Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

ERNÄHRUNG/083: Klimabilanz von Lebensmitteln bekommt eine zunehmende Bedeutung (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Essen auf zu großem Fuß
Die Klimabilanz von Lebensmitteln bekommt eine zunehmende Bedeutung - oft mit undifferenziertem Blick


Bilanzieren ist in und Bilanzieren für den Klimaschutz ist noch mehr in. Die Bilanz für den Klimagipfel in Kopenhagen fällt zwar eher dürftig aus, aber das wird der Popularität des Themas keinen Abbruch tun. Im Gegenteil, könnte man vermuten, schließlich haben die Staats- und Regierungschefs vielfach bekundet, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln "Wir sind die letzte Generation, die etwas tun kann", sagte die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad, kurz bevor auch sie nichts mehr tun konnte, weil der Gipfel scheiterte. Offensichtlich meinen die Länderchefs denn auch weniger ihre Landespolitiken, ihre Haushaltsausgaben und Wirtschaftsgesetzgebung als mehr jeden einzelnen Bürger. Schließlich trat Bundeskanzlerin Angela Merkel für konkrete Reduktionsziele ein, unterstützt aber nach wie vor eine klimaschädliche Agrarpolitik." Wenn die Kanzlerin es ernst meint mit der Reduktion", sagt der AbL-Vorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, "dann darf die Politik in Deutschland nicht weiter eine erdölgesteuerte, agrarindustrielle Rohstoffproduktion vorantreiben, sondern muss die sonnengestützte Erzeugung von gesunden Lebensmitteln stabilisieren und weiterentwickeln." Bäuerliche Landwirtschaft, wie sie der Weltagrarbericht zur Bekämpfung des Klimawandels fordert, ist in Kopenhagen noch Vielen fremd gewesen.


Auf großem Fuß

Es bleibt die Erkenntnis: Wenn schon die großen Mächtigen handlungsunfähig sind, müssen wenigstens die kleinen Leute die Ärmel hochkrempeln. Also wird fleißig bilanziert und das schöne Bild vom CO2-Fußabdruck gezeichnet. Für den persönlichen Lebensstil oder für unterschiedliche Automodelle gibt es den ja schon länger, und es ist niemandem mehr fremd, dass der eines Porsche Cayenne größer ist als der eines VW Polo. Sprich, von der Herstellung bis über den späteren Einsatz im Straßenverkehr produziert die Sportskarosse mehr klimaschädliches Kohlendioxid als der Kleinwagen. Beim Auto ist die Welt relativ einfach, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, weitere essentielle Bestandteile des Lebens zu bilanzieren? Warum nicht Lebensmittel, die wir alle brauchen und von denen wir doch schon lange - genau genommen seit der erste Zeitungsartikel über Kuhpüpse veröffentlicht wurde - wissen, dass ihre Erzeugung nicht unproblematisch im Hinblick auf die Klimaveränderung ist. Auch wenn der deutsche Bauernverband erneut im Vorfeld des Gipfels in Kopenhagen dargestellt hat, dass die Landwirtschaft klimaneutral funktioniert. Alles eine Frage der Bilanzierung, sprich, welche Daten rechne ich wo gegen und welche lasse ich weg. Deswegen bittet der DBV in seinem Papier zum Gipfel auch um eine "faire Klimabilanzierung."


