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SOZIALES/081: Indien - Waldrechte, indigene Frauen organisieren die Zukunft ihrer Gemeinschaften (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2015

Indien: Waldrechte, Waldschutz - Indigene Frauen organisieren die Zukunft ihrer Gemeinschaften

von Manipadma Jena


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Mit Stöcken bewaffnete Frauen aus dem Dorf Gunduribadi im ostindischen Bundesstaat Odisha patrouillieren die Wälder, um den Diebstahl von Holz zu verhindern
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NAYAGARH, INDIEN (IPS) - Kama Pradhan, den Blick auf den kleinen Monitor ihres GPS-Geräts geheftet, bewegt sich flink durch den dichten Regenwald von Nayagarh, einem Bezirk im ostindischen Bundesstaat Odisha. Vor ihr sucht eine Gruppe von Männern das Gebiet nach Grenzsteinen ab. Entdecken sie einen der Quader, befreien sie ihn von dem Gestrüpp, das sie mit den Jahren überwuchert hat.

Die schweren Markierungssteine, die von den Briten vor 150 Jahren angelegt worden waren, markieren die Außengrenze eines Geländes, auf das die britische Kolonialregierung damals Anspruch erhob, obwohl dort Millionen Waldbewohner seit Jahrhunderten zu Hause waren.

Pradhan lebt in Gunduribadi, einer Siedlung aus 27 indigenen Familien. Zusammen mit den Männern des Dorfes erfasst sie die Außengrenze des 200 Hektar großen Waldes, den die Gemeinschaft als ihr Eigen betrachtet. Es wird Tage dauern, bis der mit Karten ausgestattete Trupp das hügelige Areal abgeschritten haben wird, um all die Markierungsblöcke freizulegen.

Wie Pradhan betont, wird sie nicht eher ruhen, bis die Arbeit getan ist. "Wir werden nicht zulassen, dass man uns auch nur um ein Fitzelchen unserer Mutter, dem Wald, betrügt. Sie gibt uns Leben, so wie wir für sie unser Leben geben", versichert die 35-Jährige mit bewegter Stimme.


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Nibasini Pradhan, die mit einer achtjährigen Schulausbildung die gebildetste Frau ihres Dorfes ist, hat ein GPS-Gerät erhalten, um der Gemeinde bei der Ermittlung der Grenzen ihres Traditionslandes zu helfen
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Was sich weit entfernt vom politischen Zentrum des Landes Neu Delhi abspielt, könnte zur Entscheidungsschlacht des Jahrhunderts mit 275 Millionen Beteiligten werden, die am Rande artenreicher indischer Urwälder leben.


Indigene fordern ein, was ihnen rechtlich zusteht

An vorderster Front der Bewegung stehen die Indigenen aus Odisha und anderen Bundesstaaten, die fest entschlossen sind, das Beste aus dem 2012 reformierten Gesetz für Landrechte (FRA) herauszuholen. Sie fordern Besitztitel über die traditionell von ihnen bewohnten und genutzten Wälder ein, die ihren Kindern und Kindeskindern eine nachhaltige Zukunft ermöglichen sollen.

Das neue Gesetz gesteht den Waldbewohnern und indigenen Gemeinschaften das Recht auf den Besitz und die Verwaltung ihrer Wälder zu. Außerdem erlaubt es den Verkauf von Waldprodukten außer Holz. 100 Millionen landlose Menschen hängen von den Wäldern als Einkommensquelle, Apotheke und Lebensraum ab.

Frauen, die traditionell die Waldgebiete verwalten und diese nach Nahrung, Feuerholz und Tierfutter, Baumaterialien und Heilpflanzen durchkämmen, bilden die Speerspitze der Bemühungen, die Umsetzung der im Waldgesetz garantierten Rechte zu erreichen.

