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KLIMA/538: Geoengineering - Klimaexperimente auf Kosten der Armen (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

International / Polen
Geoengineering: Klimaexperimente auf Kosten der Armen

Von Jutta Blume


(Katowice, 11. Dezember 2018, npl) - Vom 2. bis 14. Dezember findet im polnischen Katowice die diesjährige Weltklimakonferenz statt. Bereits im Oktober hat ein Sonderbericht des Weltklimarats verdeutlicht, dass die Menschheit ihre Treibhausgasemissionen in den nächsten zwölf Jahren halbieren und bis 2050 auf Null reduzieren muss, um einen tiefgreifenden Klimawandel zu verhindern. Eine Zeitspanne, die angesichts der politischen Weltlage utopisch erscheint. Wissenschaftler*innen diskutieren daher auch über technische Auswege aus der Klimakrise. Geoengineering heißt das Zauberwort, das für ein breites Spektrum von Technologien zur Klimabeeinflussung steht. Diese wiederum bergen Risiken, vor allem für die Ärmsten der Weltbevölkerung.

Im Sonderbericht des Weltklimarats IPCC heißt es: "Die globale Erwärmung erreicht 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052, wenn sie mit der aktuellen Geschwindigkeit weiter zunimmt." Doch schon heute ist der Klimawandel spürbar und verheerend. Dabei treffen immer heftigere Wirbelstürme auf Küsten, die ihren Schutz verlieren. Korallenriffe, die eine wichtige Barriere bilden, hätten in einer um zwei Grad wärmeren Welt keine Überlebenschance, 1,5 Grad könnten immerhin noch zehn bis 30 Prozent der Korallen überstehen. Zwischen einer absoluten Obergrenze von zwei Grad und einem erstrebenswerteren Maximum von 1,5 Grad bewegt sich das Pariser Klimaabkommen von 2015, doch die bisherigen Anstrengungen der Staaten reichen für keines der beiden Ziele aus.


Verbleibendes Emissionsbudget ist begrenzt

"Um ein bestimmtes Temperaturziel zu erreichen, haben wir nur noch eine gewisse Menge an CO2, die noch ausgestoßen werden darf. Wenn das mit dem CO2-Budget so ist, dann muss man einfach verstehen, dass wir irgendwann in eine Nullemissionswelt kommen müssen", erklärt Jan Minx vom Mercator Institut für Globale Gemeingüter und Klimawandel, der auch am letzten Sachstandsbericht des Weltklimarats beteiligt war. Negativemissionstechnologien würden dabei eine gewisse Rolle spielen müssen. Diese werden, wie eine Reihe anderer Ideen zur Klimabeeinflussung auch, unter dem Stichwort "Geoengineering" gehandelt. "Einige Vorschläge sprechen davon, Kohlendioxid einzufangen oder direkt aus der Luft zu entfernen, andere von einem Management der Sonneneinstrahlung, wieder andere wollen die Ozeane düngen oder die Wolken aufhellen. All diese Vorschläge sind äußerst spekulativ, was ihre mögliche Wirkung betrifft. Ganz unabhängig davon, ob sie technisch überhaupt realisierbar sind", erklärt der mexikanische Ökonom Octavio Rosas Landa von der ETC-Gruppe, einer globalen umweltpolitischen NGO.

Den spekulativen Charakter der Technologien bemängelt auch Teresa Anderson von der internationalen Organisation ActionAid: "Viele Leute vergleichen die Negativemissionstechnologien mit Einhörnern. Sie klingen vielversprechend, aber wir sind nicht sicher, ob sie überhaupt existieren." Geoengineering funktioniere bestenfalls im Versuchsmaßstab, meistens jedoch nicht einmal das. Und das, obwohl bereits Milliarden von US-Dollar in diese Forschung investiert wurden.


