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GENTECHNIK/020: Gentechnik durch die Hintertür (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 176 - Oktober/November 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Gentechnik durch die Hintertür
Freihandelsabkommen USA-EU gefährdet europäischen Verbraucherschutz

von Volker Voss



Im Juni 2013 begannen die Verhandlungen über das angestrebte Transatlantische Handels- und Investitionsprogramm / Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen den USA und der Europäischen Union. Es sollen durch dieses Freihandelsabkommen mehr Wachstum durch mehr Handelsströme und mehr Marktfreiheit erreicht werden. Doch was die Umsetzung dieser Ziele in der Praxis bedeutet, haben über 20 deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie beispielsweise BUND, attac, Campact, NABU in einem gemeinsamen Positionspapier erarbeitet. Es wird darin auf die Gefahren dieses Abkommens verwiesen und es werden Forderungen an die Verhandlungspartner gestellt, das Abkommen sozial gerecht zu gestalten und den Verbraucherschutz zu achten. Moniert wird, dass "Bundesregierung und EU-Kommission unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit und Parlamente auf Geheimverhandlungen setzen". Gefordert werden eine öffentliche Diskussion sowie ein soziales und ökologisches Verhandlungsmandat auf beiden Seiten. So heißt es in dem Papier, dass die US-Exportlobby offensichtlich bereits ganz intensiv daran arbeitet, ihre Interessen möglichst umfangreich durchzusetzen. Ihr Angriffsziel sind die europäischen Standards zum Lebensmittelschutz, die weit über dem US-Niveau liegen. Beispielsweise sind in den USA Klon- und Hormonfleisch erlaubt. Ebenso sind Milch von Kühen, die mit gentechnisch erzeugten Wachstumshormonen hochgezüchtet werden, mit Chlor behandeltes Geflügelfleisch und weitere Unappetitlichkeiten, die dem ernährungsbewussten Konsumenten hier den Schauer über den Rücken laufen lassen, dort genehmigt.

Niedrigster Standard wird Niveau

Es wird darauf verwiesen, dass es in den USA weder ein durchgängiges, stringentes Zulassungsverfahren, noch eine Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Pflanzen gibt. Diese niedrigen Standards würden sich dann auch in Europa durchsetzen. US-Lobbygruppen seien auch die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Lebensmitteln in Europa und die Nachhaltigkeitsstandards von Biokraftstoffen ein Dorn im Auge. Doch kommt es noch schlimmer. Amerikanische Konzerne bekämen sogar Klagerechte gegen europäische Umwelt- und Sozialgesetze eingeräumt. Befürchtet wird auch ein verschärfter Konkurrenzdruck aufgrund von Dumpingpreisen im Agrarbereich, die dann europäische Bauern weiter unter Wettbewerbsdruck setzen würden, wird in dem Positionspapier aufgelistet.

Beim Aufzählen der angedachten Vorteile, die dieses Abkommen uns bringen soll, geht es eher wie auf einer Auktion zu. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten: Wie viele neue Arbeitsplätze werden bei erfolgreichem Abschluss dieses Freihandelsabkommen geschaffen? "Hunderttausende neue Jobs" hat die EU-Kommission zu bieten. "Gut zwei Millionen neue Arbeitsplätze" werden es nach Berechnung des ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sein. "400.000 neue Jobs" werden laut einem Bericht der Tagesschau erhofft. Angestrebt wird die Liberalisierung der Märkte auf beiden Seiten, also unter anderem der Wegfall aller Handelsschranken und bestehender Einfuhrzölle. Immerhin tauschen die EU und die USA pro Tag Waren und Dienstleistungen in einem Umfang von 2,7 Milliarden Dollar aus. Dieses Freihandelsabkommen könnte beiden Seiten eine um 0,5 Prozent höhere Wirtschaftsleistung bescheren, besagt eine Studie im Auftrag der EU-Kommission. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet hingegen mit einem Wachstum von 0.75 Prozent.

Die Wirtschaftswissenschaftler Jan Behringer und Nikolaus Kowall weisen in ihrer Studie für das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der zum DGB gehörenden Hans-Böckler-Stiftung nach, "dass die Einfuhrzölle auf Industriegüter, die zwischen beiden Wirtschaftsräumen in erster Linie gehandelt werden, bereits gering sind. So würde eine vollständige Abschaffung nur wenig ändern." Karen Hansen-Kuhn vom Institut für Handel und Landwirtschaft blickt mit Sorge auf die Freihandelsgespräche: "Die Linie der US-Regierung ist klar", erklärt sie in einem Beitrag für die Tagesschau. "Es geht darum, Beschränkungen für Genfood und andere, künstlich ergänzte Nahrungsmittel aus dem Weg zu räumen."

Überschattet wurde der Verhandlungsbeginn von der Bekanntgabe, der US-Geheimdienst NSA habe wohl auch die EU-Vertretungen in den Vereinigten Staaten geheimdienstlich ausspioniert. Das sorgte gleich für so viel Verdruss, dass die EU-Grundrechtekommissarin Viviane Reding die Verhandlungen insgesamt infrage stellte, wenn es nicht einmal ein Minimum an Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern gebe, beschwerte sie sich.