Unter weiblicher Führung verwalten 850 Dörfer in Nayagarh die bewaldeten Gebiete, die eine Größe von insgesamt 100.000 Hektar einnehmen. Das hat dazu geführt, dass Nayagarh zu 53 Prozent bewaldet ist - eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, dass die Rate doppelt so hoch ist wie der nationale Durchschnittswert. Landesweit schützen 15.000 Dörfer, vor allem in den östlichen Bundesstaaten, rund zwei Millionen Hektar Wald.


Land bedeutet Leben

Der letzten nationalen Walduntersuchung, dem 'Forest Survey of India', ist zu entnehmen, dass sich der Baumbestand zwischen 2010 und 2012 um 5.871 Quadratkilometer auf insgesamt 697.898 Qudratkilometer (rund 69 Millionen Hektar) ausgedehnt hat.

Gleichzeitig weisen andere Studien darauf hin, dass jeden Tag durchschnittlich 135 Hektar Wald für Entwicklungszwecke wie Bergbau und Stromerzeugung vergeben werden. Den indigenen Gemeinschaften in Odisha ist dieses Problem hinreichend bekannt. So hat der illegale Einschlag inmitten des Forstgürtels in Verbindung mit einem umfangreichen kommerziellen Teak-, Salbaum- und Bambushandel die Bergkuppen kahl zurückgelassen.

Flüsse, die einst kleine landwirtschaftliche Flächen bewässert hatten, versiegten, während die Grundwasserpegel kontinuierlich sanken. In einem Zeitraum von 40 Jahren - von 1965 bis 2004 - erlebte Odisha ständig wiederkehrende und chronische Dürren inklusive einer von 1965 bis 1967 anhaltenden Trockenperiode. Infolge des Kahlschlags zu Holzhandelszwecken wurde Nayagarh innerhalb von zehn Jahren sechs Mal von Dürren heimgesucht, die die Lebensgrundlagen der von der Landwirtschaft und Waldbewirtschaftung abhängigen Indigenen vernichteten.

Die daraufhin einsetzende Flucht aus den Dürregebieten halbierte die Bevölkerungen in den Dörfern. "Wir, die zurückblieben, mussten unsere Messingutensilien verkaufen, um uns Reis leisten zu können", erinnert sich die 70-jährige Arjun Pradhan, die Dorfvorsteherin von Gunduribadi. "Das Holz war damals so knapp, dass wir manchmal mit der Beisetzung unserer Toten so lange warten mussten, bis wir das Holz für den Scheiterhaufen erbettelt hatten."

Als die Krise schließlich eskalierte, startete 'Kesarpur', der Dorfrat von Nayagarh, eine Kampagne, die Odisha zu einem Vorbild für kommunale Waldbewirtschaftung machen sollte. Der Rat erteilte den Familien das Recht, Feuerholz, Tierfutter und Essbares aus dem Wald zu holen. Wer Holz für Einäscherungszwecke oder Hausreparaturen brauchte, musste um eine Sondergenehmigung ansuchen. Äxte mit in den Wald zu nehmen, war tabu.


Frauenpatrouillen gegen Holzdiebe

Frauen wurden zur Festnahme von Holzdieben abgestellt. Dorfräte kontrollierten strikt den Holzeinschlag, und Genehmigungen, Bäume zu fällen, wurde ausschließlich an diejenigen Familien erteilt, die dringend auf Holz für die Einäscherung ihrer Verstorbenen und für die Reparaturen ihrer Hütten angewiesen waren.


Bild: © Manipadma Jena/IPS

Frauen im indischen Bundesstaat Odisha nehmen einen Holzdieb fest
Bild: © Manipadma Jena/IPS

Die Patrouillen zum Schutz der Wälder arbeiteten nach dem 'Thengapali'-System. Wörtlich übersetzt bedeutet 'thengalpali' 'Stock-Rotation' und bedeutet, dass jede Nacht die Mitglieder von jeweils vier Familien mit Stöcken bewaffnet in den Wald zogen. Nach Schichtwechsel legten sie die Stöcke auf die Veranden ihrer Nachbarn, die für die nächste Schicht eingeteilt waren.

