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KLIMA/077: Kein Öl aus Kanadas Teersand - US-Experten warnen Obama vor Klimaschäden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2011

Umwelt: Kein Öl aus Kanadas Teersand! - US-Experten warnen Obama vor Klimaschäden

Von Stephen Leahy


Uxbridge, 15. August (IPS) - US-Präsident Barack Obama erhielt vor wenigen Tagen brisante Post. In einem offenen Brief forderte eine Gruppe weltweit renommierter Wissenschaftler aus US-Forschungsinstituten den Staatschef auf, der sogenannten 'Keystone XL-Pipeline' nicht zuzustimmen. Die sieben Milliarden US-Dollar teure Leitung soll Schweröl aus den Teersandfeldern im Norden der kanadischen Westprovinz Alberta zu den 2.400 Kilometer weit entfernten US-Raffinerien in Oklahoma und Texas bringen.

Das mit massivem Energieaufwand aus Teersand gewonnene kanadische Rohöl gilt wegen seines hohen CO2-Gehaltes als besonders klimaschädlich. Deshalb appellierten die Experten in ihrem Schreiben an Obama das geplante Pipeline-Projekt Keystone XL zu stoppen. "Es macht keinen Sinn, das im kanadischen Teersand gebundene Bitumen zu fördern und zu raffinieren, denn die Exploration zerstört nicht nur die Umwelt. Mit diesem fossilen Brennstoff hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln ein Klimasystem, das nicht mehr kontrollierbar ist."

Und weiter heißt es in dem Schreiben: "Wir wissen inzwischen, wie CO2 das Klima der Erde und der Meere schädigt. Deshalb sollten wir möglichst rasch zur Nutzung alternativer Energiequellen übergehen und den Teersand im Boden lassen. (...) Sie als Präsident werden erklären, es bestehe ein 'nationales Interesse' an dem Projekt. Doch wir sind entschieden der Meinung, dass es weder im Interesse unseres Landes noch im Interesse unseres Planeten ist. Wir hoffen, dass sich alle Gleichgesinnten der für den 20. August in Washington geplanten Protestdemonstration anschließen."

Zu den 20 Unterzeichnern des Offenen Briefes gehören der Klimaforscher James Hansen von der 'NASA', Ken Caldeira von der 'Carnegie Institution', Ralph Keeling von der 'Scripps Institution of Ozeanographie' und George Woodwell, Gründer des 'Woods Hole Research Center' in Massachusetts.

Der deutsche Wissenschaftler Malte Meinshausen vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung teilt die Kritik seiner US-amerikanischen Kollegen. Das Pipeline-Projekt werde für zusätzliche große Mengen an CO2-Emissionen sorgen, die sich auf den Klimawandel auswirken. "Das sollten die verantwortlichen Behörden bedenken", sagte der Experte IPS.


"Willkommen in Absurdistan"

"Willkommen in Absurdistan", kommentieren kritische Beobachter Kanadas energiepolitischen Zickzackkurs der vergangenen Jahre. 1998 war das damals liberal regierte Kanada unter den ersten Staaten, die das so genannte Kioto-Protokoll zur Bekämpfung der Erderwärmung unterzeichneten, das gut vier Jahre später ratifiziert wurde. Unter den Vorgaben des Kioto-Protokolls wollte Kanada das Ziel, bis Ende 2012 seine Treibhausgasemissionen um 240 Millionen Tonnen zu senken, mit Hilfe einer Dreier-Strategie aus Anreizen, Vorschriften und steuerlichen Maßnahmen erreichen.

Der Konservative Stephen Harper, der nach den Parlamentswahlen 2006 in Ottawa eine Minderheitsregierung bildete, war mit dem erklärten Ziel angetreten, das Kioto-Protokoll zu kippen. Kanadische Medien verwiesen darauf, dass schon im ersten Budget der neuen Regierung das Kioto-Protokoll und dessen Finanzierung nicht mehr vorkamen. Stattdessen wurde ein hausgemachtes Programm gegen den Klimawandel angekündigt. Auf fünf Jahre verteilt sollte es insgesamt zwei Milliarden Dollar kosten.

US-Präsident Obama und Kanadas Regierungschef Harper betonen immer wieder ihre Besorgnis über den Klimawandel und haben versprochen, in ihren Ländern die CO2-Emissionen bis 2020 wesentlich zu verringern. Kanada und die USA sind Vertragspartner der UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC).

Es ist noch keine zwei Jahre her, dass Kanadas Regierungschef Harper auf der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 versprach, bis 2020 werde der CO2-Ausstoß von 710 Millionen Tonnen auf 607 Millionen Tonnen verringert. Dagegen erwartet ein im Juli in aller Stille veröffentlichter Regierungsbericht ('Canada's Emission Trends') bis 2020 einen Anstieg des CO2-Ausstoßes in die Atmosphäre von 775 bis 850 Millionen Tonnen. Er wird vor allem durch den fortgesetzten Abbau der Teersände verursacht.

Nach Angaben des kanadischen Energieforschungsinstituts könnten in den kommenden 25 Jahren mehr als zwei Billionen US-Dollar in die Exploration des Teersands investiert werden. Kanadas erschließbare Teersandressourcen sind mit geschätzten 300 Milliarden Barrel die zweitgrößten weltweit.

Um sie leichter auf den US-Markt bringen zu können, bestehen kanadische und internationale Erdölkonzerne wie Shell, Valero, ConocoPhillips, Canadian Natural Ressources Limited und Cenovus Energy auf dem Bau der umstrittenen Keystone SL-Pipeline. Kanadas Premierminister Harper tritt bei der US-Regierung als ihr Lobbyist auf und verlangt ihre baldige Zustimmung.


Revision bis Jahresende

US-Außenministerin Hillary Clinton hat eine Revision des Pipeline-Projekts noch vor Jahresende zugesagt. Bis Ende August soll die abschließende Einschätzung der ökologischen Auswirkungen der Pipeline vorliegen, und im September soll es in den sechs vom Leitungsbau betroffenen US-Bundesstaaten zum zweiten Mal öffentliche Anhörungen geben.

Alles nur eine Pro-forma-Agenda, vermuten Insider der Energiewirtschaft. Sie rechnen nicht damit, dass Obama auf seine eigenen Klimaexperten hört, sondern die Keystone SL-Pipeline unter Berufung auf die 'Stärkung der Energiesicherheit Amerikas' genehmigt. Doch der Widerstand wächst auch in den USA. "Stop the Pipeline!" fordern Gegner der Pipeline. Sie haben zu einem zweiwöchigen Sitzstreik am Weißen Haus in Washington aufgerufen. Das Sit-in beginnt am 20. August. (Ende/IPS/mp/2011)


Links:
http://www.ceri.ca/
http://www.tarsandsaction.org/scientists-keystone-xl-obama/
http://www.ec.gc.ca
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56812

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2011