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LATEINAMERIKA/098: Abkehr von der Kohle gefordert - Region soll Führungsrolle einnehmen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2014

Lateinamerika: Abkehr von der Kohle gefordert - Region soll Führungsrolle bei Klimaschutz einnehmen

von Fabiola Ortiz


Bild: © Germán Miranda/IPS

Nebelwald in Costa Rica
Bild: © Germán Miranda/IPS

Rio de Janeiro, 17. November (IPS) - Wenn im Dezember in Peru auf der 20. Konferenz der Vertragsstaaten (COP20) der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) die Fortschritte im globalen Kampf gegen die Erderwärmung analysiert werden, wird Lateinamerika einige Erfolge vorweisen können. Doch die Dekarbonisierung der Wirtschaft bleibt auch für diese Weltregion eine der größten Herausforderungen im Kampf gegen den Klimawandel.

Wie Experten gegenüber IPS erklärten, konnten die Waldverluste des lateinamerikanischen Amazonasgebiets deutlich verringert werden. Gerade Brasilien verzeichnete im letzten Jahrzehnt in seinem Teil des Amazonasdschungels einen Rückgang der Entwaldung um 80 Prozent. Nun sei es an der Zeit, die Empfehlungen des Anfang November vorgestellten, fünften Weltklimaratsberichts zu beherzigen und die Abhängigkeit Lateinamerikas von fossilen Brennstoffen zu verringern.

"Wir sollten endlich mit dem alten Gedanken brechen, dass es viel zu schwierig sei, einen regionalen Konsens zu erreichen", meinte der Vorsitzende der Umweltvereinigung 'Friends of the Earth Brazil', Roberto Smeraldi. "Wir können mit einer Vielfalt neuer Erfahrungen aufwarten. Lateinamerika kann als Labor dienen, um möglichst viel über den Klimawandel zu erfahren."

Nach Ansicht von Smeraldi müssen mit Hilfe bilateraler und regionaler Abkommen neue Allianzen geschmiedet werden, die die Position Lateinamerikas bei den Verhandlungen der Vertragsstaaten stärken. Dies sollte sowohl auf dem Treffen in Lima als auch auf dem gesamten Weg hin zu einem neuen Klimaabkommen 2015 in Paris der Fall sein.


Brasilien soll Chance auf Führungsrolle ergreifen

Smeraldi warf jedoch der Regierung Brasiliens vor, nicht alle Vorteile hinsichtlich seines Ressourcenreichtums und seines Potenzials, die Wirtschaft des Landes zu entkarbonisieren, zu nutzen. "Brasilien sollte daran interessiert sein, eine offensivere Rolle bei den Klimaverhandlungen zu spielen und auf Fortschritte bei den Gesprächen dringen. Ich bin überzeugt, dass das Land selbst dann, wenn es zu einem größeren Erdölexporteur aufsteigen sollte, eine kohlenstoffarme Wirtschaft hinbekommen könnte."

Der Weltklimarat drängt weltweit zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Die Finanzflüsse sollten demnach so modifiziert werden, dass die CO2-Emissionen substanziell abgesenkt werden können. Gefordert wird unter anderem eine Reduzierung der weltweiten Investitionen in fossile Brennstoffe um 30 Milliarden US-Dollar jährlich.

Auch der Direktor des 'Climate Leadership Corps' beim 'Climate Reality Project', Mario Molina, ist der Meinung, dass sich Lateinamerika durchaus in Richtung Entkarbonisierung der Wirtschaft bewegen könnte. Die internationale Umweltorganisation, deren Vorsitzender der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore ist, hatte in Rio de Janeiro vom 4. bis 6. November ein Trainingsseminar zu Klimafragen veranstaltet.

Die Vorstellung, dass der Wohlstand Lateinamerikas und die Entwicklung der Region von der Förderung von Rohstoffen, insbesondere von fossilen Energieträgern, abhingen, entspreche nicht den Tatsachen, erklärte Molina. "Wir haben über Entschädigungen für die Emissionen in der Vergangenheit gesprochen und über die Verantwortlichkeit der Industriestaaten. In Wahrheit tragen wir alle Verantwortung. Wir müssen in die Zukunft blicken und uns als Trendsetter in Sachen Nachhaltigkeit ausweisen."