So sehr Freihandelsabkommen allgemein nachgesagt wird, der Wirtschaft neue Wachstumsimpulse zu verleihen sowie neue Arbeitsplätze zu schaffen, so haben Erfahrungen mit derartigen Abkommen bislang eher das Gegenteil bewirkt. Verwiesen wird in dem Papier der deutschen NGO auf bereits bestehende Freihandelsabkommen wie dem Nafta-Vertrag zwischen den USA, Kanada und Mexiko. Das bittere Resultat dieser länderübergreifenden Marktliberalisierung und somit erweiterten Handelsspielräume für die Großkonzerne dieser drei Länder sind Arbeitsplatzabbau in der Industrie, sinkende Löhne, Unterlaufen von Arbeitsmindeststandards und wachsende Einkommensunterschiede, werden die dortigen Gewerkschaften zitiert. Denn der allgemein gültige Standard werde an das jeweils niedrigere Niveau nach unten angepasst.

Vor Verhandlungsbeginn hätte erst einmal geklärt werden müssen, "welche Standards wir Europäer in keinen Fall bereit sind preiszugeben, weil wir sie für eine nachhaltige Entwicklung zugunsten von Landwirtschaft und Verbraucher für unverzichtbar halten", mahnt die grüne Europapolitikerin Rebecca Harms in einem Interview mit dem Deutschlandradio. "Ich glaube, dass es tatsächlich sehr gute Gründe gibt, sich nicht auf die Gentechnik in der Landwirtschaft einzulassen. Wir können mit konventionellen Pflanzen und mit konventionellen Weiterentwicklungen und Züchtungen von Pflanzen all das leisten, was die Landwirtschaft heute braucht." Es sollen die "guten Standards" in Europas Landwirtschaft nicht preisgegeben werden. Auch reiche eine Kennzeichnung genmanipulierter Lebensmittel nicht aus. Die amerikanischen Farmer, die eine völlig andere Einstellung zu genmanipulierten Lebensmitteln haben, warten darauf, die europäischen Märkte mit ihren, aber nicht unseren, Standards entsprechenden Produkten zu erobern. Es gehe um Gesundheitsschutz, Biodiversität und die Angst vor Resistenzen in Pflanzen, fügt Rebecca Harms hinzu.

Schließlich fordern viele Umwelt- und Lebensmittelschützer bereits, den Agrarsektor ganz aus den Verhandlungen herauszunehmen. Andere wollen hingegen erreichen, die jeweils höheren Standards der Partner als Untergrenze festzusetzen.

Lobbyarbeit auf Hochtouren

Es sickern immer mehr Details durch, wie Großunternehmen Lobbyarbeit betreiben, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen "Aus meiner Sicht gab es praktisch nie einen Unterschied zwischen Monsanto und der amerikanischen Regierung! Die amerikanische Regierung hat sehr oft diplomatische Demarchen geschickt, wenn es um irgendwelche Zulassungsanträge für Produkte amerikanischer Firmen ging oder gentechnisch veränderte Konstrukte", berichtet Wolfgang Köhler, ehemaliger Referatsleiter Gentechnik im Bundeslandwirtschaftsministerium in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf ein von Wikileaks 2008 veröffentlichtes diplomatisches Schreiben, aus dem hervorgeht, dass sich der Münchner US-Generalkonsul "wegen der gentechnisch-kritischen Stimmung in Deutschland weiterhin für die Gen- und Biotechnik einsetzt, damit Monsanto fairer behandelt wird."

Wie so eine faire Behandlung in der Praxis aussieht, hat uns kürzlich die amerikanische Regierung vorgeführt. Die amerikanische NGO Food Democracy Now! mit ihren 650.000 Mitgliedern, gerade auch aus dem landwirtschaftlichen Bereich, warnt eindringlich vor den Folgen derartiger Abkommen und verweist dabei auf den Monsanto Protection Act (Gesetz zum Schutz Monsantos) in den USA, das genauso wie das EU-US-Freihandelsabkommen hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Dieses im Frühjahr von US-Präsident Barack Obama unterzeichnete Gesetz sichert dem Gentechnik-Konzern Monsanto uneingeschränkte Rechte beim Anbau und Verkauf seiner Produkte zu, ohne Rücksicht auf Gefahren und noch laufende Gerichtsprozesse. Millionen von US-Bürgern haben dagegen Einspruch erhoben. Sollte das Gesetz endgültig rechtskräftig werden, hat der Konzern freie Hand in seiner Geschäftspolitik. Es wird mit Sicherheit Auswirkungen auf das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa haben. Mit diesem Gesetz im Hintergrund ist zu erwarten, dass es wohl unmöglich sein wird, auch außerhalb der USA genmanipulierte Lebensmittel zu kennzeichnen oder dem Konzern sowie anderen Genfood-Produzenten gerichtliche Auflagen oder Verbote beim Anbau oder Vertrieb von genmanipulierten Saatgut oder Lebensmitteln aufzuerlegen.

