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MASSNAHMEN/048: Pleiten, Pech und Pannen - Emissionshandel abschaffen... (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013
Markt oder Staat - Wer gibt den Ton an?

Emissionshandel abschaffen...
Denn auch ein reformierter EU Emissionshandel wird die Energiewende weiterhin behindern

von Jutta Kill



Pleiten, Pech und Pannen - so lassen sich die acht Jahre des Experiments »EU Emissionshandel« (EU ETS) zusammenfassen. Die Pleiten sind vielfältig und von so grundsätzlicher Natur, dass die von der Europäischen Kommission im Dezember 2012 vorgeschlagenen Reformen selbst bei optimaler Umsetzung aus dem angeschlagenen Emissionshandel kein wirkungsvolles Instrument zum Klimaschutz machen. Der einzig sinnvolle Reformvorschlag ist daher, das Experiment Emissionshandel zu beenden, und den unabdingbaren Ausstieg aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen mit ordnungspolitischen Instrumenten und der Mobilisierung für eine umfassende und gerechte Energiewende voranzutreiben. Der Aufruf »Scrap the ETS« (scrap-the-euets.makenoise.org), unterstützt von mehr als 120 Organisationen, Netzwerken und Bewegungen weltweit, fordert deshalb, den Emissionshandel abzuschaffen und damit den Weg für eine zügige und gerechte Energiewende freizumachen.


Zu den gravierendsten Pannen des EU Emissionshandels gehören Betrug durch nicht gezahlte Umsatzsteuer, durch die dem Fiskus 2010 EU-weit circa fünf Milliarden Euro verloren gingen, sowie Diebstahl von Verschmutzungszertifikaten von den Konten mehrerer Unternehmen. Der virtuelle Handel mit den Zertifikaten ermöglichte einen sofortigen Weiterverkauf der »heißen Ware«. Resultat: als der Diebstahl bemerkt wurde, waren die gestohlenen Zertifikate bereits über mehrere EU Staaten mit unter-schiedlicher Gesetzgebung in Bezug auf Haftung und Handel mit Diebesgut verteilt. Das Fehlen jeglicher Regelung darüber, wer in einem solchen (absehbaren) Schadensfall haftet, brachte den Handel mit ETS Zertifikaten für mehrere Wochen zum Erliegen.


Pech und Pannen

Obwohl der Imageschaden, den das EU ETS durch die Pannenserie davongetragen hat, einen etwaigen Klimaschaden weit überwiegt, deuten die Pannen auf signifikante Konstruktionsfehler hin.

Das Pech traf das EU ETS, als die ohnehin viel zu großzügig bemessene Menge an Emissionszertifikaten - weitgehend gratis an die größten Verschmutzer in der EU vergeben - aufgrund der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise den Überschuss derart anwachsen ließ, dass im Jahr 2012 der CO2-Preis zum zweiten Mal in der Geschichte der EU ETS einbrach. Statt der erwarteten 30 bis 40 Euro pro Zertifikat liegt der Preis derzeit bei circa fünf Euro. Gutschriften aus CDM-Projekten werden für weniger als 50 Cent gehandelt. Diesem neuerlichen Preiseinsturz soll nun Abhilfe geschaffen werden, indem Zertifikate im Wert von 900 Millionen Tonnen CO2 nicht wie geplant 2013 sondern erst ein paar Jahre später versteigert werden. Selbst wenn diese Zertifikate vollständig aus dem Verkehr gezogen würden, läge ein etwaiger Preisanstieg wahrscheinlich innerhalb der Tagespreisschwankungen zwischen Kohle und Erdgas. Eine Signalwirkung für einen Ausstieg aus der fossilen Energieproduktion ist also nicht zu erwarten.

