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WALD/009: Max-Planck-Forschung schützt Amazonas-Regenwald (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 15. Dezember 2010

Max-Planck-Forschung schützt Amazonas-Regenwald

Die Ergebnisse einer umfassenden Inventur fließen in Vorschriften ein, nach denen in brasilianischen Wäldern Bäume abgeholzt werden dürfen


Die Holzwirtschaft in einem besonders sensiblen Teil des Amazonas-Regenwaldes wird künftig nachhaltiger. Die wissenschaftliche Basis dafür hat ein Forscherteam gelegt, an dem auch Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie beteiligt waren. Sie haben ausgedehnte Waldgebiete, die regelmäßig von den Flüssen Amazonas und Solimões überschwemmt werden, inventarisiert und die Wachstums- und Fortpflanzungsraten der einzelnen Baumarten bestimmt. Auf dieser Grundlage hat der brasilianische Bundesstaat Amazonas neue Regeln aufgestellt, nach denen in den Überschwemmungswäldern Bäume gefällt werden dürfen.

Abb. 1: Die regelmäßig überfluteten Várzea-Wälder an den Flüssen Amazonas und Solimões bilden einzigartige Ökosysteme. Um die Baumvielfalt zu erhalten, hat der Staat Amazonas die Holzwirtschaft neu geregelt. - Bild: Florian Wittmann, MPIC

Abb. 1: Wald unter Wasser: Die Várzea-Wälder an den Flüssen Amazonas und Solimões bilden einzigartige Ökosysteme, die regelmäßig überflutet werden. Um die Baumvielfalt in den Wäldern zu erhalten, hat der Staat Amazonas die Holzwirtschaft neu geregelt. Die wissenschaftliche Grundlagen für die Gesetzesnovelle haben Forscher unter anderem des Max-Planck-Instituts für Chemie gelegt.
Bild: Florian Wittmann, MPIC

Der Staat Amazonas verabschiedete kürzlich eine Gesetzesnovelle, die auf eine nachhaltigere Holznutzung in den Überschwemmungswäldern zielt. Darin regelt die Regierung, welche Baumart wie oft, in welcher Menge und bei welchem Stammumfang abgeholzt werden darf. Die Waldgebiete am Amazonas und am Solimões, die Fachleute als Várzea-Wälder bezeichnen, dehnen sich beiderseits der Flussufer bis zu 100 Kilometer weit aus und umfassen mit insgesamt etwa 300.000 Quadratkilometern ein Gebiet, das fast so groß ist wie die Bundesrepublik. Da die Várzea-Wälder regelmäßig überflutet werden, bilden sie einzigartige Ökosysteme, die aber auf Grund der intensiven Abholzung stark gefährdet sind.

Die Grundlage für die Novelle bildeten Studien des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und des Nationalen Instituts für Amazonas-Forschung, INPA. Über einen Zeitraum von zehn Jahren untersuchten die Forscher das Wachstum und die Populationsdynamik der Baumarten der Überschwemmungswälder.

"Wir haben die Várzea-Wälder inventarisiert, also die Baumarten, ihre Anzahl und ihr Alter bestimmt", sagt Florian Wittmann, einer der beiden beteiligten Max-Planck-Forscher. Zusammen mit seinem Mainzer Kollegen Jochen Schöngart und Maria T. F. Piedade vom brasilianischen Kooperationspartner INPA fand er heraus, dass die bisherigen Abholzungsbestimmungen den Bestand der Baumarten, zu denen viele Edelhölzer gehören, nicht sichern. "Auch wenn Bäume in den Überschwemmungswäldern schneller wachsen als in trockenen Gegenden, ist der bisherige Entnahmedruck für viele Arten zu hoch, als dass ihre Population überleben könnte", ergänzt Wittmann.

Das alte Gesetz sah vor, dass alle 25 Jahre fünf Bäume pro Hektar ab einem Durchmesser von 50 Zentimetern geschlagen werden dürfen, egal von welcher Art. Da sich aber viele Baumarten erst vermehren, wenn sie älter und somit dicker im Durchmesser sind, wären diese Arten übernutzt worden. Das hätte über kurz oder lang dazu geführt, dass diese Spezies aus den Überschwemmungswäldern verschwunden wären.

Abb. 2: Künftig gibt es für jede Baumart in den Überschwemmungswäldern eine eigene Regel, in welchen Mengen, wie oft und bei welchem Stammumfang sie gefällt werden dürfen. - Bild: © Florian Wittmann, MPIC

Abb. 2: Künftig gibt es für jede Baumart in den Überschwemmungswäldern eine eigene Regel, in welchen Mengen, wie oft und bei welchem Stammumfang sie gefällt werden dürfen.
Bild: © Florian Wittmann, MPIC

Auf Basis ihrer Erhebungen schlugen die Wissenschaftler nun art- und ökosystemspezifische Durchmesser und Raten vor, mit denen Bäume abgeholzt werden dürfen. So erhöhte sich der Durchmesser bei einer Art sogar auf 100 Zentimeter. "Wir sind sehr stolz, dass unsere Grundlagenforschung direkte Anwendung für den besseren Schutz des Überschwemmungswaldes findet und dass unsere Forschergruppe im Gesetz sogar explizit erwähnt wird", sagt Wittmann.

