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LATEINAMERIKA/008: Brasilien - Umweltfreundliche Lehmziegel sollen Wohnungsprogramm retten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. August 2010

Brasilien: Umweltfreundliche Lehmziegel sollen staatliches Wohnungsprogramm retten

Von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 3. August (IPS) - Ziegel aus Erde oder Ton könnten dabei helfen, Brasiliens chronische Wohnungsnot zu lindern. Ziegelhäuser sind nicht nur billiger. Neue Techniken, um so genannte "ökologische Ziegel" herzustellen, sind zudem umweltfreundlicher als die Herstellung der sonst üblichen Baumaterialien.

In der Favela Pavão-Pavãozinho in den Hügeln von Rio de Janeiro sieht es nach einem ganz normalen Baubetrieb aus: In dem Armenviertel soll ein dreistöckiger Wohnblock entstehen und Hütten ersetzen, die durch Erdrutsche bedroht sind oder Gehwegen und Straßen Platz machen sollen. Die Baustelle ist Teil des groß angelegten Förderprogramms PAC von Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Wände des neuen Blocks die gleiche Farbe haben wie die Erde der Hügel. Das ist ungewöhnlich hier. Die Wände bestehen aus "ökologischen" Ziegeln.


Bauen wie die Pharaonen

Professor Francisco Casanova von der Bundesuniversität Rio de Janeiro (UFRJ) ist begeistert von dem für Brasilien neuen Baustoff und hat die letzten Jahre mit dessen Weiterentwicklung verbracht. Er sagt, die Technik sei eigentlich schon Jahrtausende alt, schon die Ägypter hätten damals so gebaut. In Brasilien hingegen wurde das erste Gebäude aus Lehmziegeln erst 1942 errichtet.

Casanova, der Bauwesen lehrt, hat mit seinen Studenten die alten Techniken wieder aufgenommen und optimiert. Neue Mischer, Zusätze und Presstechniken wurden erprobt, um die Ziegel stabiler zu machen. "Ein deutlicher Fortschritt gegenüber früher", sagt der Ingenieur, der auch noch mit anderen preiswerten Baumaterialien experimentiert.

Seine Öko-Ziegel bestehen zu Hälfte aus Erde, hinzu kommen 15 bis 20 Prozent Sand und nur 10 Prozent Portland-Zement. So ließen sich die Herstellungskosten um bis zu 30 Prozent senken, erklärt Casanova. "Erde gibt es schließlich überall umsonst."


Energiesparende Produktion

Im Gegensatz zu den in Europa meist eingesetzten Ziegeln werden die Öko-Ziegel nicht gebrannt, so dass kaum Treibhausgase anfallen. Hergestellt werden sie in Magé im Norden des Bundesstaates Rio de Janeiro. Der Fabrikbesitzer Miguel Ãngel Lasa hat eigens eine Maschine entwickelt, um die Mischung herzustellen und in Formen zu pressen.

Das Rohmaterial kommt per LKW. Erde kostet pro Kubikmeter nur etwa 10 Real, das entspricht rund 5,50 US-Dollar, Fracht inklusive. Dann wird Abbruchmaterial gebrochen und gesiebt, bis es sandfein ist.

Es wird der Erde zugemischt, ebenso wie Sand, Kalk und Portland-Zement, dazu kommen spezielle Festigerzusätze. Das Gemisch wird auf 90 Prozent des Volumens der Form gepresst, gewässert und dann zwischen einer und zwei Wochen getrocknet.

Nicht nur die Herstellung sei billig, auch die Verarbeitung spare Kosten, sagt Lasa. "Üblicherweise werden Ziegel nur als Wandverkleidung eingesetzt. Mit den Öko-Ziegeln kommt man fast ohne Mörtel aus, nur für tragende Teile braucht man ihn." Da die Ziegel nicht in Mörtel gesetzt würden, könnten elektrische Leitungen und Wasserohre einfach durch die Fugen geführt werden. Es müssten also keine Löcher gebohrt werden, erläutert er.

Gute Schall- und Wärmeisolation ist laut Casanova ein weiterer Vorteil. Eine 30 Zentimeter dicke Wand absorbiere 56 Dezibel. "In heißen Gebieten bleiben Ziegelhäuser außerdem kühl. Wir konnten das in einer bereits fertigen Wohnung in Pavão-Pavãozinho spüren, als draußen 37 Grad Hitze herrschten."

Da die Ziegel eine attraktive Oberfläche hätten, brauchten sie keinen Verputz oder Farbanstrich, nur einen dünnen Feuchtigkeitsschutz, sagt der Ingenieur. Der Bedarf steigt. Laut dem Hersteller Lasa werden die Ziegel nicht mehr nur für Billigunterkünfte geordert. Auch Luxuswohnungen und Hotels würden schon daraus gebaut.


Die Industrie ist nicht erfreut

Der Siegeszug der Öko-Ziegel werde allerdings noch durch "politische und Wirtschaftsinteressen" gebremst, kritisiert Casanova. Bei dem Bauverfahren werde weniger Mörtel gebraucht. Zudem spare man auch Moniereisen, Draht, Nägel und Putz. Das sei nicht im Interesse der großen Bauunternehmen und Baustofflieferanten, meint der Wissenschaftler.

Nach seinen Berechnungen werden in Brasilien jährlich 50 Millionen Tonnen Zement verkauft. Mehr als zwei Drittel davon werden im untersten Bausegment eingesetzt, wo die Häuser oft in Eigenleistung entstehen und umgebaut werden.

Auch die Produktion ausreichender Mengen Öko-Ziegel ist noch ein Problem. Für das Mammutprojekt PAC müssten innerhalb von weniger als zwölf Monaten zehn Millionen Ziegel geliefert werden, berichtet Casanova. Dafür gebe es im Moment aber noch keine ausreichenden Kapazitäten. Nach offiziellen Angaben fehlen in Brasilien über sieben Millionen Wohnungen. Die Regierung Lula will diesen Rückstand bis Ende des Jahres um 14 Prozent reduzieren - ein Ziel, das Experten für kaum erreichbar halten. (Ende/IPS/sv/2010)


Links:
http://www.brasil.gov.br/para/press/press-releases/march/brazil-announces-phase-two-of-the-growth-acceleration-program
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52233

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2010