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MEER/049: Korallensterben durch tödliche Kettenreaktion (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 23. Mai 2012

KLIMAFORSCHUNG | MIKROBIOLOGIE | ÖKOLOGIE

Korallensterben durch tödliche Kettenreaktion

Erosion in tropischen Küstenregionen führt zum schnellen Tod der Korallen

Auf dem Foto sind küstennahe riffbildende Korallen im Grossen Barriere Riff in Australien zu sehen. Sie sind mit einer 2 Millimeter dünnen Sedimentschicht bedeckt. - Foto: © M. Weber/HYDRA, MPI für marine Mikrobiologie, mweber[at]hydra-institute.com

Drei verschiedene küstennahe riffbildende Korallen im Grossen Barriere Riff in Australien. Sie sind mit einer 2 Millimeter dünnen Sedimentschicht bedeckt. Das Sediment ist von Land über Flüsse in das Korallenriff eingetragen worden.
Foto: © M. Weber/HYDRA, MPI für marine Mikrobiologie, mweber[at]hydra-institute.com

Die Farbigkeit, Vielfalt und Exotik der tropischen Korallenriffe fasziniert viele Menschen weltweit. Und doch sind es die Folgen unserer Zivilisation, die dieses fragile Ökosystem bedrohen durch Klimaerwärmung, Sauerstoffmangel und Ozeanversauerung. Fortschreitende Industrialisierung, Waldrodungen und intensive Landwirtschaft in küstennahen Gebieten führen zu Erosion und verändern die Lebensbedingungen im Meer dramatisch. Jetzt haben Bremer Forscher vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie im Team mit Kollegen aus Australien, dem Sultanat von Oman und Italien untersucht, woran die Korallen sterben. Demnach startet Sauerstoffmangel zusammen mit einer Versauerung der Umgebung eine Kettenreaktion, die zum Absterben der Korallen führt.

Riffbildende Steinkorallen siedeln in flachen, lichtdurchfluteten tropischen Küstengewässern zwischen 30 Grad Nord und 30 Grad Süd. Die einzelnen Polypen der Koralle scheiden ein Kalkskelett aus und bilden Millimeter um Millimeter in vielen hunderten bis tausenden Jahren das Riff. Sie leben dabei in Symbiose mit einzelligen Algen, die dem Riff die charakteristischen Farben geben. Diese photosynthetisch aktiven Algen bilden wie die Pflanzen an Land aus Kohlendioxid und Wasser Sauerstoff und Kohlenhydrate, von denen der Polyp leben kann.

Man weiß schon seit den 1980er Jahren, wie die Korallenbleiche abläuft: Erhöhte Wassertemperaturen um nur 1 bis 3 Grad führen dazu, dass die Algen anfangen, Giftstoffe zu produzieren, und die Polypen als Abwehrreaktion die farbigen Algen abstoßen. Der Korallenstock wirkt wie ausgebleicht. Die Koralle ist jedoch auf die Algen angewiesen und kann ohne sie nur noch wenige Wochen überleben.

Das Korallensterben kann auch viel schneller ablaufen, beispielsweise in Küstenzonen, in denen durch Flüsse nährstoffreiche Sedimente ins Meer gespült werden. Miriam Weber, Wissenschaftlerin am Bremer Max-Planck-Institut, beschreibt den Forschungsansatz: "Wir wollten wissen, wie verstärkte Sedimentablagerungen, gepaart mit dem Eintrag von organischem Material, und natürlich vorkommende Mikroorganismen den Korallentod verursachen. Um die wesentlichen physikalischen, chemischen und biologischen Parameter zu untersuchen, haben wir unsere Versuche mit natürlichem und modifiziertem Sediment in 60 Liter großen Behältern, so genannten Mesokosmen, am Australischen Meeresforschungsinstitut (AIMS) in Townsville durchgeführt."

Miriam Weber misst die Sauerstoffkonzentration mit einem haarfeinen Mikrosensor in einer Sedimentschicht, die sich auf einer Korallen angesammelt hat. - Foto: © Lott/HYDRA Institute/MIP für marine Mikrobiolgie, Bremen, c.lott[at]hydra-institute.com

Miriam Weber misst die Sauerstoffkonzentration mit einem haarfeinen Mikrosensor in einer Sedimentschicht, die sich auf einer Korallen angesammelt hat. Wenn der Gehalt an organischem Material in der zwei Millimeter dünnen Sedimentschicht leicht erhöht ist, reicht es aus, um die Koralle zu schädigen und eine tödliche Kettenreaktion in Gang zu setzen. Die Algen können keinen Sauerstoff mehr produzieren, Mikroorganismen zersetzen die organischen Verbindungen und machen die Umgebung sauer. In der Folge entsteht das Zellgift Schwefelwasserstoff, das den schnellen Korallentod endgültig besiegelt.
Foto: © Lott/HYDRA Institute/MIP für marine Mikrobiolgie, Bremen, c.lott[at]hydra-institute.com

Die Forscher fanden heraus, in welchen Schritten der schnelle Korallentod abläuft:

Phase 1: Lagert sich eine nur zwei Millimeter dünne, mit organischem Material versetzte Sedimentschicht auf den Korallen ab, stellen die Algen die Fotosynthese ein, weil kein Licht mehr zu ihnen durchdringt.