Schwedische Fußspuren

Aber zurück zum Lebensmittel. In Europa wird es in den nächsten Jahren zunehmend ein Thema werden, wie viel CO2 ein Lebensmittel verbraucht hat, bis es im Supermarktregal liegt. Schon 2011 sollen dazu Standards erarbeitet werden. Schweden geht bereits in die Vorlage und kennzeichnet Lebensmittel mit einem CO2-Fußabdruck, nachdem eine Umfrage in der Bevölkerung ergeben hatte, dass sich 92 Prozent der schwedischen Verbraucher mehr umweltrelevante Informationen auf den Lebensmitteln wünschen. Auch die deutsche Presse jubiliert, dass sich die Kaufentscheidungen neu ordnen werden, zukünftig gehe es nicht mehr um Bio oder konventionell, sondern um klimafreundlich oder nicht. Der Präsident des deutschen Raiffeisenverbandes, Manfred Nüssel, fordert bereits eine international einheitliche Berechnungsmethode, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen komme. Die Schweden rechneten flugs aus, dass Geflügel klimafreundlicher ist als Rindfleisch oder Möhren besser als Tomaten. Die Sache hat nur einen gewaltigen Haken, mag es bei Gemüse noch relativ einfach sein, einen halbwegs realistischen Fußabdruck zu erstellen, weil die einzurechnenden Faktoren wie Anbau, Ernte, Transporte, Verpackung relativ übersichtlich sind, so ist es bei Fleisch oder Milchprodukten schier unmöglich. Schon bei Gemüse stellt sich die Frage, wie weit beim Anbau ins Detail geschaut wird, wird nur der auf dem Feld verfahrene Diesel in Ansatz gebracht oder auch der Energieeinsatz für Herstellung und Transport der Dünge- und Pflanzenschutzmittel? Schon an diesem einfachen Beispiel wird deutlich, dass sich jeder nach Belieben und Lobbyinteressenslage die Bilanz so hinrechnen kann, wie er sie gerade braucht. Für eine Biomöhre wird mehr Diesel auf dem Acker verfahren als für eine konventionelle, wenn man Dünger- und Pestizidherstellung bilanztechnisch weglässt. Genauso wäre es sicherlich kein Problem, den Schweden vorzurechnen, dass es eine Art der Geflügelfleischproduktion gibt, die mindestens so klimaunfreundlich ist wie eine Art der Rinderhaltung. Es ist immer eine Frage der Datenlage und eine Frage dessen, wie weit in der Kette zurückgeguckt wird. Zählt die Abholzung des Regenwaldes für die Neuanlage von Sojafeldern zur Futterversorgung der Intensivmast noch für den Fußabdruck des so gehaltenen Tieres? Aber damit noch nicht genug, was ist mit Wechselwirkungen, die besonders in vielfältigen landwirtschaftlichen Betrieben eine Rolle spielen? Klimapositive Fruchtfolgewirkungen, geschlossene Kreisläufe? Einfacher rechnen lassen sich spezialisierte Betriebe - also nicht gerade das Ideal der bäuerlichen Landwirtschaft, und deshalb werden sie von den einschlägigen Verbänden auch so gerne ins Feld geführt. Heraus kommt dabei zum Beispiel für den Bauernverband, dass man zukünftig aus Klimaschutzgründen die Effektivität der Rinderhaltung steigern sollte. Industrialisierte Abläufe in der Landwirtschaft lassen sich gut rechnen und die Bilanzen werden besser, wenn das System noch effektiver wird, der Filter besser arbeitet und die Kuh mehr Milch gibt. Unter Umständen vorhandene negative Umweltauswirkungen werden geflissentlich übersehen.


Verantwortung übernehmen

Aufgrund dieser schrägen Datenlage hält denn auch Frank Waskow, der sich bei der Verbraucherzentrale NRW mit dem Thema befasst, den CO2 Fußabdruck "bei Lebensmitteln für nicht geeignet." Und er rechnet vor, dass ein Apfelsaft aus China in Massenproduktion hergestellt, einem Saft von Streuobstwiesen klimatechnisch überlegen ist - wenn man es nur entsprechend rechnet. "Je komplizierter ein System, desto mehr neigt man dazu zu manipulieren", sagt er und resümiert, dass gerade die Lebensmittelerzeugung, speziell die Milchverarbeitung, hoch kompliziert sei. Er fordert von den Unternehmen, die Lebensmittel produzieren und verkaufen, die Verantwortung nicht auf die Verbraucher abzuwälzen, sondern selbst zu gucken, was man in seinem Unternehmen tun kann. Beispiele sind Rewes Wechsel zu Ökostrom oder Lidl, das einen nachhaltigen Gebäudestandard eingeführt hat. Und schließlich kann der Verbraucher auch was tun. Weniger Fleisch, eine gesunde Ernährung ist die einfache Botschaft von Frank Waskow. In Schweden ist das sogar schon bei einer Fast Food Kette angekommen, sie liefert zu jedem Burger nicht nur den CO2 Fußabdruck sondern auch fleischreduzierte Alternativprodukte und propagiert die Fleischreduktion. Ob für das Soja in diesen Klimaburgern aber Regenwald geholzt wurde? Alles nicht so einfach. Das sieht der Bauernverband auch so und machte vor Kopenhagen noch einmal klar, dass Tofuwürstchen seine Sache nicht sind. "Verzichtsstrategien verbieten sich." Dabei sind wir doch die letzte Generation, die etwas ändern kann. In einigen Gegenden der Erde sind wir wohl die letzte Generation überhaupt.


*


Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 329 - Januar 2010, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010