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KLIMA/296: Chile - Wohin hätten Sie den Gletscher gerne? Experimente mit abschmelzenden Eisriesen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Februar 2014

Chile: Wohin hätten Sie den Gletscher gerne? - Experimente mit abschmelzenden Eisriesen

von Marianela Jarroud


Bild: © Orlando Ruz/IPS

Der Gletscher El Morado in den Andenkordilleren in Zentralchile
Bild: © Orlando Ruz/IPS

Santiago, 26. Februar (IPS) - Die Idee könnte einem Science-Fiction-Roman entsprungen sein: den Rückzug des 'ewigen Eises' aufzuhalten, indem die erodierten Gletscher 'repariert' beziehungsweise neue geschaffen werden. Angesichts der Gefahr, dass die wertvollen Süßwasserspeicher der Erde durch Klimawandel und Bergbau vernichtet werden könnten, experimentieren namhafte Wissenschaftler mit den Möglichkeiten der Gletscherkonservierung und -herstellung.

Wie der chilenische Glaziologe Cedomir Marangunic versichert, gibt es bereits einige vielversprechende Technologien. Für ein Land mit mindestens 3.100 Gletschern, von denen die meisten buchstäblich den Bach hinuntergehen, klingt das nach einer guten Nachricht.

Gletscher sind Eismassen aus komprimiertem und rekristallisiertem Schnee, die 69 Prozent des Frischwassers der Erde speichern. Sie wachsen immer dann, wenn der jährliche Schneefall die Menge übersteigt, die im Sommer abschmilzt. Auf diese Weise lassen sich über eine geologisch kurze Zeitspanne enorme Materialmassen akkumulieren.

"Doch will der Mensch einen Gletscher schaffen, hängt die Zeit, um dieses Vorhaben zu vollenden, von den finanziellen Möglichkeiten ab, die ihm zur Verfügung stehen", meint Marangunic. Die Zeit, um eine ausreichende Menge Schnee in Eis zu verwandeln, veranschlagt er mit drei Jahren.

"Der natürliche Prozess muss simuliert werden. Damit dies gelingt, muss die im Winter akkumulierte Schneemenge die übersteigen, die im Sommer abschmilzt. Und das lässt sich leicht erreichen. Die Herausforderung besteht allerdings darin, dies in einer ökologisch nachhaltigen und kostengünstigen Weise zu schaffen", erläutert der Geologe der Universität von Chile, der seinen Doktor in Gletscherkunde in den USA gemacht hat.


Schutz der Gletscheroberfläche

Die Techniken, die er getestet hat, zielen allesamt darauf ab, das Abschmelzen der Gletscheroberfläche zu verhindern oder mehr Schnee anzusammeln (Akkumulation), sagt er. In Chile habe man ein künstlich geschaffenes Eisdepot mit Geröll bedeckt und den üblichen Abschmelzungsprozess auf ein Viertel bis ein Fünftel verringern können.

Marangunic leitet ein Unternehmen, das Projekte zur Erforschung von Gletschern, Schnee und Lawinen durchführt. 2007 transportierte er einen Eisberg von einem Ort zum anderen. Mit Lastern, wie sie im Bergbau verwendet werden, ließ er an einem Tag 30.000 Tonnen Eis zu einer eigens präparierten Stätte transportieren. Hatte sich der Gletscher an seinem Ursprungsort um 15 Zentimeter pro Jahr zurückgezogen, waren es an dem neuen Standort im ersten Jahr 30 Zentimeter. Doch dann konnte der Abschmelzungsprozess sukzessive immer weiter aufgehalten werden, bis er nur noch drei Zentimeter betrug.

Der Experte versuchte auch, ein Eisfeld in einen kleinen Gletscher zu verwandeln, indem er Barrieren aufbaute, wie sie zum Schutz vor Lawinen verwendet werden. Er erreichte darüber hinaus durch die Veränderung der Windrichtung im Verlauf eines Sturmes, dass doppelt so viel Schnee wie sonst akkumuliert werden konnte. Besonders verbreitet sei die Technik, die Oberfläche des Gletschers mit Geotextiltüchern zu bedecken, um die Oberflächenschmelze zu verringern, berichtet er.

