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WASSER/031: Mongolei - Nomadenleben adé (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser

Nomadenleben adé

von Tilo Arnhold


Am Stadtrand von Darkhan prallen Tradition und Moderne aufeinander. Hier haben sich viele mongolische Familien angesiedelt, die früher als Nomaden über die Weiden zogen. Ihre Behausung ist dabei seit Jahrhunderten die gleiche: Mit Filzzelten bzw. Jurten siedeln sie auf freien Flächen, werden später vielleicht Grundstücksbesitzer und bauen einfache Holzhäuser. Was in dem dünn besiedelten Land viele Jahrhunderte lang funktioniert hat, wird jetzt durch die Konzentration auf kleinstem Raum zum Hygiene- und Umweltproblem. Kanalisation oder gar Kläranlagen gibt es in diesen Ger-Distrikt genannten Vierteln nicht. Trinkwasser muss von Kiosken geholt werden. Im Rahmen der Internationalen Wasserallianz Sachsen (IWAS, siehe S. 28)(*) wurde der Ort nun erstmals von Wasserforschern sozialwissenschaftlich unter die Lupe genommen. Die UFZ-Wissenschaftlerin Dr. Katja Sigel, die eine Fallstudie zur partizipativen Wasserinfrastrukturplanung in den Ger-Distrikten koordiniert, befragte dazu zusammen mit einheimischen Helfern 139 Haushalte zur aktuellen Situation im Bereich Trinkwasser, Abwasser und Hygiene: "Die Leute verbrauchen im Mittel nur 12 Liter Wasser pro Person und Tag, was sehr wenig ist und die Frage aufwirft, ob sie damit ihren Mindestbedarf decken können. Viele haben eigene Brunnen auf dem Grundstück, um an zusätzliches, kostenloses Wasser zu gelangen. Dieses Wasser ist jedoch möglicherweise durch Fäkalien aus den nahestehenden, unabgedichteten Latrinen kontaminiert", berichtet Sigel.

"Den Norden der Mongolei haben wir als Modellregion für Integriertes Wasserressourcenmanagement (IWRM) ausgewählt, weil die Flüsse in Zentralasien von Klima und Landnutzungswandel sowie der Ausbeutung von Bodenschätzen in den nächsten Jahrzehnten besonders stark betroffen sein werden - mit dramatischen Konsequenzen. Bestandsaufnahmen haben ergeben, dass die Anzahl der Bäche, Flüsse und Seen drastisch zurückgegangen sein soll und viele Quellen versiegen", erläutert Projektleiter Prof. Dietrich Borchardt vom UFZ. Das rund 15.000 km² große zusammenhängende Flussgebiet bietet den Wissenschaftlern ideale Bedingungen, Veränderungen in einer hohen Dynamik zu beobachten. In der ersten Phase des Projektes ging es deshalb darum, die Ausgangssituation zu analysieren und Daten zu verifizieren. Dazu wurden Wasserbilanzen, Sediment- und Stoffeinträge sowie der ökologische Zustand erfasst und in Modelle übertragen. In der zweiten Phase stehen die praktische Umsetzung von Lösungsansätzen und das "Capacity Building", also die Ausbildung von Studenten, Fortbildungen für Mitarbeiter in Ministerien, Behörden, der Wasseragentur oder für Betreiber von Infrastrukturen, im Vordergrund. Borchardt: "Die Probleme in vielen Regionen Zentralasiens ähneln sich: extremes kontinentales Klima, starkes Bevölkerungswachstum, nicht vorhandene oder marode Abwasseranlagen, zunehmender Wasserverbrauch und sinkende Wasserressourcen, die durch Überweidung, Bodenerosion und Rohstoffabbau bedroht sind. Dazu kommt, dass die Jahresmitteltemperatur hier um +0,7 Grad Celsius in den letzten 50 Jahren überdurchschnittlich stark angestiegen ist."

Das Interesse an einem IWRM nach deutschem Vorbild ist bei den Behörden in der Mongolei groß. "Konzepte gibt es zwar auf dem Papier, aber noch ist unklar, wie diese in der Praxis umgesetzt werden könnten. Denn eine universelle Blaupause für die weltweit sehr unterschiedlichen Problemlagen im Wassersektor kann es nicht geben. Reformen sind daher immer auch mit Ausprobieren und Erfahrung verbunden", schlussfolgern Lena Horlemann und Dr. Ines Dombrowsky, die im Auftrag des UFZ die institutionellen Rahmenbedingungen untersuchen, die sich seit der politischen Wende grundlegend verändert haben. Zentralistische Strukturen lösten sich auf, neue entstanden, teilweise bildete sich auch ein Machtvakuum. Trotz dieser Probleme ist die Mongolei beträchtliche Schritte gegangen: Ein neues Wassergesetz wurde eingeführt mit dem Ziel, ein effektives IWRM aufzubauen, und eine Nationale Wasseragentur wurde geschaffen. Probleme bereitet noch die Etablierung von Flussgebietsorganisationen, die zwischen den Interessen der lokalen Wassernutzer vermitteln sollen, aber zu wenige Rechte und finanzielle Mittel haben, um dies auch durchzusetzen. Zudem sind die Verantwortlichkeiten häufig unklar. Die mongolische Politik ist immer noch sehr zentral geprägt - ein Relikt aus Sowjetzeiten. Das macht es lokalen Verwaltungen oft schwer, Ressourcen zu generieren oder die Öffentlichkeit zu beteiligen. Die Erben Dschingis Khans haben also noch einen weiten Weg an Reformen vor sich, die nur dann erfolgreich sein werden, wenn der Spagat zwischen gestiegener Wassernachfrage und gesunkenem Wasserangebot gelingen wird.


UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Dietrich Borchardt
Dept. Aquatische Ökosystemanalyse

e-mail: dietrich.borchardt[at]ufz.de
mehr Informationen: www.iwrm-momo.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Trinkwasser gibt es in den Jurtenvierteln am Stadtrand von Darkhan nur per Kanister. Die Mehrheit der Einwohner verfügt weder über einen Trinkwasser- noch über einen Abwasseranschluss. Mit knapp 80.000 Einwohnern ist Darkhan die drittgrößte Stadt der Mongolei und liegt im Einzugsgebiet des Flusses Kharaa, der schließlich in den Baikalsee fließt, den ältesten und tiefsten Süßwassersee der Erde. Foto: Lena Horlemann/UFZ


(*) Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Wasser
FORSCHUNG/376: Water and Earth System Science - Führende Wasserforscher verbinden sich (UFZ-Spezial)


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Quelle:
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser, S. 21
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011