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MEER/380: Bedrohtes Gleichgewicht - Die Situation der Meere wird immer ernster (Securvital)


Securvital 3/21 - Juli-September 2021
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ozeane
Bedrohtes Gleichgewicht

Von Astrid Froese


Die Situation der Meere wird immer ernster. Ob Überfischung, Plastikverschmutzung oder Klimawandel: Ihre Folgen gefährden auch die menschliche Gesundheit.

Er hat die EU über Monate in Atem gehalten: der Brexit - und mit ihm die Fischerei. Am Ende haben fast alle etwas verloren. Die britischen Fischer den unkomplizierten Zugang zum europäischen Markt. Die europäischen Fischer einen Teil ihrer traditionellen Fangquoten in britischen Gewässern. Und die Politik einmal mehr ihre Glaubwürdigkeit in puncto Wahlkampfversprechen. Bekommen haben viele Fischer dafür mehr Bürokratie, einen Haufen logistischer Probleme und weniger Einkommen.

Der Brexit sollte so manchen Wunsch erfüllen. Den britischen Fischern erschien er als Rettung im Kampf gegen unlautere Konkurrenz aus dem Ausland. Und so stimmten in einigen Küstenstädten mehr als 70 Prozent der Bevölkerung für den EU-Austritt. Stein des Anstoßes bildete die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU. Sie bestimmt seit den 70er-Jahren die Mengen, welche die Flotten der Mitgliedsstaaten fangen dürfen. Zudem regelt sie den Zugang von Fangbooten zur 200-Meilen-Küstenzone der Meeresanrainer. Die Nutzung ihrer »Ausschließlichen Wirtschaftszone«, so die Hoffnung der britischen Fischer, würde nach dem Austritt allein Großbritannien zustehen und damit eine Renaissance der britischen Fischerei einleiten.

Düstere Bilanz

Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Zu groß waren die Zugeständnisse, die London in den Verhandlungen am Ende gemacht hat. Mit dem Ergebnis, dass die EU schrittweise auf lediglich 25 Prozent ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern verzichtet. Und so kämpfen vor allem die kleinen Fischer nach wie vor damit, dass ein erheblicher Teil der Fangrechte einigen wenigen großen Unternehmen gehört. So manchem geht es deutlicher schlechter als vor dem Brexit.

Und die Fische, profitieren wenigstens sie? Leider nicht. Zwar sind die Quoten für Seelachs, Scholle und Hering in der ersten Vereinbarung zwischen der EU, Großbritannien und Norwegen nach dem Brexit gesenkt worden, um die Bestände zu erhalten. Doch noch immer mündet das Ringen um Fangquoten allzu oft in politischen Entscheidungen, die weit hinter den Empfehlungen von Umweltverbänden zurückbleiben. Zwar liegen die Fangquoten bei fünf von sechs Fischarten der gemeinsamen Bestände in den Grenzen dessen, was vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) als nachhaltig angesehen wird. Die von Wissenschaftlern empfohlene Senkung der Fangmenge für Kabeljau wurde jedoch nicht umgesetzt. Und so ist auch der Brexit ein Beispiel dafür, dass Meeres- und Artenschutz leider hintenanstehen müssen, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. »Die Überfischung in Europa wird auch im Jahr 2021 weitergehen«, sagt Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Und kritisiert, dass die Kontrolle und Umsetzung der Quoten lückenhaft seien oder gar nicht stattfänden.

Bereits 2018 galten nach Informationen des WWF weltweit gut 30 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände als »überfischt« und circa 60 Prozent als »maximal genutzt«. Besonders schlimm sieht es danach in den europäischen Gewässern aus: So werden im Mittelmeer und im Schwarzen Meer sogar gut 60 Prozent der Bestände als überfischt eingestuft. Zudem führt der anhaltend hohe Fischkonsum dazu, dass die Boote immer weiter fahren und immer kleinere und jüngere Fische fangen, wie auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) anprangert. 93 Prozent des Nordsee-Kabeljaus landen inzwischen in den Netzen, bevor die Tiere sich zum ersten Mal fortgepflanzt haben. Einzelne Wissenschaftler befürchten, dass die kommerziell genutzten Fischbestände bis zum Jahr 2048 vollständig vernichtet sein könnten. Ein katastrophales Szenario.