Pech und Pannen allein mögen als Argument für ein Ende des Emissionshandels nicht ausreichen. Ein Blick auf die Liste der Pleiten macht jedoch deutlich, dass die Reformvorschläge, die das Zurückhalten von 900 Millionen Zertifikaten ergänzen sollen, am Kern des Problems vorbeigehen: Auch eine optimale Umsetzung der Vorschläge würde den Emissionshandel nicht in ein effektives Instrument für Klimaschutz verwandeln.


Protokoll der Pleiten

Pleite Nr. 1: ETS beschert Europas größten Klimasündern Rekordgewinne, die nicht in die Energiewende fließen. Schätzungen zufolge hat der EU ETS Europas größten Energieverbrauchern und Energieerzeugern zwischen 23 und 71 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne eingebracht, obwohl letztere wie bisher auf Energieerzeugung durch Atom, Kohle und Gas setzen.(1) Über 75 Prozent der verarbeitenden Industrie wird bis mindestens 2020 kostenlose Zertifikate erhalten - das bedeutet etwa sieben Milliarden pro Jahr an zusätzlichen Gewinnen ohne garantierten Klimanutzen. Hinzu kommen noch Zahlungen, die etwaige Strompreissteigerungen für die verarbeitende Industrie aufgrund des EU ETS ausgleichen sollen. Stromerzeuger erwarten, einen Teil der ab 2013 durch die Versteigerung von Zertifikaten anfallenden Kosten über Subventionen, möglicherweise auch für den Bau neuer Kohlekraftwerke in der EU, zurückzuerhalten. Die EU ETS finanziert somit auf Umwegen unter Umständen neue Kohlekraftwerke in der EU - Kohleschmutz statt Klimaschutz!

Pleite Nr. 2: Wirksame ordnungspolitische Instrumente in der EU, wie Einspeisegesetze für Erneuerbare Energien, die Großfeuerungsanlagenverordnung und das Energieeffizienzgesetz wurden geschwächt oder nicht ausgebaut mit dem Argument, dies würde den Preis von CO2 Zertifikaten gefährden.(2) Zudem ist das Gesamtvolumen der Emissionen auf Jahre im Voraus festgelegt. Zusätzliche Einsparungen privater Haushalte oder Zuwächse bei der Produktion von Erneuerbaren Energien führen somit nicht zu zusätzlichen Reduktionen von Treibhausgasen, da die Einsparungen durch Verkauf nicht verwendeter Zertifikate an anderer Stelle die Reduktion von Emissionen verhindern.

Pleite Nr. 3: Auch acht Jahre nach Einführung des EU ETS ist keine Trendwende im Verbrauch von fossilen Brennstoffen in der EU zu erkennen. Im Gegenteil, Energieerzeuger in Deutschland und Großbritannien verbrannten 2012 mehr Kohle als in den Jahren davor. Gleichzeitig warnte selbst die Internationale Energieagentur, dass bis zu 70 Prozent aller bekannten Reserven von fossilen Energieträgern im Boden bleiben müssten, wenn die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.(3)

Pleite Nr. 4: Marktmacher verabschieden sich vom Emissionshandel. Viele Befürworter erwarten keine signifikante Preissteigerung vom «backloading" Vorschlag.(4) 'Marktmacher' wie Deutsche Bank, Morgan Stanley, Credit Agricole oder Barclays haben ihre CO2 Handelsabteilungen geschlossen oder drastisch zusammengestutzt, da die für ihre Gewinne notwendigen Preisschwankungen nicht erzielbar waren.


Emissionshandel gescheitert

Die Liste der Pleiten ist bei weitem nicht vollständig. Festzuhalten bleibt aber, dass acht Jahre nach Einführung der EU ETS unklar ist, was eigentlich mit dem Emissionshandel erreicht werden soll. Geht es lediglich darum, dass die beteiligten Industriezweige auf Jahre im Voraus festgesetzte Obergrenzen von Emissionen möglichst kostengünstig einhalten, ist der Emissionshandel - zumindest für die größten Klimasünder in der EU - ein voller Erfolg: Dank Wirtschaftskrise sind die Emissionen weit niedriger als bei Festlegung der Obergrenzen für 2013 bis 2020 erwartet, und für Unternehmen, die ihre anfallenden Emissionen mit ersteigerten Zertifikaten abdecken müssen, fallen aufgrund des Preisverfalls, der Großzügigkeit bei der Erstausgabe von Gratiszertifikaten und der Möglichkeit, Gutschriften aus Projekten zuzukaufen, deren tatsächlicher Beitrag zum Klimaschutz nicht nachweisbar ist,(5) kaum Kosten an.