Phase 2: Der Sauerstoffgehalt dieser Schicht sinkt auf Grund erhöhter Aktivität von Mikroben, die das organische Material umsetzen, auf null. Jetzt treten andere Mikroorganismen auf den Plan, die größere Kohlenstoffverbindungen im Sediment durch Fermentation und Hydrolyse abbauen, wodurch die Umgebung saurer wird.

Phase 3: Der fehlende Sauerstoff und die saureren Bedingungen reichen aus, dass erste Stellen der Koralle unwiederbringlich geschädigt werden. Das absterbende Korallengewebe wird dann wiederum von Bakterien abgebaut und es wird Schwefelwasserstoff, ein starkes Zellgift, frei. Dieser ist toxisch für die noch lebenden Teile der Koralle und führt in einer Art Kettenreaktion zum Absterben der umliegenden Polypen in weniger als 24 Stunden.

Miriam Weber: "Zunächst dachten wir, der giftige Schwefelwasserstoff sei der Killer für die Koralle, aber unsere Versuche und die mathematische Modellierung haben klar gezeigt, dass es ausreicht, dass das Milieu sauerstofffrei und saurer wird, um die Korallen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der im weiteren Verlauf gebildete Schwefelwasserstoff beschleunigt dann das Absterben. Erstaunlich für uns war, dass die geringe Erhöhung des organischen Gehalts um lediglich ein Prozent im Sediment ausreicht, um diese tödliche Wirkung zu entfalten. Die extreme Wirkung von Sauerstoffmangel bei gleichzeitiger Ansäuerung sind eine wichtige Erkenntnis, gerade vor dem Hintergrund der rasch zunehmenden Versauerung der Ozeane. Wenn wir diese Umweltzerstörung stoppen wollen, sind politische Entscheidungen notwendig."

Die Karte zeigt das Verbreitungsgebiet von Korallenriffen. 15% der Weltbevölkerung hängt direkt vom Zustand der Korallenriffe ab. Riffe bilden natürlichen Küstenschutz, Erholungsgebiet für Touristen ... - Karte: © NOAA

Das Verbreitungsgebiet von Korallenriffen ist zwischen 30°N und 30°E Süd. 15% der Weltbevölkerung hängt direkt vom Zustand der Korallenriffe ab. Riffe bilden natürlichen Küstenschutz, Erholungsgebiet für Touristen, Fischereigründe, wichtige Naturstoffe für medizinische Zwecke und sind Ökosysteme mit hoher Biodiversität.
Karte: © NOAA

Katharina Fabricius vom AIMS ergänzt: "Diese Studie hat erstmalig die Mechanismen gezeigt, warum diese an organischem Material angereicherten Sedimenten die Korallen schädigen. Nicht angereicherte Sedimente, die vom Meeresboden durch Wind und Welle aufgewirbelt werden, haben hingegen wenig Auswirkungen auf die Korallenriffe. Verbessertes Küstenzonenmanagement ist nötig, um den Verlust von Boden und Nährstoffen zu verringern, so dass sie nicht ins Meer gespült werden."  MS/HR


Originalveröffentlichung
Miriam Weber, Dirk de Beer, Christian Lott, Lubos Polerecky, Katharina Kohls, Raeid M. M. Abed, Timothy G. Ferdelman, and Katharina E. Fabricius.
Mechanisms of damage to corals exposed to sedimentation
PNAS 10.1073/pnas.1100715109 PNAS May 21, 2012

Ansprechpartner
Dr. Miriam Weber
Hydra Field Station
Email: m.weber[at]hydra-institute.com
Dr. Dirk de Beer
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Email: dbeer[at]mpi-bremen.de
Dr. Katharina Fabricius
AIMS Principal Research Scientist
Email: k.fabricius[at]aims.gov.au
Dr. Manfred Schlösser
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Email: mschloes[at]mpi-bremen.de

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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 23. Mai 2012
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Hofgartenstraße 8, 80539 München
Telefon: 089/21 08-0, Fax: 089/21 08-12 76
E-Mail: presse@gv.mpg.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2012