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WASSER/007: Kein Strom für Afghanistan - Nachbarn streiten um Nutzung der Flüsse (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Januar 2011

Zentralasien: Kein Strom für Afghanistan - Nachbarn streiten um Nutzung der Flüsse

Von Timothy Spence


Taschkent, Usbekistan, 11. Januar (IPS) - Wenn internationale Geber hoffen, im relativ friedlichen Norden Afghanistans aus profitablen Mohnplantagen Weizenfelder zu machen, haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ohne Wasserkraft aus dem benachbarten Tadschikistan sind derartige Pläne nicht zu verwirklichen. Die zentralasiatischen Nachbarländer Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan streiten sich seit Jahren um die Nutzung von Amu-Darja und Syr-Darja, der größten Ströme der Region und ihrer Nebenflüsse, die ihnen mehr Energie und bessere Ernten bescheren sollen.

"Jeder wünscht sich ein Ende des Afghanistan-Konflikts und hofft, die wirtschaftliche Entwicklung der Region könne zur Befriedung beitragen", erklärte Struan Stevenson. Das Mitglied des Europaparlaments hatte 2010 im Auftrag der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) als Umweltberater in der Region gearbeitet und kennt die Brisanz umstrittener wirtschaftspolitischer Ambitionen.

"Wenn am Amu-Darja flussaufwärts noch weitere Wasserkraftwerke gebaut werden, könnten aus der Empörung der Anrainer über den Wassermangel am Unterlauf des Flusses lauter Mini-Afghanistans werden mit ständig aufflackernden Konflikten", warnte der schottische Experte. Amur-Darja und Sur-Darja münden in den vom Austrocknen bedrohten Aralsee, den einstmals viertgrößten Binnensee. Für die hier lebenden 42 Millionen Menschen sind die beiden Ströme und deren Nebenflüsse lebenswichtig.

Kraftwerke an ihren Ufern versorgen Kirgisien und Tadschikistan mit Elektrizität. Stromabwärts. In den wasserarmen Ländern Kasachstan und Usbekistan, sind die Flüsse für die Bewässerung von Agrarflächen unentbehrlich. Neben der Energiewirtschaft spielt in beiden Staaten auch die Landwirtschaft eine wichtige Rolle.

Usbekistan war vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion einer der wichtigsten Baumwollexporteure weltweit. Seit Jahren streitet sich das zentralasiatische Land mit Kirgisien und Tadschikistan über deren Pläne, am Oberlauf der von Gletschern gespeisten großen Flüsse neue Staudämme und Wasserreservoirs zu bauen und ein seit dem Ende der Sowjetunion stillgelegtes Großkraftwerk auszubauen.


Querelen an der Grenze

Aus Sorge um die künftige Wasserversorgung ihrer flussabwärts gelegenen Regionen wehren sich Kasachstan und Usbekistan gegen diese ehrgeizigen Vorhaben. Schon jetzt sorgen in Zentralasien Dürren, Mangel an Nahungsmitteln, ethnische Konflikte und angespannte politische Beziehungen für reichlich Brisanz. Scharmützel zwischen Grenzpolizisten sind an der Tagesordnung. Tadschikische Behörden beschuldigen ihre usbekischen Amtskollegen, auf dem Rücken bedürftiger Afghanen humanitärer Hilfe für politische Zwecke zu missbrauchen und für Afghanistan bestimmte Hilfsgüter an der Grenze festzuhalten.

Der Streit um regionale Wasser- und Energieressourcen verschärft die Spannungen. Bemühungen einer regionalen Arbeitsgruppe, die Länder zu einem Abkommen über die Wasserverteilung während der Wachstumsperiode zu bewegen, blieben erfolglos. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der im vergangenen April Zentralasien besuchte, forderte die politische Führung zur kooperativen Wasserbewirtschaftung auf.

Usbekistands Staatspräsident Islam Kamirov kündigte vor zwei Jahren an, er werde den Stecker ziehen und sein Land aus dem zentralasiatischen Stromnetz herausnehmen. Auch Kasachstan hat sich inzwischen von diesem wichtigen, noch aus Sowjetzeiten stammenden gemeinsamen Versorgungsnetz verabschiedet. Doch die Furcht vor einer Eskalation des Konflikts ist geblieben.

Erica Marat, eine in Washington ansässige Kennerin des militärpolitischen Szenarios in Zentralasien, berichtete IPS von usbekischen Plänen, in Nachbarländern Staudämme zu bauen. Zugleich bereiteten sich Kommandeure in Kirgisien und Tadschikistan darauf vor, nationale Wasserkraftwerke gegen Usbekistan zu verteidigen.


Ökologische Katastrophen aus der Sowjet-Ära

Zentralasiens heutige Probleme sind eine Hinterlassenschaft der ehemaligen Sowjetunion. Deren Machthaber hatten entlang des 2.400 Kilometer langen Amu Darja und des 100 Kilometer kürzeren Syr-Daria samt ihrer Nebenflüsse Kraftwerke, Bewässerungskanäle und Stauseen hochgezogen, um die unterentwickelte Region mit Elektrizität zu versorgen und in Usbekistan und Kasachstan in großen Stil Baumwolle und Weizen anzubauen. Die ökologischen Folgen dieses Raubbaus sind heute zu besichtigen. Die beiden großen Ströme haben viel Wasser verloren, und der Aralsee versandet und versalzt weiter.

Mit dem Verschwinden der Sowjetunion veränderten sich in Zentralasien zwar die politischen Strukturen, nicht aber der Bedarf an Energie und Agrargütern. Doch weder die Arbeit der inzwischen etablierten zwischenstaatlichen Kommission für eine koordinierte Wasserverteilung noch die des Internationalen Fonds zum Schutz des Aralsees hat nach allgemeiner Einschätzung viel bewirkt.

Immerhin hat sich Tadschikistan dem internationalen Druck gebeugt und am Vakhsh-Fluss die Bauarbeiten am Rogun-Staudamm so lange eingestellt, bis die Ergebnisse einer von der Weltbank angeforderten Untersuchung der möglichen Folgen vorliegen. 1970 hatte der Bau des geplanten Megakraftwerks unter sowjetischer Regie begonnen. Mit seiner Endkapazität von 3.600 Megawatt würde es die Energieversorgung der 6,9 Millionen Tadschiken um 25 Prozent verbessern. Zudem soll ein Teil des Stroms über die Grenze nach Afghanistan geliefert werden. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2011