Der Wissenschaftler ist sehr zuversichtlich, dass das neue Gesetz auch respektiert wird. "Der Staat Amazonas kontrolliert das sorgfältig", sagt Wittmann. "Die Holzindustrie ist sicher sehr motiviert, die strengen Bestimmungen einzuhalten, weil sie andernfalls kein Umweltzertifikat erhält, ohne dass sie das Holz nicht verkaufen kann." Nicht nur einheimische, sondern auch internationale Holzunternehmen sind in den Überschwemmungswäldern aktiv.


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Über die Várzea-Wälder

Mit Várzea werden die Flächen an den Ufern des Amazonas und Solimões bezeichnet, welche durch den jahreszeitlich schwankenden Wasserspiegel regelmäßig von so genanntem Weißwasser, das viele Nährstoffe enthält, überflutet werden. Sie erstrecken sich landeinwärts zwischen 50 Kilometer am mittleren Amazonas und 200 Kilometer im Mündungsgebiet. Insgesamt zählen etwa fünf Prozent des brasilianischen Amazonasgebietes zu den Várzeas. Auf den nährstoffreichen Várzeaböden, auf denen sich mit den regelmäßigen Überschwemmungen immer wieder frische Sedimente ablagern, bildet sich eine charakteristische Vegetation, die Überschwemmungswälder. Die Bewohner der Várzea leben meist von Fischfang, Holzeinschlag und kleinbäuerlicher Landwirtschaft.


Über das Max-Planck-Institut für Chemie

Am Max-Planck-Institut für Chemie erforschen etwa 230 Mitarbeiter die Erde und ihr Umfeld in unterschiedlichen Größenbereichen, vom Nanopartikel bis zum Planeten und von der Ökosystemdynamik bis zum globalen Klimawandel. Drei Abteilungen untersuchen das Erdsystems in Feldstudien, unter Laborbedingungen und mit Hilfe von computergestützten Modellsystemen. Somit trägt das Institut zum Verständnis der natürlichen Ressourcen der Erde bei und liefert notwendige Methoden für deren nachhaltige Nutzung und den Schutz der Umwelt. Mit einer International Research School und einem E-Learning Programm beteiligt sich das Institut auch aktiv an der Wissenschaftsausbildung.


Über das Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia

Das Nationale Institut für Amazonas-Forschung (Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia oder INPA) ist eine öffentliche Bildungs- und Forschungseinrichtung in Manaus, Brasilien. Es wurde 1952 mit dem Ziel gegründet, Kenntnisse über das brasilianische Amazonas-Gebiet zu erlangen. Der größte Teil der Forschung konzentriert sich auf wichtige Themen der Ökologie, molekularen Ökologie, Zoologie, Botanik, tropischen Landwirtschaft und tropischen Fischzucht. Am Institut befindet sich auch eine Sammlung von Wirbeltieren und wirbellosen Tieren und Gefäßpflanzen des Amazonas.


Über deutsch-brasilianische Großprojekte

Die Max-Planck-Gesellschaft betreibt seit 1968 eine Tropen-Außenstelle in Manaus. Seit 2007 werden die bisherigen Arbeiten mit ihren Schwerpunkten Ökophysiologie, Sukzession, Biodiversität, Produktivität und Nachhaltigkeit mit Forschungsschwerpunkten zum Austausch klimatisch wichtiger Spurengasen zwischen Biosphäre und Atmosphäre sowie der Produktion und Funktion von Aerosolen im Klimageschehen verknüpft. Zu den aktuellsten Projekten gehört die Planung eines etwa 320 Meter hohen Messturmes (Amazonian Tall Tower Observatory, ATTO), dessen Bau in einem vom brasilianischen Minister für Wissenschaft und Technologie und von Bundesforschungsministerin Annette Schavan im März 2009 als Deutsch-Brasilianische Kooperation beschlossen wurde. Zurzeit geht es noch darum, die nötige Infrastruktur zu schaffen, um mit dem Bau überhaupt beginnen zu können. 2012 könnte der Turm dann stehen.
[SB / PH]


Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Florian Wittmann
Max-Planck-Institut für Chemie, Außenstelle Manaus
E-Mail: florian.wittmann@mpic.de

Prof. Dr. Jürgen Kesselmeier
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
E-Mail: j.kesselmeier@mpic.de

Dr. Susanne Benner
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
E-Mail: susanne.benner@mpic.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2010 (291), 15. Dezember 2010
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010