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PROTEST/052: Italien - Proteste gegen US-Radar- und Sendeanlage im sizilianischen Niscemi (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2013

Italien: Proteste gegen US-Radar- und Sendeanlage im sizilianischen Niscemi

von Silvia Giannelli


Bild: © Fabio D'Alessandro

MUOS-Antennen im Wald von Niscemi auf Sizilien
Bild: © Fabio D'Alessandro

Lucca, 18. Oktober (IPS) - Niscemi, eine sizilianische Kleinstadt mit rund 30.000 Einwohnern, ist nicht nur für ihren alten Korkeichenbestand bekannt. Dort befindet sich auch ein US-Militärstützpunkt mit einer Radar- und Sendeanlage, die Anlass zu Protesten gibt. Befürchtet werden gesundheitliche und ökologische Schäden.

Auf etwa einem Drittel des Stadtgebietes stehen Korkeichen, ein letzter Überrest der Eichenwälder, die einst die südliche Mitte Siziliens bedeckten. Mitten in diesem rund 3.000 Hektar großen und geschützten Wald, der 1997 zudem zu einer für die Gemeinde wichtigen Stätte erklärt wurde, liegt die 'Naval Radio Transmitter Facility' (NRTF) mit ihren etwa 40 Sendevorrichtungen.

Auch wenn der Stützpunkt offiziell der italienischen Armee gehört, wird er ausschließlich von der US-Marine als Teil der Marineluftwaffenbasis Sigonella genutzt. In den vergangenen Jahren rückte die Anlage ins Zentrum der Proteste der Einwohner von Niscemi. Dort befindet sich Berichten zufolge eine der vier Bodenstationen des Satellitenkommunikationssystems MUOS, deren Kapazitäten nach Angaben der US-Marine zehnmal höher sind als die der bisher verwendeten Anlage.

Was die Bewohner der Stadt von Weitem erkennen, ist auf Satellitenbildern klar ersichtlich. Die Antennen haben einen Durchmesser von 20 Metern und heben somit sich deutlich von der kargen Landschaft auf der Insel ab. Weitere Bodenstationen des Systems befinden sich im US-Bundesstaat Virginia und in Hawaii, eine andere wird in Australien gebaut.


Irgendwann war die Schmerzgrenze erreicht

"Die NRTF-Antennen wurden bereits 1991 installiert und haben zunächst kaum Bedenken wegen möglicher Gesundheitsgefahren ausgelöst", sagt die Rechtsanwältin und Aktivistin Paola Ottaviano. "Doch 2009, als Pläne über ein neues Projekt mit drei weiteren großen Antennen bekannt wurden, hatten die Leute genug."

"Damals bildeten sich die ersten Protestkomitees", erinnert sich Salvatore Giordano, der Sprecher des regionalen NO-MUOS-Koordinationsausschusses, "Und 2011 beteiligten sich ein paar Hundert Menschen an der ersten Demonstration. Ein Jahr später, am 30. März 2012, waren wir schon 20.000."

Die Aktivisten gehen nicht nur wegen der möglichen Gesundheitsrisiken durch MUOS auf die Barrikaden, sondern auch aus Sorge um das Ökosystem Korkwald. "Es beheimatet eine einzigartige Flora und Fauna, die es zu erhalten gilt. Wir wissen nicht, wie sich die elektromagnetischen Wellen auf die Artenvielfalt des Waldes auswirken", erläutert Ottaviano.

Die Europäische Kommission hat auf eine schriftliche Anfrage des italienischen Parlaments geantwortet, dass "der Bau einer Telekommunikationsinfrastruktur in für Gemeinden wichtigen Stätten (SCIs) oder in deren Nähe nicht verboten ist. Die Vereinbarkeit einer solchen Entwicklung mit den Zielsetzungen des Naturschutzes muss von Fall zu Fall entschieden werden."

Auf der Website des US-Generalkonsulats in Neapel versichern die US-Behörden, dass die MUOS-Bodenstation sämtlichen italienischen und US-Sicherheitsvorschriften genüge. Sie erklären zudem, dass den Ergebnissen der MUOS-Erdterminal-Untersuchung in Hawaii und Virginia zufolge die aktuelle elektromagnetische Strahlung bei Beschäftigten und Anwohnern deutlich unterhalb der gesetzlich erlaubten Obergrenze liege.

