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URBAN/034: Städte zum Leben, nicht zum Verdienen - Die UN-Konferenz "Habitat III" (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 194 - Oktober/November 2016
Die Berliner Umweltzeitung

Städte zum Leben, nicht zum Verdienen
Die UN-Konferenz "Habitat III" soll Städte zukunftsfähig machen

Von Katja Mußler


Habitat steht für "Lebensraum" oder "Siedlungsform", aber auch für das Wohn- und Siedlungsprogramm der Vereinten Nationen. Alle 20 Jahre veranstalten die Vereinten Nationen eine Habitat-Weltkonferenz, die sich mit den wichtigsten Fragen des Wohnungswesens und der Stadtentwicklung befasst.

Nach Vancouver 1976 und Istanbul 1996 findet in diesem Jahr vom 17. bis 20. Oktober die dritte dieser Weltkonferenzen, Habitat III, in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito statt. Dort geht es um die politische Gestaltung der rasanten Urbanisierung. Dabei soll eine "New Urban Agenda" verabschiedet werden, die der staatlichen Politik Orientierung gibt.

Die Vorbereitungen auf den Gipfel verliefen jedoch eher schleppend und riefen bei unabhängigen Experten Kritik hervor. Klaus Teschner, Siedlungsexperte beim katholischen Hilfswerk Misereor, bezweifelt, dass die Konferenz mehr liefern wird als vage Handlungsempfehlungen für Kommunen. Für ihn ist der Maßstab, ob in Quito "umsetzbare Strategien für einen Wandel hin zu sozialen und umweltgerechten Städten erkennbar sein werden". Dafür gebe es aber bisher nur wenig Anzeichen.

Knut Unger, Vorsitzender des Vereins Habitat-Netz e.V., stellt mit dem Blick auf die Vorbereitungspapiere der Konferenz sogar ernüchtert fest, "dass zentrale ökonomische Rahmenbedingungen und Herausforderungen für die Stadtentwicklung der Zukunft fast völlig ausgespart werden". Um das Menschenrecht auf Wohnen und eine nachhaltige Stadtentwicklung durchzusetzen, müsse erst einmal die gesellschaftliche Kontrolle über die globalisierten Immobilien- und Finanzmärkte zurückgewonnen werden.

Viele Probleme, wenig Lösungen

Schätzungsweise neun Milliarden Menschen werden 2050 auf der Welt leben, 70 Prozent davon in Großstädten. Daraus ergeben sich riesige soziale und ökologische Herausforderungen, die nur in Angriff genommen werden können, wenn sie in die Zukunftsplanung der Großstädte Eingang finden. Seit dem Habitat-II-Gipfel 1996 sind aber kaum neue Studien und Themenpapiere erschienen, die dabei helfen könnten, zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln.

Diese fehlenden Konzepte sollten deshalb durch nationale Vorbereitungskomitees vor der Habitat-III-Konferenz erarbeitet werden. Die Komitees sollten sich auch über Themen, Prioritäten und Knackpunkte für eine zukunftsweisende neue Städte-Agenda einigen. Jedoch haben sich nur in wenigen Ländern solche Komitees zusammengefunden. Die Zivilgesellschaft blieb dabei zum großen Teil außen vor.

Der Habitat-III-Gipfel ist die erste Weltkonferenz der Vereinten Nationen seit dem Beschluss über die neuen UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung, englisch abgekürzt SDGs. Der Gipfel in Quito soll eigentlich dazu beitragen, die SDGs zu konkretisieren. Befürchtet wird allerdings, dass die Debatten dort auf einen Diskurs unter Experten hinauslaufen, die in Fachgremien folgenlose Papiere produzieren. Aus diesem Grund haben kritische Städteexperten in mehreren Ländern zivilgesellschaftliche "Schattenberichte" und eine Parallelkonferenz "von unten" organisiert, die ebenfalls in Quito stattfinden soll.

Unbezahlbare innerstädtische Flächen, Verdrängung ärmerer Menschen in die Peripherie, verkehrstechnische Probleme - das sind nur einige der Herausforderungen, mit denen Stadtbewohner fertig werden müssen. Außerdem wird oft vergessen, dass 25 Prozent der Stadtbevölkerung in informellen Siedlungen leben, oft abwertend als Slums bezeichnet. Elementare Defizite gehören hier zum Alltag. Die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich erzeugt extreme Unterschiede der Wohn- und Lebensbedingungen.