Wie Matías Asun, Leiter des Greenpeace-Büros in Chile, betont, haben sich Experimente als nicht machbar, wenig erfolgversprechend und viel zu teuer herausgestellt. Weiter gibt er zu bedenken, dass in trockenen Wintern der Schnee nicht für die Akkumulation ausreiche, die die Bildung eines neuen Gletschers gewährleiste. Und der Klimawandel werde den Trend eher noch verschärfen.


Retten, was zu retten ist

"Ich zweifele nicht an den guten Absichten derjenigen, die an Strategien zum Schutz von Gletschern arbeiten, zumal sich viele Risiken verringern ließen", meint Asun. "Doch die Rettung liegt im wirksamen Schutz der Gletscher, die sind, wo sie sind, und auch dort bleiben sollten."

Innerhalb Lateinamerikas entfallen 82 Prozent der in Gletschern eingeschlossenen Süßwasserreserven auf Chile, wie Asun betont. Doch der Klimawandel und die Aktivitäten des Bergbausektors gefährden einen großen Teil der chilenischen Gletscher. "Obwohl diese Eismassen strategisch wichtige Wasserspeicher und Teil des regionalen Erbes sind, werden sie hier, anders als in Argentinien, nicht rechtlich geschützt."

Die derzeitigen Gesetze erlauben, dass sich Produktivprojekte auf Gletscher ausweiten dürfen, wenn die Auswirkungen in einer entsprechenden Umweltverträglichkeitsstudie erläutert werden und eine gewisse Form der Entschädigung gezahlt wird.

Wie der Glaziologe Alexander Brenning von der Universität von Waterloo in Kanada unlängst vor dem chilenischen Parlament erklärte, wird nirgendwo sonst auf der Welt so stark in die Gletscher eingegriffen wie in Chile. Er drängte das Land zu einer Untersuchung der Auswirkungen. Derzeit ist in Chile ein Gesetz in Arbeit, das Gletscher klar definieren und dafür sorgen soll, dass sie ständig vermessen werden.

Nach Ansicht von Marangunic ist es ebenso wichtig, den Eigentumsstatus der Gletscher zu klären, insbesondere in den Fällen, in denen sie auf privaten Grundstücken anzutreffen sind. "Wird man sie kaufen oder mit ihnen handeln können, wie dies mit den Wasserrechten der Fall ist?", fragte der Experte in Anspielung auf das Wassergesetz aus der Diktatur von Augusto Pinochet (1973-1990), das Wasser zu einer privaten Ressource machte.

Bergbauprojekte wie das angloamerikanische Unternehmen 'Los Bronces', die Firmen des chilenischen Kupferunternehmens 'Andina 244' und 'Escalones' sowie die Pascua-Lama-Mine von 'Barrick Gold' sind nach Ansicht von Umweltschützern derzeit die größten Gefahren für Chiles Gletscher. Doch Marangunic hält auch die Luftverseuchung in großen Städten wie Santiago oder den Qualm bei der Brandrodung für Faktoren, die nicht unterschätzt werden sollten.

Der Glaziologe gibt zu bedenken, dass die Regeneration eines Gletschers, der seit Jahrzehnten immer mehr an Substanz verliert, eine ebenso lange Zeit braucht, um künstlich aufgebaut werden zu können. Beschleunigen ließe sich der Prozess lediglich mit Hilfe großer Investitionen.

Doch nach Ansicht von Asun ist es wichtiger, "das zu schützen, was noch vorhanden ist, anstatt tausende Jahre zu warten, bis sich ein Gletscher reproduzieren lässt". Gott zu spielen berge die Gefahr einer 'Jurassic Park'-Erfahrung. "Da wir Gletscher haben, sollten wir sie schützen." (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/02/donde-le-colocamos-su-nuevo-glaciar/
http://www.ipsnews.net/2014/02/like-new-glacier/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. Februar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2014