Der Rat führte strikte aber durchaus nachvollziehbare Strafen für jene ein, die sich nicht an die Regeln hielten. Wer auf frischer Tat beim Holzklau ertappt wurde, musste eine angemessene Strafe zahlen oder aber Extra-Nachtwachen schieben.

Während sich die Wälder langsam erholten, brachten die Dorfbewohner eine Reihe von Opfern. Unter anderem verkauften sie ihre Ziegen. Obwohl sich die Nutztiere insbesondere in Krisen als wichtige Einnahmequelle bewährt hatten, wurde ihre Haltung zehn Jahre lang verboten, um den jungen Trieben eine Chance zu geben, zu wachsen. Und um den Holzverbrauch möglichst klein zu halten, wurden die beiden Mahlzeiten auf einem Feuer pro Tag zubereitet.

Im April 2015, rund 20 Jahre nach diesem einmaligen 'Pilotprojekt', ist das Plätschern eines nahen Gebirgsflusses zu hören, der die kleinen Gemüse- und Linsengärten in Gunduribadi bewässert. Unter einem Baum haben die Dorfbewohner einen Brunnen gebohrt, aus dem die Frauen mit Leichtigkeit ihr Wasser für den Haushalt schöpfen.


Reiche Ernten

Wie Manas Pradhan, Leiterin des lokalen Waldschutzkomitees, berichtet, schwemmt der Regen reichhaltigen Humus auf das 28 Hektar große und von den Familien gemeinsam bewirtschaftete Farmland. Der Boden ist so fruchtbar, dass er pro Hektar 6.000 Kilo Reis abwirft - und das ohne chemische Zusätze. Die Farmen im Umfeld ungeschützter Wälder ernten gerade einmal ein Drittel dieser Menge.

"Als Kartoffeln knapp und zu einem für uns unerschwinglichen Preis von 40 Rupien (0,65 Dollar) das Kilo gehandelt wurden, haben wir auf Pichulis zurückgegriffen. Die süßen Knollen sind überall im Wald zu finden", berichtet Janha Pradhan, eine landlose Indigene. "Wir konnten mit deren Verkauf gutes Geld machen."

In einem Bundesstaat, in dem der monatliche Durchschnittsverdienst 40 Dollar nicht übersteigt, Hunger und Unterernährung 32 Prozent der Bevölkerung treffen und jedes zweite Kind untergewichtig ist, gleicht das Dorf einer Oase des Reichtums in einer Wüste der Armut.

Mindestens vier essbare Wildgrasarten, rankende Gemüsepflanzen wie Bittergurken oder Balsambirnen sowie Bambussprösslinge und Pilze unterschiedlicher Größen werden zu verschiedenen Jahreszeiten geerntet. Blätter, die Blutungen stillen, und Wurzeln, die gegen Durchfall wirken, sind ebenfalls im Wald zu finden.

Doch nicht immer ist es in den Dörfern so ruhig und beschaulich zugegangen wie heute. So berichtet die 80-jährige Dami Nayak, ehemalige Vorsitzende des Waldschutzkomitees von Kodallapalli, dass ihre Vorfahren über Generationen hinweg Hirse und Gemüse in und im Umfeld dieser Wälder angebaut hatten. Doch dann habe das bundesstaatliche Cashew-Unternehmen, die 'Odisha State Cashew Development Corporation', vor 20 Jahren ihren begehrlichen Blick auf die Gebiete geworfen.

Obwohl Cashewnüsse kein traditionelles Anbauprodukt in Odisha sind, begann das Staatsunternehmen in 22 der 30 indischen Distrikte mit dem Aufbau von Cashewplantagen. Zu Beginn versprach man den landlosen Bauern, ihnen die Hälfte der Einnahmen abzutreten.