Befeuert werden diese Probleme durch Lobbygruppen, die von Zersiedlung, Gentrifizierung oder Verdrängung profitieren, allen voran die Immobilienbranche. Aber auch die Autoindustrie, die durch Umrüstung ihrer Pkw-Flotten auf Elektroantrieb eine Reduktion des städtischen Individualverkehrs abzuwenden versucht. Selbst die IT-Lobby tritt immer stärker auf. Hinter den sogenannten "Smart Cities" stehen Firmen aus dem IT-Bereich, die Datentools an Unternehmen und Verwaltungen verkaufen wollen.

Deutschland ist auf der Habitat-III-Konferenz überdurchschnittlich stark vertreten. In den deutschen Kernbotschaften soll die kommunale Ebene als global anerkannter Akteur aufgewertet werden, was nicht unbedingt etwas mit Bürgernähe zu tun hat. Außerdem soll integrierte Planung den Wandel zu "Low Carbon Cities" - Städten mit niedrigem CO2-Ausstoß - ermöglichen.

Offener Brief: Über Finanzkrisen reden!

Parallel zur Entwicklung des offiziellen UN-Siedlungsprogramms hat sich über die Jahre eine reiche Landschaft von Nichtregierungsorganisationen und städtischen Basisbewegungen entfaltet, die sich nun energisch zu Wort melden.

Organisationen, die sich seit Langem in der globalen Stadtentwicklung engagieren, verfassten einen offenen Brief mit dem Titel "Habitat for People - Not for Profit!". Sie fordern, die gesellschaftliche Zähmung von Immobilienmärkten zum Thema bei der Konferenz zu machen, und weisen auf fundamentale Blindstellen bei "Habitat III" hin. So sei die Finanzkrise 2008 ja gerade durch Immobilienblasen im Zusammenhang mit globalisierten Finanzmärkten entstanden. Das Modell einer sozialen Wohnungsversorgung über Eigenheime, die mit kommerziellen Krediten finanziert werden, sei damit völlig fehlgeschlagen. Trotzdem werde weiter so verfahren. In Ostasien drohe nun die nächste Blase zu platzen. Nach Jahrzehnten der Privatisierung und Deregulierung fehlten den Verwaltungen die Möglichkeiten, um Wohnraum bereitzustellen und Märkte zu regulieren.

Die Unterzeichnenden des Briefs sprechen sich dafür aus, Eigentum fair zu verteilen. Eigentum müsse einer gesellschaftlichen Verpflichtung unterliegen. Es sei ein Unding, dass die Finanzkrise in Vorbereitungspapieren für die Konferenz nicht einmal erwähnt werde. Auch die krass ungleiche Verteilung des Wohlstands bleibe unerwähnt, genauso wie Freihandelsabkommen à la TTIP oder Sparmaßnahmen. Über direkte Verantwortlichkeiten von Politikern, Banken und Konzernen werde auch nicht gesprochen. Die Denkansätze in den Vorbereitungspapieren der Konferenz könnten fast alle als marktkonform bezeichnet werden. Die Organisationen fordern eine transnationale Regulierung der Märkte und die Verankerung der Menschenrechte in den Ergebnisdokumenten der Konferenz.

Bei aller Kritik: Die UN-Konferenz Habitat III ist eine Möglichkeit zur Debatte in Parteien und Verbänden über die Stadt- und Wohnungspolitik und auch über Umwelt- und Entwicklungspolitik. Initiativen erhalten die Möglichkeit, sich intensiv auszutauschen. Eine bessere Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen ist sehr wichtig, um Einfluss auf die weitere Entwicklung der Städte nehmen zu können. Insgesamt ist die Konferenz eine Chance, die künftigen Probleme sichtbar zu machen und anzupacken. In welchem Maße das geschieht, wird sich zeigen.


Weitere Informationen:
www.habitat3.org

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Quelle:
DER RABE RALF
27. Jahrgang, Nr. 194, Oktober/November 2016, Seite 16
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2016

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