Geht es allerdings darum, die EU Energieinfrastruktur aus Klimaperspektive zukunftsfähig zu gestalten, ist die EU ETS das falsche Instrument: »Oft wird argumentiert, daß das Ziel des Handels mit Kohlenstoffzertifikaten sei, Investitionen zu fördern, und des Weiteren, in Technologien zu investieren, die hohe Grenzkosten haben. Ganz egal, wie oft es schon gesagt wurde - wenn dies das Ziel ist, ist der Emissionshandel das falsche Instrument.«(6)

Auf die Anmerkung, ein schlecht funktionierender Emissionshandel sei besser als gar nichts, sei an dieser Stelle auf die beispielsweise von Gar Lipow ausführlich beschriebenen ordnungspolitischen Instrumente verwiesen, die zur Verfügung stehen.(7) Den politischen Druck aufzubauen, damit sich diese Instrumente umsetzen lassen, ist Aufgabe der kritischen Zivilgesellschaft. Darauf zu hoffen, dass uns der Emissionshandel diese kritische Auseinandersetzung abnimmt, ist eine Illusion. Je schneller diese Illusion aus dem Weg geräumt ist, und wir uns der Aufgabe widmen, den nötigen politischen und gesellschaftlichen Druck für den unabdingbaren Wandel zu schaffen, desto besser.

Autorin Jutta Kill hat von 2000 bis 2012 die Klimakampagne der NRO FERN koordiniert.


Anmerkungen

(1) Carbon Trade Watch and Corporate Europe Observatory (2010): EU Emissions Trading System: failing at the third attempt.
http://www.carbontradewatch.org/downloads/publications/ETS_briefing_april2011.pdf und Point Carbon, WWF (2008) EU ETS Phase II - The potential and scale of windfall profits in the power sector,
http://assets.panda.10org/downloads/point_carbon_wwf_windfall_profits_mar08_final_report_1.pdf.

(2) http://image.guardian.co.uk/sys-files/Guardian/documents/2007/08/13/RenewablesTargetDocument.pdf.

(3) Carbon Tracker (2012): Unburnable Carbon - Are the world's financial markets carrying a carbon bubble?
www.carbontracker.org/carbonbubble.

(4) «Backloading will keep the market ticking, [...]. It's a tiny proposal ... (that) will effectively have no consequence on investment or profitability for energy intensive industries." in: Point Carbon: EU CO2 market fix hangs in balance after MEPs urge rejection. 24 Jan 2013, http://www.pointcarbon.com/news/1.2152161.

(5) Siehe Kritik an CDM Gutschriften, u.a. http://www.fern.org/tradingcarbon und L. Schneider (2007): Is the CDM fulfilling its environmental and sustainable development objectives? An evaluation of the CDM and options for improvement. Öko-Institut.
http://www.thebigask.eu/oekodoc/622/2007162-en.pdf.

(6) Not a good idea. Trevor Sikorski. Oct 2011 www.pointcarbon.com. Original: »There is an implicit argument that the goal of the carbon market is to encourage investment, and it often seems, making investment in technologies that have a high marginal cost of abatement. No matter how many times we say this, if that is the goal, the carbon market is the wrong tool.«

(7) Lipow, G. (2012:) Solving the Climate Crisis through Social Change. Public Investment in social prosperity to cool a fevered planet.


Für eine ausführliche Kritik des EU Emissionshandels siehe unter anderem »Designed to Fail«: http://www.fern.org/designedtofail


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013, S. 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2013