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GENTECHNIK/003: Wohin steuert Europa in Sachen Agro-Gentechnik? (RAPUNZEL)


Wohin steuert Europa in Sachen Agro-Gentechnik?

Bremse oder Vollgas

von Andreas Bauer-Panskus



Fast 15 Jahre nach dem ersten Anbau transgener Pflanzen in Europa ist die Bilanz für die Gentechnik-Konzerne düster. Mit einer Gesamtfläche von 115.000 Hektar ist der Anbau im internationalen Vergleich fast nicht wahrnehmbar und findet fast ausschließlich in einem Land statt. Laut Industrieangaben wurde in Spanien im Jahr 2011 gentechnisch veränderter Mais auf knapp 100.000 Hektar Fläche angebaut. Nennenswerten Anbau gibt es ansonsten nur in Portugal (7.800 Hektar) und der Tschechischen Republik (5.000 Hektar).
Im Jahr 2012 wird zudem wieder nur eine einzige Gentechnik-Pflanzenlinie in Europa angebaut werden, Monsantos Mais MON810. Die Stärkekartoffel Amflora des BASF-Konzerns dagegen wurde nur zwei Jahre nach der Markteinführung mangels Erfolg schon wieder aus dem Handel genommen. Die Industrie musste zudem mit dem Ende der Gentechnik-Forschungsaktivitäten von BASF in Europa eine gravierende PR-Schlappe hinnehmen. Hat Europa endgültig den Weg zu einer Landwirtschaft ohne Gentechnik eingeschlagen? Ein genauer Blick auf die politischen Entwicklungen zeigt: Nein. Das Jahr 2012 wird aber mit großer Wahrscheinlichkeit richtungsweisend für den zukünftigen Umgang Europas mit Gentechnik-Pflanzen sein.

Hauen und Stechen in Brüssel
Das Thema Agro-Gentechnik führt in Europa seit langem zu heftigen Verwerfungen zwischen Kommission, EU-Staaten, Europäischer Lebensmittelbehörde EFSA und EU-Parlament. Im Sommer 2010 versuchte sich die Kommission wieder einmal an der Quadratur des Kreises und präsentierte Vorschläge für eine Neuausrichtung der EU-Gentechnikpolitik. Deren Kern ist, den EU-Staaten mehr Freiraum bei Verboten von EU-weit zugelassenen transgenen Pflanzen zu geben. Es ist allerdings unklar, ob die von der Kommission vorgeschlagenen Verbotsgründe (ethischer, sozialer oder kultureller Art) bei Klagen der Gentechnik-Konzerne vor Gericht bestehen würden.

Kritik vom Parlament
Kritik an den Kommissionsvorschlägen regt sich unter anderem im EU-Parlament. Im Sommer 2011 legte das Parlament einen Alternativantrag vor, nach dem auch Umweltschutzgründe, volkswirtschaftliche Kosten und wissenschaftliche Unsicherheiten als Verbotsgründe für transgene Pflanzen anerkannt werden sollen. [Europäisches Parlament (2011) Vorschlag über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen. Zudem fordert es, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zentral unter Umweltgesichtspunkten bewertet werden soll. Nicht zuletzt drängt das Parlament auch auf eine Reform der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Eine Einigung erscheint allerdings wenig wahrscheinlich, da sich einige Staaten (darunter Deutschland und Frankreich) aus unterschiedlichen Gründen weigern, einer Nationalisierung der Entscheidung über Gentechnik-Pflanzen zuzustimmen.[1]

Kompromissvorschlag aus Dänemark
Einen Ausweg aus der sich abzeichnenden neuerlichen politischen Blockade soll nun ein Vermittlungsvorschlag bieten, der erst vor kurzem von Dänemark vorgelegt wurde. Das Konzept sieht vor, dass EU- Staaten, die den Anbau einer bestimmten transgenen Pflanze ablehnen, mit den betroffenen Gentechnik-Konzernen direkt über einen freiwilligen Verzicht auf die Vermarktung verhandeln. Ob sich die EU-Mitgliedsländer allerdings für eine Politik, die auf Verhandlungen zwischen Staaten und Gentechnikkonzernen auf Augenhöhe hinauslaufen würde, erwärmen können, scheint fraglich.

Drohkulissen
Klar ist inmitten des aktuellen politischen Tauziehens: Die EU-Kommission plant, eine Reihe von neuen transgenen Pflanzen zum Anbau zuzulassen. Vor kurzem hat die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA nach langer Pause wieder begonnen, positive Stellungnahmen für den Anbau verschiedener gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa zu veröffentlichen. Bislang betrifft dies verschiedene Linien von Gentechnik-Mais, die resistent gegen das Totalherbizid Glyphosat sind bzw. Bt-Insektengift produzieren. Zeitgleich werden derzeit auf europäischer Ebene Pläne abgestimmt, den Prüfrichtlinien der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA Gesetzesrang zu verschaffen. Die Kommission verspricht sich davon vor allem eine Beschleunigung der Zulassungsverfahren. Auf dieser Basis könnte die Kommission die EU-Staaten dann schon bald mit Entscheidungsvorlagen für den Anbau von mindestens fünf verschiedenen Gentechnik-Pflanzen konfrontieren.

Anzahl der Zulassungen für
Mais: 26
Baumwolle: 8
Raps: 3
Soja: 3
Zuckerrübe: 1
Kartoffel: 1

Stand der Zulassungen
Darüber hinaus zeigt der Blick auf die Zulassungs-Pipeline, dass eine Einigung auf eine neue EU-Gentechnikpolitik eine ganze Welle neuer transgener Pflanzen auf den europäischen Markt bringen könnte. Derzeit sind in Europa 42 verschiedene gentechnische veränderte Pflanzenlinien zugelassen, abgesehen von MON810 und Amflora-Kartoffel allerdings nur als Importprodukte und nicht für den Anbau (siehe nebenstehende Tabelle zu Zulassungen für transgene Pflanzen in der EU (Stand Februar 2012).

In der Pipeline befinden sich jedoch ungleich mehr Gentechnik-Pflanzen. Allein über 20 Gentechnik-Pflanzen, hauptsächlich transgene Mais-Linien, aber auch Zuckerrüben, Soja oder Kartoffeln, befinden sich im Antragsverfahren für den kommerziellen Anbau. Nochmals über 60 Anträge existieren für den Import. Sowohl die Anträge für den Anbau als auch für den Import betreffen fast ausschließlich Pflanzen mit eingebautem Insektengift oder eingebauter Toleranz gegenüber einem oder mehreren Unkrautvernichtungsmitteln.

Sicher ist: mit der Zeit relativer (und trügerischer) Ruhe bei Anbauzulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen ist es bald vorbei. Wie die EU-Staaten auf die geplante neue Zulassungswelle reagieren werden, ist indessen noch völlig unklar. Wesentlich wird der Ausgang des aktuellen Streits um erweiterte nationale Befugnisse in der Gentechnikpolitik sein. Dann jedoch dürfte klar werden, ob Europas Landwirtschaft wie bisher weitgehend gentechnikfrei bleibt oder ob die Industrie doch noch einen späten Durchbruch feiern kann.

Autor:
Andreas Bauer-Panskus
epigen Wissenschafts- und Projektbüro
www.epi-gen.de

[1]‍ ‍www.europarl.europa.eu

http://www.genfrei-gehen.de/index.php?plink=europa-in-sachen-agro-gentechnikanbau

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Quelle:
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mit freundlicher Genehmigung von Autor und Rapunzel Naturkost


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2012