alle wichtigen Aspekte aufzugreifen, werden diese dann wohl durch eine Reihe von Unterzielen konkretisiert werden.


Welche Rolle sollen Umweltthemen spielen?
Ein wichtiger Schritt zur Integration von Umweltthemen in die neue Post-2015-Agenda wurde Anfang Februar getan. Die Offene Arbeitsgruppe für die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (OWG), in welcher UN-Mitgliedsstaaten und andere Akteure zunächst ein gutes Jahr die wichtigsten Themen für eine neue Agenda sichteten, widmete sich in ihrer letzten thematischen Sitzung den Bereichen Biodiversität, Wälder sowie Meere und Ozeane.

Um Nachhaltigkeit und Umweltschutz effektiv als Teil der neuen Entwicklungsagenda zu etablieren, müssen Umweltziele gleichrangig neben den Entwicklungszielen stehen. Hierin sollten Aspekte wie ein nachhaltiges und effektives Management und Schutz von Ökosystemen und die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen fallen.

Eine deutliche Reduzierung der Degradation von Ökosystemen, der Erhalt und die Wiederherstellung von Biodiversität und der vermehrte Aufbau von Schutzgebieten wären mögliche Unterziele eines solchen Schwerpunkts. Auch zentrale Biodiversitätsorganisationen wie die Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity CBD) setzen sich hierfür ein und fassen unter ein solches Ziel beispielsweise die Notwendigkeit der Wiederherstellung von Fischbeständen, Bodenfruchtbarkeit und die Verhinderung und Umkehrung von Desertifikation.(1)

Allerdings darf es nicht bei einzelnen Umweltzielen bleiben. Eine der bedeutendsten Erkenntnisse der Arbeit der OWG war nicht nur die Anerkennung von Umwelt als Komplementärelement zu Entwicklung, sondern das Verständnis von einer notwendigen Vermeidung sogenannter »Silos«, bei denen jeder Themenbereich losgelöst vom anderen existiert. Wirklich effektiv wäre es somit, in Entwicklungszielen jeweils durch Unterziele auch den Umweltbezug darzustellen. Einem Hunger- und Armutsbekämpfungs-Oberziel könnten somit auch Unterziele folgen, die den Bezug zu nachhaltiger Landwirtschaft, Bodenschutz und Biodiversität darstellen. Ein Stadt-Ziel würde mit Wasser-, Ressourcennutzung- und Luft-Unterzielen ergänzt. Oder Gerechtigkeits- und Genderziele würden mit den Auswirkungen von Umweltverschmutzung und -zerstörung auf das Leben von Minderheiten und marginalisierten Gruppen verbunden. Auch die Verknüpfung von Gesundheit mit Umweltthemen ist sinnvoll und denkbar.


Warum brauchen wir die Verbindung von Umwelt und Entwicklung?
Gerade die Länder des globalen Südens leiden unter extremer Umweltzerstörung. Nahrungsmittelproduktion und die Gesundheit von Mensch und Natur wird durch Umweltverschmutzung gefährdet. Dennoch ist gerade in solchen Ländern die Politik in erster Linie mit wirtschaftlichem Wachstum, Beschäftigung, Regierungsführung, Frieden und Sicherheit und dem Aufbau von Infrastruktur beschäftigt. Auch gesellschaftliche und soziale Entwicklung steht als Politikfeld insbesondere auch aufgrund der wirtschaftlichen Stagnation der letzten Jahre weit oben auf der Agenda. Umweltschutz, nachhaltige Ressourcennutzung und ökologische Wirtschaftsstrukturen sind oft nur partiär in nationalen Politikagenden vorhanden. Gleiches gilt selbstredend für viele Länder des globalen Nordens, allerdings sind hier die Entwicklungshemmnisse weniger offensichtlich.

Ähnliches berichteten Vertreter von Umwelt-NGOs insbesondere aus dem globalen Süden bei einem internationalen Workshop zum Thema Umwelt in der Post-2015-Agenda, welchen das Forum Umwelt und Entwicklung gemeinsam mit der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und adelphi Anfang 2014 organisierte.(2) Und auch die UN-Umfrage MyWorld, die per Internetabstimmung Menschen weltweit über ihre Prioritäten für eine bessere Welt abstimmen lässt, zeigt, dass beispielsweise der Schutz von Wäldern, Flüssen und Ozeanen in Ländern mit hohem Wohlstandsniveau mehr als doppelt so häufig als Priorität angegeben wird, als in Ländern mit niedrigem.(3)