Dies sei nicht nur eine schlechte Nachricht, argumentieren die amerikanischen Lebensmittelschützer, sondern ein Albtraum. Es sei denn, der starke Protest dagegen zeigt Wirkung. Die amerikanische Öffentlichkeit, teilweise von gewählten Senatoren unterstützt, läuft weiterhin Sturm gegen derart undemokratische, undurchsichtige Gesetze.

Die meisten Menschen in Deutschland lehnen Genfood strikt ab. Dem wollte der Verband EuropaBio bereits 2011 mit einer PR-Kampagne entgegenwirken, und zwar mit sehr unlauteren Methoden. Der für sein sozialpolitisches Engagement bekannte irische Rockmusiker Bob Geldorf sowie Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan wurden als Unterstützer der Gentechnik präsentiert. Die Sache hatte jedoch einen Haken. Beide bestreiten jegliche Befürwortung von Gentechnik und wurden auch nie um ein Engagement dafür angesprochen, zitiert SPIEGEL ONLINE aus einem "streng vertraulichen Papier", das dem Nachrichtenmagazin seinerzeit vorlag. Angemerkt sei noch, dass es sich bei EuropaBio, anders als man eventuell vermuten könnte, nicht um einen Förderer von biologischen Produkten handelt, sondern schlicht um einen europäischen Gentechnik-Verband, dem unter anderem Unternehmen wie Bayer und Monsanto angehören. Neben EuropaBio ist ebenfalls die Biotechnology Industry Organization (BIO), weltweit größte Handelsorganisation der Biotechnologie, sehr aktiv, insbesondere auch bei der Einflussnahme auf Verhandlungen und der Koordination europäischer und amerikanischer Handelsthemen. Das geht aus einem veröffentlichten Papier der Europäischen Kommission hervor.

Doch so sehr die Genindustrie auch die Propagandatrommel rührt, um Genfood wohl durch die Hintertür eines Freihandelsabkommens einzuführen, so sehr wird sie auf den Widerstand aufgeklärter europäischer Verbraucher stoßen. Es hat sich bereits ein hohes Niveau bei der Wahl der Lebensmittel durchgesetzt "Bio liegt weiter voll im Trend. Die Menschen schätzen die Qualität und den Geschmack der Produkte, aber auch die besonders nachhaltigen Erzeugungs- und Verarbeitungsprozesse und die Verlässlichkeit des Kontrollsystems", so Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CDU). Sie zitiert dabei aus dem aktuellen "Ökobarometer", einer repräsentativen Studie des Bundesverbraucherministeriums. Demnach sind Biolebensmittel bei den deutschen Verbrauchern nach wie vor sehr beliebt: 22 Prozent der Befragten kaufen häufig oder ausschließlich Biolebensmittel, 52 Prozent gelegentlich. "In Europa haben Verbraucherschutz und -information einen hohen Stellenwert. Auch das hohe Verbraucherschutzniveau in Deutschland wird weiterhin nicht durch Handelsabkommen, sondern durch den jeweiligen Gesetzgeber bestimmt werden", ist aus dem Verbraucherministerium zu erfahren. Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Vorsatz ohne Abstriche bei den Verhandlungen über das angestrebte Freihandelsabkommen durchsetzen wird.

Gentechnik-Propaganda widerlegt

Mit Gentechnik könne der Hunger auf der Welt beseitigt werden, will uns die Genindustrie weißmachen. Doch wurden diese Behauptungen längst widerlegt. Studien, unter anderem auch die der Welternährungsorganisation FAO sehen den Beitrag der Gentechnik zur Lösung der Ernährungsprobleme als sehr bescheiden an. Verwiesen wird zudem darauf, dass genug Rohstoffe vorhanden seien, um die gesamte Erdbevölkerung zu ernähren. Es gebe eher ein Verteilungsproblem.

Wie gefährlich genmanipulierte Lebensmittel tatsächlich sind, weist eine aktuelle wissenschaftliche Studie nach. Demnach können komplette Gene aus Nahrungsmitteln in die Blutbahn von Menschen gelangen. Wissenschaftler der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, der Harvard Medical School (USA) und der Technischen Universität Dänemarks untersuchten über 1.000 Blutproben. Darin entdeckten sie Genmaterial aus Pflanzenzellen, vor allem von Kartoffeln, Tomaten und Sojabohnen. Es habe auch Hinweise auf Hühnchen-DNA gegeben. Die Wissenschaftler werden dazu weitere Untersuchungen durchführen. Es wurde lange davon ausgegangen, dass das Erbgut pflanzlicher und tierischer Lebensmittel bei der Verdauung gänzlich aufgelöst werde. Dem ist nicht so: Gefordert wird von Lebensmittelschützern, gerade auch aufgrund dieser neuen Erkenntnisse, ein Umdenken bei den für die Lebensmittelkontrolle zuständigen Behörden. All diese Erkenntnisse und Vorgänge sollten Grund genug sein, das Freihandelsabkommen mit seiner Zielrichtung insgesamt infrage zu stellen.

www.campact.de
www.attac.de
www.fooddemocracynow.org
www.fao.org

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 176 - Oktober/November 2013, Seite 16-17
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2013