Klare Fakten

Mehr als 70 Prozent unseres Planeten sind von Weltmeeren bedeckt. Als weltweit wichtigste Sauerstoffproduzenten und größte Speicher von CO2 ist ihre Bedeutung für das globale Ökosystem entscheidend. Sie sind laut Greenpeace »unsere Verbündeten im Kampf gegen die Klimakrise«, denn sie kühlen den Planeten. Meere beherbergen eine enorme biologische Vielfalt und leisten einen entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherung. Circa 3,2 Milliarden Menschen decken weltweit mehr als 20 Prozent ihres Eiweißbedarfs durch Fisch. Für mehr als zehn Prozent aller Menschen bildet der Fischereisektor die Existenzgrundlage.

Dabei stellt Überfischung nur eine der Bedrohungen dar. Auch der vom Menschen verursachte Klimawandel verändert die Ozeane dramatisch. Wie ein vom Weltklimarat IPCC veröffentlichter Sonderbericht zeigt, haben sie seit 1970 mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Wärme aus der Erdatmosphäre aufgenommen und sich dadurch kontinuierlich erwärmt. Wasserschichten durchmischen sich in der Folge schlechter, wodurch viele Meereslebewesen nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden. Erhöhte Wassertemperaturen sorgen für eine thermische Ausdehnung der Ozeane und damit zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Ein Effekt, der durch das Schmelzen riesiger Eisschilde und Gletscher verstärkt wird. Bis 2100 ist nach Angaben des WWF damit zu rechnen, dass der Meeresspiegel um bis zu 110 Zentimeter steigt - mit verheerenden Konsequenzen für die 745 Millionen Menschen, die an niedrig liegenden Küsten und in Inselstaaten leben. Sie sind es auch, die besonders von den marinen Hitzewellen betroffen sein werden, wenn ganze Fischbestände infolge des Temperaturanstiegs abwandern.


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Was kann der Einzelne tun?

Um die Meere und ihre Artenvielfalt zu erhalten, sind vor allem die Staatengemeinschaft und die Wirtschaft gefordert. Doch auch der Einzelne kann etwas tun. Das Umweltbundesamt hat Tipps für Privatverbraucher zusammengestellt: So tragen ein reduzierter Fleischkonsum und die bewusste Entscheidung für Fleisch aus biologischer Haltung dazu bei, dass weniger Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor in die Gewässer gelangen. Die ordnungsgemäße Entsorgung von Medikamenten verhindert, dass die Inhaltsstoffe ins Abwasser fließen. Und auch die Verwendung von Mehrwegverpackungen statt Einwegplastik hilft, den Zustand der Meere zu verbessern.
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Immer mehr Risiken

Plastiktüten, Cremetuben, PET-Flaschen, Einwegbesteck und vieles mehr: Von den über 400 Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr produziert werden, landen Schätzungen zufolge bis zu 10 Millionen Tonnen in den Meeren. Bis zu 18.000 Plastikteile schwimmen nach Angaben des UN-Umweltprogramms (UNEP) auf jedem Quadratkilometer Wasseroberfläche. Das sind etwa 15 Prozent des gesamten Meeresmülls. Im Meer hat Plastik eine Haltbarkeit von bis zu 450 Jahren. Durch Salz, Sonne und Reibung wird es zwar langsam zersetzt, doch dabei werden giftige Inhaltsstoffe freigesetzt. Hunderttausende Wale, Delfine, Schildkröten, Seevögel und andere Meerestiere verenden qualvoll, da sie die Plastikteile mit Nahrung verwechseln. In der Folge verhungern sie, weil Kunststoffe ihren Magen verstopfen. Zudem werden im Meer entsorgte Fischernetze zu tödlichen Fallen, in denen sich die Tiere verfangen und ertrinken. Über die Fische gelangen kleinste Plastikpartikel - sogenanntes Mikroplastik - und mit ihm schädliche Zusatzstoffe über die Nahrungskette auch in den menschlichen Körper. Wie gefährlich Mikroplastik für den menschlichen Organismus ist, dazu fehlen finale Befunde, weil die Langzeitfolgen noch nicht ausreichend untersucht sind. Einzelne Laborstudien lassen jedoch vermuten, dass sich die Aufnahme negativ auswirkt und Fruchtbarkeit sowie Sterblichkeit beeinflusst. Forscher des Umweltbundesamtes befürchten, dass sich die Partikel im Körper einlagern und Entzündungen im Darm- oder Lebergewebe auslösen, eventuell sogar Krebs begünstigen. Belege dafür gibt es jedoch noch nicht.