Die Schaffung von Mechanismen, die den Transfer sauberer Technologien und die Auflage von Investmentfonds für Nachhaltigkeitsprojekte und erneuerbare Energien garantierten, sei eine Alternative für die Region, so Molina. "Wenn es darum geht, gegen den Klimawandel vorzugehen, sollten die Lateinamerikaner nicht an einem Diskurs der Vergangenheit festhalten."


Chile plant Steuer auf CO2-Emissionen

Dem Experten zufolge steht Chile beim Klimaschutz an vorderster Front, seit es im September als erstes Land Lateinamerikas eine Steuer auf CO2-Emissionen angekündigt hat. Damit sollen die Energieunternehmen gezwungen werden, allmählich auf sauberere Quellen umzusteigen. Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent im Verhältnis zu 2007 zu senken.

"Chile hat Führungsqualitäten gezeigt, indem es für die CO2-Emissionen einen Preis verlangt. Ähnliches müssen wir in einem großen Maßstab in der gesamten Region tun", sagte Molina. "Wir müssen begreifen, dass sich unser Ressourcenreichtum über dem Boden befindet: Es sind die Menschen, die Solarkraft und die Windenergie."

Molina und andere Experten zeigten sich beunruhigt über ecuadorianische Pläne, in der Amazonasregion im großen Umfang und sogar innerhalb des fast 10.000 Quadratkilometer großen Yasuní-Nationalparks nach Erdöl zu bohren. Nach Aussagen des ecuadorianischen Staatspräsidenten Rafael Correa sind die Öleinnahmen wichtig, um die Armut im Lande zu bekämpfen und das Land zu entwickeln.

Aufgrund eines Entwicklungsmodells, das auf fossilen Brennstoffen beruht, wurden nach Schätzungen der UN-Agrarorganisation FAO zwischen 2000 und 2010 in Lateinamerika jährlich vier Millionen Hektar Wald vernichtet. Aus dem FAO-Bericht 'The Global Forest Resources Assessment 2010' geht hervor, dass allein in Brasilien in dem Zeitraum jedes Jahr durchschnittlich 2,6 Millionen Hektar Grünfläche verloren gingen, auch wenn die Entwaldung der Amazonasregion insgesamt rückläufig war.


FAO betont Rolle von Wäldern als CO2-Speicher

In dem FAO-Report wird die wichtige Rolle von Wäldern im Kampf gegen den Klimawandel betont. Bäume speichern jährlich weltweit 289 Gigatonnen Kohlendioxid. Allein durch die Amazonasregion werden mehr als 100 Gigatonnen CO2 gebunden.

Trotz aller Bemühungen, die Wälder zu schützen, fallen weiterhin viele Tropenbäume der Kettensäge zum Opfer, da die nachhaltige Nutzung von Böden und die Verwaltung der Naturgebiete im Allgemeinen in Lateinamerika noch nicht geregelt sind. "Die Bedeutung der Amazonas-Regenwälder und anderer tropischer Urwälder ist weltweit anerkannt, und es gibt Unterstützung für ihren Erhalt", sagte er. "Vor uns liegt aber noch viel Arbeit."

Der Geschäftsführer des Klima-Observatoriums in Brasilien, Carlos Rittl, wies darauf hin, dass es keine regionalen Vereinbarungen hinsichtlich der Wälder oder eines Stopps der Entwaldung gebe. Die Entwicklungsländer des Südens hätten keine bindenden Ziele für die Reduzierung der Emissionen im Rahmen der UNFCCC vereinbart. Einige Staaten seien allerdings auf nationaler Ebene Verpflichtungen eingegangen, darunter Paraguay mit einem vollständigen Holzeinschlagverbot oder Peru, das einen Waldfonds zur Finanzierung von Nachhaltigkeitsprojekten eingerichtet habe.

Signifikant ist vor allem das Beispiel Costa Ricas, das sich als erstes Land der Welt ein CO2-Neutralitätsziel gesetzt hat. Spätestens 2021 soll in dem zentralamerikanischen Staat genau so viel CO2 gespeichert wie freigesetzt werden. Am 23. September unterzeichneten Chile, Kolumbien, Guyana und Peru während eines UN-Klimatreffens die New Yorker Erklärung zu Wäldern, wonach die Abholzung von Naturwäldern bis 2030 gestoppt sein soll. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/11/america-latina-pone-la-mirada-en-descarbonizar-su-economia/
http://www.ipsnews.net/2014/11/latin-america-discusses-decarbonising-the-economy/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2014