Die erste Phase des Bauprozesses wurde von Kontroversen begleitet. Wie auf der Website des US-Konsulats ersichtlich wird, hätte das italienische Verteidigungsministerium den Bau des MUOS-Systems innerhalb der NRTF-Basis genehmigen müssen. Ein Sprecher des Ministeriums wollte dies jedoch nicht bestätigen. Grünes Licht seitens der italienischen Behörden wäre aber auf jeden Fall erforderlich gewesen, da das Projekt in einer SCI geplant war.


Gerichtsverfahren

"Die Genehmigung erfolgte schließlich im Juni 2011", berichtet Ottaviano. "Uns liegt aber ein Dossier der US-Marine mit Fotos vor, auf der die Fundamente der Antennen deutlich zu sehen sind. Unter den Bildern steht 'Niscemi, April 2009'. Wir sind deshalb vor Gericht gezogen, um zu beweisen, dass der Beginn der Arbeiten illegal war."

Weder die US-Marine noch die Botschaft der USA in Italien wollten Fragen zu dem MUOS-Projekt beantworten.

Im März 2013 entschied die neu gewählte italienische Regierung unter dem Druck der Proteste von Bürgern und der Stadtverwaltung von Niscemi, die Genehmigung für die Installation der Antennen zu widerrufen. Die Stadt hatte eine unabhängige Risikobewertung gefordert.

Zwei Physiker, Professor Massimo Zucchetti vom 'Massachusetts Institute of Technology' (MIT) und Professor Massimo Coraddu von der Polytechnischen Universität in Turin, legten in einer Studie dar, dass die Strahlenwerte im Umfeld der bestehenden Sendeanlagen das zulässige Limit erreicht und in manchen Fällen sogar überschritten hätten. Außerdem bewerteten sie die zu MUOS vorliegenden Informationen als unvollständig und teilweise widersprüchlich. Sie kamen ferner zu dem Schluss, dass Risiken für das Ökosystem des Korkwaldes, den Luftverkehr und die Gesundheit der Anwohner nicht auszuschließen seien.

Die nationale Gesundheitsbehörde ISS war jedoch anderer Meinung. In einem im Juli veröffentlichten Dokument erklärte sie, dass es keine Hinweise auf mögliche Gesundheitsgefahren gebe.

Die Arbeiten an MUOS wurden am 20. August wieder aufgenommen. "Nachdem wir die Untersuchungsergebnisse von ISS erhalten hatten, gab es keine andere Möglichkeit, als die Aussetzung der Baugenehmigung aufzuheben", sagt Maria Lo Bello, die Vorsitzende des regionalen Umweltkomitees. Das könne Folgen für die Gesundheit der Menschen haben.


Höhere Krebsraten

Aus dem ISS-Bericht geht immerhin hervor, dass die Einwohner von Niscemi im Vergleich zu ihren Landsleuten in anderen Teilen Siziliens unter größeren Gesundheitsproblemen leiden. In Niscemi gibt es deutlich mehr Fälle von Leberkrebs und anderen Lebererkrankungen sowie der Krebsart Multiples Myelom, die das Blutplasma befällt. Hinzu kommen Erkrankungen des zentralen Nervensystems sowie andere Beschwerden, für die bisher keine konkreten Auslöser gefunden werden konnten. Das Papier empfiehlt, den Ursachen nachzugehen.

In anderen Worten: Es werden noch mehr Tests, Messungen und Studien vorgenommen werden. "Das alles erfordert Zeit, doch wir sind geduldig", meint der NO-MUOS-Aktivist Giordano. "Es kommt darauf an, dass die Menschen wissen, dass dieses Projekt auf Täuschungen aufbaut. Und wie lange haben Täuschungen Bestand?" (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.nomuosniscemi.it/
http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2012-007647&language=EN
http://www.iss.it/
http://www.ipsnews.net/2013/10/sicilian-town-opposes-u-s-transmitters/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2013