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So lange bleibt der Müll im Meer

Angelschnur: 600 Jahre
Plastikflasche: 450 Jahre
Wegwerfwindel: 450 Jahre
Plastikboje: 450 Jahre
Getränkedose: 200 Jahre
Blechdose: 50 Jahre
Plastiktüte: 10-20 Jahre
Sperrholz: 1-3 Jahre
Zigarettenkippen: 1-5 Jahre
Kerngehäuse Apfel: 2 Monate
Pappkarton: 2 Monate
Baumwollshirt: 2-5 Monate
Tageszeitung: 6 Wochen
Papiertaschentücher: 2-5 Wochen

(Quelle: Graphik der NOAA, U.S./Woods Hole Sea Grant, U.S.)
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Die Umweltschäden sind auf jeden Fall immens. Dazu kommt, dass immer mehr Branchen unter der Verschmutzung leiden. Badeorte, die allmorgendlich den Müll an den Stränden entsorgen müssen. Schifffahrtsbetreiber, in deren Schiffsschrauben sich umhertreibende Netze verfangen. 13 Milliarden Euro jährlich - so hoch wird der wirtschaftliche Schaden durch Plastikmüll in den Meeren geschätzt. Kosten, die nicht durch ihre Verursacher getragen werden. Ob industrielle Überfischung, Plastikmüll oder der Klimawandel: Sie alle setzen den Ozeanen schwer zu, gefährden die Artenvielfalt und damit in der Folge auch menschliches Leben. Die alarmierenden Berichte des Weltklimarats (IPCC) und des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) dokumentieren, wie gefährdet die Meere sind. Ihre Nutzung durch den Menschen hat in wenigen Jahrzehnten dazu geführt, dass die ältesten Ökosysteme der Erde wärmer, saurer, sauerstoff- und artenärmer werden.

Ruf nach Schutz

Umweltverbände dringen daher auf schnelles Handeln. So fordert Greenpeace gemeinsam mit Wissenschaftlern, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Ozeane unter konsequenten Schutz zu stellen. Bislang sind es nur rund ein Prozent, darunter vor allem die Gewässer um die hawaiianischen Inseln und das Great Barrier Reef vor Australien. Ein zentrales Problem ist, dass es bislang keinen globalen, rechtsverbindlichen Vertrag zur Einrichtung und Durchsetzung von Meeresschutzgebieten auf hoher See gibt. Um das zu ändern, verhandeln Regierungsvertreter unter dem Dach der Vereinten Nationen nun über einen globalen Ozean-Vertrag. Er soll ein verbindliches Regelwerk schaffen, das den »Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt außerhalb nationaler Hoheitsgewässer« gewährleistet. Denn langfristig »sichern lassen sich die Bestände nur durch großflächige echte Schutzgebiete ohne menschlichen Zugriff«, so Meeresbiologe Maack.

Auf internationale Regeln setzt auch Heike Vesper, Leiterin Meeresschutz des WWF Deutschland: »Wenn wir kein Plastik in unserem Körper wollen, müssen wir verhindern, dass jedes Jahr Millionen Tonnen Kunststoffmüll in die Natur geraten.« Dafür bedürfe es verbindlicher Ziele für Wirtschaft und Politik. Denn Meeresschutz ist Gesundheitsschutz.


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Welchen Fisch kann man noch essen?

Rund 15 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte konsumiert jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr. Mit der Entscheidung für umweltgerecht gefangenen Fisch können Verbraucher die Überfischung der Ozeane verringern. Hilfe bietet dabei der WWF-Fischratgeber, der seit fast zwanzig Jahren erscheint. Ihn gibt es gedruckt sowie im Internet und als App und er empfiehlt, welche Fischarten unbedenklich verzehrt werden können. Gängige Umweltsiegel werden erläutert und Fakten zur Lage der Meere präsentiert. Einig sind sich die Naturschützer vor allem darin: Genau wie Fleisch sollte auch Fisch als Delikatesse verzehrt werden. Nur so lässt sich der Konsum mit den natürlichen Ressourcen wieder in Einklang bringen.
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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Ein weiter ansteigender Meeresspiegel gefährdet die Existenz vieler Menschen in den Küstengebieten.
- Das Plastik am Strand bildet nur einen Bruchteil der Menge im Meer.
- Bedrohte Vielfalt: Bis zu 90 Prozent der weltweit genutzten Fischbestände gelten als gefährdet.

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Quelle:
Securvital 3/21 - Juli-September 2021, Seite 6-10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
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E-Mail: presse@securvita.de
Internet: www.securvita.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 3. August 2021

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