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MEER/054: Plastik zum Frühstück - Müll im Meer wird zur Bedrohung (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/12
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Plastik zum Frühstück
Müll im Meer wird zur Bedrohung

von Jasmin Singgih



Ausrangierte Flip Flops, Feuerzeuge, Zahnbürsten, PET-Flaschen, Kühlschränke, leere Farbeimer - es gibt fast nichts, was die Menschheit noch nicht ins Meer geworfen hat. Doch die Ozeane schlucken nicht alles, sondern speien Teile des ihnen überlassen Wohlstandsabfalls zurück an die Strände und Küsten. Ohne diese stille Reklamation würde vielen wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass der Müll nach dem Wurf in die weite Tiefe zwar aus dem Blickfeld verschwindet, aber im Ökosystem dramatische Folgen hat.

Das was wir als Verunreinigung an unseren Lieblingssonnenplätzen verabscheuen, macht aber nur 15 Prozent des gesamten Abfalls aus. Der Rest schippert weiter an der Wasseroberfläche oder schlummert auf dem Meeresgrund.

Für Fischer Gunnar Gerth-Hansen sind die Abfälle ein ewiges Ärgernis, denn die weggeworfenen Kanister, Flaschen und Schrott zerstören seine Netze und können den Schiffsrumpf und die Schraube beschädigen. Bei der NABU-Initiative Fishing for litter , an dem sich die Fischereihäfen in Fehmarn und Heiligenhafen beteiligen, war er Mann der ersten Stunde. In seinem Heimathafen Burgstaaken auf Fehmarn bringen er und seine Kollegen nun den ganzen Müllbeifang an Land, um ihn ordnungsgemäß zu entsorgen. Der in Containern gesammelte Müll liefert wiederum wichtige Hinweise darüber, welche Stoffe am häufigsten im Meer landen.

Stresstest für die Meere

In den meisten Meeren und so auch in der deutschen Nordsee ist das Plastikmüll. Als eine der meist befahrenen Schifffahrtsregionen der Welt wird sie mit 20.000 Tonnen Müll im Jahr als Deponie missbraucht. Mehr als 75 Prozent davon sind Kunststoff, sprich Plastik und Styropor. Für die Ostsee gibt es ähnliche Schätzungen. Doch woher kommen diese gigantischen Mengen? Global betrachtet stammt der meiste Müll von Land, der über Umwege kommunaler Abwässer, durch Touristen oder illegalen Verklappungen irgendwann ins Meer gelangt.

Regional sind vor allem die Schifffahrt und die Fischerei entscheidend. Zwar untersagt das MARPOL-Abkommen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO das Entsorgen von Plastikabfällen auf See, aber fehlende Kontrollen und Sanktionen sowie eine teils ineffektive Abfallentsorgung in den Häfen führen dazu, dass viele Reeder und Kapitäne sich nicht an die Vorgaben halten. "Auf den vielbefahrenen Schifffahrtswegen der südlichen Nordsee finden wir sehr viel mehr Abfälle als anderswo. Durch die illegale Entsorgung der teilweise geschredderten Plastikabfälle wollen die Reedereien oder Kapitäne zusätzliche Entsorgungskosten in den Häfen umgehen", erklärt NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff.

Jahrhunderte beständig

Das Treibgut aus Kunststoff ist beständig, denn es zersetzt sich nicht wie organische Stoffe. Einwegwindeln und Plastikflaschen halten sich beispielsweise mehr als 450 Jahre, Angelschnüre überdauern mehr als sieben Generationen. Mittlerweile bauen Basstölpel auf Helgoland ihre Nester schon aus Müll, weil er häufiger vorkommt als Seetang. Plastiktüten ähneln im Wasser Quallen, der Lieblingsspeise von Meeresschildkröten. Sonne, Salzwasser und Wellengang schrumpfen das aus Erdöl hergestellte Material immer weiter zu kleinsten Plastikpartikeln, die dann in den Mägen diverser Meeresbewohner landen.

Besonders betroffen sind Eissturmvögel an der deutschen Küste: Fast jeder tot aufgefundene Vogel hat Plastik im Magen. Pro Vogel fanden Wissenschaftler zwischen 25 und 30 Plastikteile. Auf den Menschen übertragen heißt das eine Brotdose Plastik zum Frühstück. "Das ökologisch noch viel größere Problem ist aber Mikroplastik, also Plastik, das kleiner als fünf Millimeter ist", sagt Detloff. "Es gibt Regionen im Meer, in denen wir sechs Mal mehr Plastik finden als Plankton, die Basis jeden Lebens."

Mittlerweile ist belegt, dass Meeresbewohner die kleinen Kunststoffteilchen als Plankton wahrnehmen und fressen. Nachweisen konnte man das bereits in Miesmuscheln und planktonfressenden Fischen. Ein gefährlicher Nebeneffekt dieser Plastikpartikel ist auch die Eigenschaft, im Wasser gelöste Umweltgifte wie DDT, PCBs oder Lindan anzureichern. Sie sind krebserregend und fruchtschädigend. Und auch die giftigen Inhaltsstoffe des Plastiks, Bisphenol A oder die Weichmacher schädigen das Erbgut und das Hormonsystem von Meerestieren.

Ein Recht für die Meere?

Auf europäischer Ebene ist die Gefahr erkannt: Die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2008 soll die Mitgliedstaaten in die Pflicht nehmen, um Abfälle im Meer bis 2020 so zu reduzieren, dass sie "keine schädlichen Auswirkungen mehr auf die Küsten- und Meeresumwelt haben". Auch drastische Maßnahmen wie ein europaweites Plastiktüten-Verbot werden bereits diskutiert. So eilig die Umsetzung ist, so unbeweglich ist leider auch das internationale Rechtssystem. Europa wird sein Ziel in der gesetzten Zeit voraussichtlich nicht erreichen.

Mehr Hoffnung gibt es auf Seiten der Zivilgesellschaft, wenn aus einzelnen Initiativen große Bewegungen werden: Beim International Coastal Cleanup Day 2010 sammelten rund 500.000 Teilnehmer aus 108 Ländern fast 3.600 Tonnen Müll. Auf lokaler Ebene veranstaltet der NABU Sammel- und Reinigungsaktionen, etabliert Spülsaumerfassung in Naturschutzgebieten und arbeitet eng mit Sporttauchern und Seglern zusammen, um in der Bevölkerung mehr Umweltbewusstsein zu erreichen. Auf Fehmarn regt Gunnar Gerth-Hansen die Fischverkäufer dazu an, statt Plastik einfach Papiertüten zu verwenden. "In den verschiedenen Generationen der Fischer muss man sich auch erst mal mit dem Gedanken auseinandersetzen, was Plastikmüll im Meer überhaupt bedeutet. Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit dem NABU den ersten Schritt tun", sagt Gerth-Hansen.

Der NABU hat zum Thema folgende Informationen erstellt: A4-Faltblatt "Müllkippe Meer" (Bestell-Nummer 5223), A5-Broschüre "Problem Plastik" (Nr. 5229) sowie die Flyer "Abtauchen - Sporttaucher für saubere Meere" (Nr. 5227) und "Müll voraus" (Nr. 5226) speziell für Segler. Bezug jeweils kostenfrei gegen Portoübernahme beim NABU-Shop.

http://www.nabu.de/nabu/nh/2012/2/14877.html#header

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/12, S. 14-15
(Text in der Internet-Fassung)
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2012