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FORSCHUNG/389: Rheinhochwasser - Kaffeesatzleserei in der "Unsicherheitskaskade" (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 991, vom 26. März 2012, 31. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Rheinhochwasser: Kaffeesatzleserei in der "Unsicherheitskaskade"



Wenn Laien fragen, ob der Klimawandel zu häufigeren und höheren Extremhochwassern im Rhein führen wird, gibt sich die Wissenschaft äußerst bedeckt. Denn vom allgemeinen Klimawandel auf Abflussänderungen in einem großen Strom - wie dem Rhein - schließen zu wollen, gleicht derzeit noch höherer Kaffeesatzleserei. Unterschiedliche Annahmen über die künftige Entwicklung der Emissionen von Treibhausgasen, unterschiedliche Weltklimamodelle, unterschiedliche Regionalisierungsmodellen und unsichere Niederschlagsvoraussagen führen zu einer "Unsicherheitskaskade". Mit der Beschreitung von unterschiedlichen Pfaden innerhalb der "Unsicherheitskaskade" lassen sich fast beliebige "Projektionen" über den künftigen Extremabfluss im Rhein erzeugen (siehe Kasten). In der "Szenarienstudie für das Abflussregimes des Rheins" der Internationalen Rheinschutzkommission (IKSR) vom April 2011 wird deshalb mehrfach darauf hingewiesen, dass alle Voraussagen über die Änderungen des Abflussregimes im Rhein alles andere als gewiss sind.

So heißt es beispielsweise zu den großen Bandbreiten der Annahmen über die Zunahme des Hochwasserabflusses an den maßgeblichen Pegeln des Rheins und seiner großen Nebenflüsse:
"Bezüglich der Hochwasserkennwerte verweisen viele Projektionen auf eine Zunahme an den Pegeln unterstrom Kaub (bis +30 %). Allerdings deuten einige Projektionen auch auf gegenteilige Entwicklungen hin, so dass sich z.T. erhebliche Spannweiten des gesamten Ensembles ergeben (Trier: -20% bis +45%)."
Die großen Spannbreiten von einer Verringerung des Risikos von Extremhochwässern bis hin zu einer starken Zunahme ergeben sich u.a. daraus, dass den Hochwasserabschätzungen zwanzig verschiedene Klimamodelle zu Grunde gelegt wurden. Ob eines dieser Klimamodell "falscher" oder "richtiger" ist als die anderen Modelle, lässt sich derzeit noch nicht verifizieren. Die IKSR kommt deshalb zu folgendem Fazit:
"Präzise und ,wahre' Zukunftsaussagen sind nicht möglich. Stattdessen zeigen sich erhebliche Bandbreiten an Ergebnissen. In besonderem Maße trifft dies für simulierte Abflussextreme zu." Ferner wird in dem IKSR-Bericht hervorgehoben, dass man "bewusst" auf die Darstellung eines Ensemble-Mittels verzichtet. habe. Denn ein Mittelwert aus den unterschiedlichen Pfaden durch die "Unsicherheitskaskade" würde "lediglich den Mittelpunkt einer Spanne von Simulationen" darstellen, "die alle als gleich wahrscheinlich zu betrachten sind. Seine Wahl ist nicht objektiv zu begründen". Wenn man sich unzulässigerweise auf die Bildung von Mittelwerten aus den verschiedenen Szenarien einlassen würde, würden sich nur sehr moderate Zunahmen von großen Hochwassern errechnen lassen. Moderate Mittelwerte sollten aber keinesfalls als "Entwarnung" genutzt werden, warnt die IKSR:
"Die prozentualen Änderungen liegen bei neueren Berechnungen z. T. deutlich im zweistelligen Bereich und würden, wenn sie sich bewahrheiten, dem System ,Rhein' eine hohe Anpassungskapazität (,adaptive capacity') zusätzlich zu der des 20. Jahrhunderts abverlangen. (...) Zudem würden sich - wie die vorgelegten Sensitivitätsuntersuchungen zeigen - unter der Annahme eines fortgesetzten Anstiegs der Treibhausgaskonzentrationen bis Ende des 21.‍ ‍Jahrhunderts deutlich stärkere Änderungen zeigen."


Erzeugt der Klimawandel ein Monsterhochwasser im Rhein?

Aus den unterschiedlichen "Modellketten" zur Analyse der klimabedingten Abflussänderungen im Rhein ergaben sich folgende "Szenarienkorridore":

Zunahme von extremen Hochwassern bis zum Jahr 2050 (in Klammern und in kursiv über das Jahr 2050 hinausgehend) am Pegel

Basel: -20%_bis_+35% (-10%_bis_+50%)
Maxau: -20%_bis_+35% (-20%_bis_+65%)
Worms: -15%_bis_+30% (-20%_bis_+45%)
Kaub: - 5%_bis_+25% (-10%_bis_+30%)
Köln: - 5%_bis_+25% (··0%_bis_+30%)
Lobith: - 5%_bis_+20% (·-5%_bis_+30%)
Raunheim (Main): - 5%_bis_+40% (··0%_bis_+45%)
Trier (Mosel): -35%_bis_+20% (-20%_bis_+45%)


Danach könnten also beispielsweise bis zum Jahr 2050 am Pegel Köln große Hochwasser einen fünf Prozent geringeren Abfluss, aber auch einen 25 Prozent höheren Abfluss mit sich bringen werden. Für den Zeitraum nach dem Jahr 2050 wird prognostiziert, dass sich gegenüber dem heutigen Zustand gar nichts ändert (0 %) - oder dass der Extremhochwasserabfluss noch um 30 Prozent zunehmen wird.


Extremhochwasser im Rhein: Mit dem Schlimmsten rechnen!

Welche Schlussfolgerungen sollen jetzt die politischen Entscheidungsträger in den IKSR-Mitglieds ländern aus den diffusen Hochwasserprojektionen ziehen. Dazu gibt der Bericht folgenden Hinweis: "Die Entscheidungsfindung hin zu einer Anpassungsstrategie muss die Unsicherheiten der Zukunftsprojektionen berücksichtigen. Es ist Teil der Verantwortung des Entscheidungsträgers, ob er eine Anpassungsmaßnahme auf Grundlage des oberen oder unteren Randes oder an der zentralen Schätzung des Ensembles dimensioniert."

Bei einer auf Vorsorge ausgerichteten Politik sei zudem zu berücksichtigen, "dass trotz der hohen Komplexität und Vielzahl der verwendeten Modelle, die ,echte' Zukunft noch außerhalb dieser Bandbreite liegen könnte".

Der IKSR-Bericht Nr. 188 (34 S.) über die klimabedingten Änderungen des Hoch- und Niedrigwasserabflusses im Rhein kann kostenlos heruntergeladen von www.iksr.de Dokumente/Archiv

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 991
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2012