Was darf ein eigenständiges Ziel werden?
Der Themenbereich Meere und Ozeane bietet dabei ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, wie schwierig die Einigung auf einzelne Ziele ist. Nicht nur ist das Gebiet der Meerespolitik extrem weitreichend und reicht von Umwelt- über Entwicklungs- hin zu Governancefragen, es existieren außerdem auch noch besonders wenige internationale Übereinkommen, die Probleme in diesen Feldern angehen. Gleichzeitig bieten Ozeane klare Querschnittsthemen, sei es im Bereich der Hungerbekämpfung, globalen Gerechtigkeit, Arbeit, Gesundheit oder dem Umweltschutz. Eine Vielzahl deutscher Umwelt-NGOs erachtet es deshalb als besonders notwendig, dass sich in der neuen Post-2015-Agenda auch ein eigenständiges Meeresziel befindet. Das Ziel »Gesunde Meere und nachhaltige Fischerei« würde demnach Aspekte wie eine Neuorientierung der weltweiten Fischereipolitik inklusive der Einrichtung einer für die handwerkliche Fischerei vorbehaltene Zone, ein Verbot der Patentierung von Meereslebewesen, die Einführung einer partizipatorischen und transparenten Raumplanung auf See, eine Ausweitung von Meeresschutzgebieten aber auch die Reduktion von Müll- und Nährstoffeinträgen, eine Reduzierung der Versauerung der Meere, ein Moratorium für den Rohstoffabbau in der Tiefsee sowie ein Verbot der Förderung von Energieressourcen aus Tiefsee und Arktis enthalten.(4)

Unterstützung findet ein solches Meeresziel in der OWG insbesondere von Inselstaaten und -staatengruppen, die ähnliche Unterziele für ein solches Ziel formuliert haben. Dabei scheinen sich die Staaten durchaus über die Funktion der Meere und Ozeane als Querschnittsthema bewusst zu sein und besonders die Entwicklungsländer betonten ihre Bedeutung für Armutsbekämpfung, Nahrungsmittelsicherheit, menschenwürdige Arbeit und den Klimawandel. Trotz dieser Relevanz scheint es bisher jedoch unwahrscheinlich, dass es ein eigenständiges Meeresziel geben wird, da die Lobby für ein solches Ziel im Vergleich zu klein sein wird. Die Frage hinter allen Zielen bleibt die gleiche: Wo fängt man an zusammenzufassen, zu kürzen, zu streichen?


Wie geht es weiter?
Bisher werden von allen Seiten Ideen und Meinungen zur neuen Post-2015-Agenda eingereicht. Über die Relevanz dieser Vorschläge-Sammel-Phase scheiden sich die Geister. Denn letztendlich werden die Ziele ab Anfang 2015 zwischen den UN-Mitgliedsstaaten verhandelt und diese haben bekanntermaßen oft andere Prioritäten als zivilgesellschaftliche Akteure. Nichtsdestotrotz sollte die Macht der Beeinflussung dieses Zielfindungsprozesses nicht unterbewertet werden. Zum einen lassen sich schon jetzt nationale Regierungen mit Lobbyarbeit sensibilisieren und die UN verfolgt einen besonders inklusiven Prozess mit Kommentierungsmöglichkeiten, intensiver Einbindung der Zivilgesellschaft und Umfragen unter allen Weltbürgern. Zum anderen gewinnt das Thema durch die intensive Bearbeitung nicht nur in der globalen Zivilbevölkerung, sondern auch der globalen Bevölkerung deutlich an Aufmerksamkeit. Dies kann als Druckmittel gegenüber Regierungen dienen, die neuen Ziele an bestimmten Grundsätzen anzudocken. Zum Schluss entsteht gerade auch ein enormes Wissenskonglomerat, bei welchem die wichtigsten Entwicklungs- und Umwelthemmnisse klar definiert werden und global an Lösungsvorschlägen gearbeitet wird.


Autorin Marie-Luise Abshagen ist Referentin für die Post-2015-Agenda beim Forum Umwelt und Entwicklung.



Internet

(1) http://www.cbd.int/sbstta/doc/trondheim-full-paper-2-sdgs-en.pdf

(2) http://www.forumue.de/fileadmin/userupload/AG_Weitere_Themen/Rio_20/Embedding_the_Environment_in_the_Post-2015-Agenda_Chairs_Summary.pdf

(3) http://sustainabledevelopment.un.org/content/documents/3145UNDG-PeoplesVoicesIssueBrief-30JAN14.pdf

(4) http://www.forumue.de/publikationen/positionspapiere/positionspapier/die-oekologische-dimension-in-der-post-2015-agenda-fuer-nachhaltige-entwicklung/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2014, Seite 19-20
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 177 593, Fax: 030/678 177 580
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2014