Enormer Flächenbedarf

Eine Technologie, die bereits im letzten Bericht des Weltklimarats von 2014 genannt wird, ist Bioenergie mit Kohlendioxidspeicherung - kurz BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage). Baumplantagen oder andere Pflanzen würden Kohlendioxid aus der Luft binden. Die Biomasse würde anschließend verbrannt und daraus Energie erzeugt. Das dabei entstehende Kohlendioxid würde in unterirdische Endlager gebracht. Hauptproblem von BECCS sind vor allem die enormen Flächen, die für den Anbau von Biomasse gebraucht würden. Nach einigen Berechnungen im letzten Bericht des Weltklimarats wären dies Flächen von der Größe Afrikas gewesen. Klima-Aktivistin Teresa Anderson meint: "BECCS ist also keine brauchbare Lösung. Wenn wir es versuchen würden, bliebe uns kein Land, um Nahrungsmittel zu produzieren, keine Ökosysteme, kein Wasser. Alle Ressourcen würden in den Anbau von Bioenergie umgeleitet, was für den Planeten eine ökonomische, soziale und ökologische Katastrophe wäre. Zudem würde es diejenigen am stärksten belasten, die den Klimawandel am wenigsten verursacht haben, die Menschen im globalen Süden, deren Land für diese vermeintliche Lösung namens BECCS weggenommen würde."


Experimentierfeld Erde

Eine andere Geoengineering-Technologie ist die Ozeandüngung. Ihr Vorteil ist, dass sie kein Land beansprucht. Würde man bestimmte Pflanzennährstoffe großflächig ins Meer schütten, - so die Theorie - würde dies das Algenwachstum fördern. Algen binden große Mengen an Kohlendioxid. Wenn sie absterben und zum Meeresgrund sinken, nehmen sie das Kohlendioxid mit, so die Überlegung. Allerdings sind die Nahrungsnetze im Ozean viel zu komplex, um diese einfache Rechnung aufzumachen. Ozeandüngung wird vom Weltklimarat derzeit nicht in Erwägung gezogen. Dennoch habe es in der Vergangenheit bereits erste Anwendungen gegeben, erzählt die Leiterin der ETC-Gruppe, die Philippinerin Neth Daño: "2012 wurden tausend Quadratkilometer auf der kanadischen Pazifikseite mit Eisen gedüngt. Das ist eine großflächige Anwendung. Bei tausend Quadratkilometern kann man nicht mehr von einem Experiment reden."

Unerforschte Technologien werden einfach erprobt, ohne dass es internationale Regularien dafür gebe, so die Kritik der ETC-Gruppe. Beim Geoengineering sind Labortests im Prinzip nicht möglich, das Experimentierfeld ist der Planet Erde.


Technischer Ersatz für gesellschaftlichen Wandel

Neben unbekannten Risiken der Technologien befürchtet die ETC-Gruppe, dass sie nicht als begleitende Maßnahme zur Reduktion von Emissionen eingesetzt würden, sondern als Ersatz. "Es scheint eine Ausrede zu sein, um keine zusätzlichen Anstrengungen zu unternehmen, den Austoß von Treibhausgas zu reduzieren", sagt Rosas Landa. In seiner Heimat Mexiko seien bereits katastrophale Folgen eines globalen Temperaturanstiegs um ein Grad zu spüren. In manchen Bundesstaaten herrsche seit Jahren Dürre.

Anderson wiederum meint, dass es keiner technischen Lösungen bedarf, um der Erdatmosphäre Kohlendioxid zu entziehen. "Ökosysteme können Kohlenstoff aufnehmen, und wenn wir zerstörte Natur wieder versuchen aufzubauen, wenn wir Wälder und die Rechte indigener Völker schützen, die erwiesenermaßen die besten Waldschützer sind, dann können wir durch Ökosysteme negative Emissionen erreichen", so Anderson. Aufforstungen oder Plantagen könnten diese Rolle hingegen kaum übernehmen. "Gleichzeitig müssen wir massiv Emissionen reduzieren, was nur durch einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel möglich ist." Der Glaube an (technische) Einhörner hingegen müsste aufhören.


Audiobeitrag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2018

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