"Doch als die Nüsse heranreiften, wurden sie an Außenstehende versteigert und wir als Cashewdiebe hingestellt. Noch nicht einmal unsere Ziegen durften zum Grasen auf die Felder", erzählt Nayak. "Quasi über Nacht wurden wir zu Eindringlingen des Waldes, in dem wir lebten, von dem wir abhingen und der uns Jahrzehnte lang Schutz gewährte."


Versprechen gebrochen

Mit mehr als 4.000 Bäumen, die jeweils acht bis zehn Kilo Cashewnüsse abwarfen und sich für etwa 0,85 Dollar pro Kilo verkaufen ließen, verdiente die Regierung an den Erträgen der 20 Hektar großen Plantage 34.000 Dollar pro Jahr. Doch nichts davon kam bei der indigenen Gemeinschaft an. Und als wäre das nicht schlimm genug, ging die Regierung dazu über, alle Pflanzungen an private Bieter zu verpachten, die ebenfalls die Einnahmen aus dem Geschäft einbehielten.

Als das Gesetz über die Waldrechte 2012 reformiert wurde, beschlossen die Frauen der Gemeinde zu handeln. "Als die 'babus' [die Beamten], die die Versteigerung arrangiert hatten, zu uns kamen, ließen wir sie nicht auf unser Land. Daraufhin riefen sie die Polizei. Unsere Männer versteckten sich aus Angst, geschlagen oder verhaftet zu werden, in den Wäldern. Das einzige, was sie tun konnten, war uns Frauen zu drohen."

Später befestigten die Dorfbewohner einen Anschlag am Ortseingang, auf dem zu lesen war, dass jeder Fremde, der das Dorf unerlaubt betritt, mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen habe. Vor drei Jahren sahen sich die Frauen gezwungen, der anrückenden Polizei den Weg zu versperren. Seither hat sich kein einziger der unerwünschten Bieter mehr in der Ortschaft blicken lassen und die Frauen verkaufen die Cashewnüsse direkt an Händler.

Auch wenn sie nur 1.660 Dollar im Jahr für 25.000 Kilo Cashewnüsse erhalten - sie verkaufen das Kilo für 0,60 Dollar und somit unterhalb des Marktwertes - können sie einen Teil des Geldes für schlechte Zeiten zurücklegen.

Firmenvertreter waren persönlich vor Ort erschienen, um den Cahewpreis zu drücken. "Erst verlangten sie 50 Prozent unserer Einnahmen aus der Cashewernte, die sie versteigern wollten. Dann sind sie auf zehn Prozent runtergegangen", berichtet Pramila Majhi, Leiterin einer der Frauenbrigaden, die die Cashewplantagen bewachen. "Doch wir haben ihnen gesagt, dass sie nicht eine Rupie bekommen - unser Land gehört der Gemeinschaft." Der hart erkämpfte Sieg hat vielen anderen Dörfern Mut gemacht hat, sich gegen nicht nachhaltige Waldbewirtschaftungsprojekte zu wehren.


Gefahr durch Entwicklungsprojekte

In der Zeitspanne 2000 bis 2014 wurden in Odisha mehr als 25.000 Hektar Wald für Entwicklungszwecke - in erster Linie Bergbau und andere Industrien - gerodet. Doch in einem Bundesstaat, in dem drei Viertel der indigenen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt, entscheidet der Verlust der Wälder über Leben und Tod.

Dem Ministerium für indigene Angelegenheiten zufolge belaufen sich die durchschnittlichen Einnahmen der Bauern- und Landlosenfamilien auf höchstens 13 Dollar im Monat. 41 Prozent der Frauen in Odisha sind untergewichtig und 62 Prozent leiden unter Anämie. Diese in absoluter Armut lebenden Menschen sind dringend auf die Wälder als Nahrungsmittel- und Medikamentenbezugsquellen angewiesen.

Indigene Frauen geben nun den Kurs für eine nachhaltige Entwicklung vor, in der der Schutz der Wälder Odishas im Mittelpunkt steht. (Ende/IPS/kb/05.05.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/watch-what-happens-when-tribal-women-manage-indias-forests/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2015

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