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EUROPA/251: To green or not to green? - EU-Agrarpolitik am Scheideweg (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

To green or not to green?
EU-Agrarpolitik der nächsten sieben Jahre am Scheideweg

von Benedikt Haerlin



Die Debatte um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union der nächsten sieben Jahre geht Anfang 2013 in ihre entscheidende Phase. Agrarministerrat und Agrarausschuss des Europäischen Parlamentes pflügen sich seit Monaten durch den Reform-Vorschlag von Agrarkommissar Dacian Ciolos. Das »Greening«[1] der Direktzahlungen droht dabei zur Farce zu verkommen.

Keine Blankoschecks für eine schädliche Landwirtschaft!« warnten Bio-, Umwelt- und Naturschutzverbände in einem gemeinsamen Artikel vor dem Treffen der Staatschefs im November zum EU-Haushalt 2014-2020. Nicht nur die GAP, auch die mittelfristige Finanzplanung der EU folgt bekanntlich dem Brauch des Siebenjahresplans. Hätten die Staatschefs da erst einmal die Agrarausgaben ohne verbindliche Umweltauflagen festgelegt, so warnten die Verbände, würden die Agrarminister und ihre Kumpane im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments (EP) alles beim Alten und das Mäntelchen des »Greenings« schamlos fallen lassen, das bisher noch als neue Begründung alter Subventionen erforderlich sei.

Tatsächlich verfolgte der 40 köpfige Agrarausschuss des EP, das erstmals als gleichberechtigter Player im Poker um die Agrar-Milliarden am EU-Tisch sitzt, von Anfang an die Taktik, keine Position zu beziehen bevor der jährliche Agrar-Etat nicht festgelegt ist. Er gilt als Hort von Standes- und agrarindustriellen Interessen innerhalb des Parlaments. Fünf ehemalige und wer weiß wie viele künftige Agrarminister zählt er in seinen Reihen. Zu den ehemaligen zählen der Ausschussvorsitzende Paolo de Castro aus Italien und der portugiesische Berichterstatter für die beiden wichtigsten Verordnungen (Direktzahlungen und ländliche Entwicklung), Luis Manuel Capoulas Santos; beide übrigens Sozialdemokraten, wie auch das ehemalige Ausschuss-Mitglied Stéphane Le Foll, seit Juni nun französischer Agrarminister.

Hinterzimmer oder Demokratie?

8.000 Änderungsanträge hatten die Agrarier zu den Vorschlägen der Kommission eingebracht. Seit September trifft sich nun ein kleiner Kreis von Berichterstattern und »Schattenberichterstattern« der Fraktionen mehrmals pro Woche, um daraus mehrheitsfähige Kompromissvorschläge zu zimmern, die im Januar zur Abstimmung im Ausschuss stehen. Eher eine Hinterzimmer-Variante europäischer Demokratie war auch das Konzept von Herrn de Castro, nach der Abstimmung im Ausschuss direkt in Verhandlungen mit den Agrarministern einzutreten. Erst danach sollten dann die restlichen 700 Kolleginnen und Kollegen im Plenum über die bereits vollendete Einigung abstimmen. Den Plan hat er nach heftigem Protest mittlerweile aufgeben. Erst nach einer Plenarabstimmung im März wird mit dem Ministerrat verhandelt.

Auch beim Finanzgipfel im November kam es etwas anders als gedacht. Angela Merkel und David Cameron gaben das »Billionen-Drama« um Britanniens EU-Mitgliedschaft. Sparwut überkam plötzlich jene, die größere Beträge, als sie der Agrarpolitik künftig verweigern wollen, ohne Probleme Großbanken, Oligarchen und Hedgefonds zur Besänftigung »der Märkte« zum Fraß vorzuwerfen bereit sind. Doch der vereinigte Süden und Osten mochte sich dem Spardiktat der Nettozahler (noch?) nicht beugen.

So erfüllten die Staatschefs weder die Befürchtungen der Umwelt-Organisationen noch die Hoffnungen des Agrarausschusses. Der muss nun im Januar Farbe bekennen. Was bisher über seine Schatten-Kompromisse bekannt wurde, ist das schiere Anti-Greening. Die vorgeschlagene, kaum wirksame Begrenzung von Monokulturen (maximal 70 Prozent einer Anbaufrucht pro Jahr) soll noch weiter verwässert werden, anstatt sie zu einer brauchbaren Vorschrift für jährlichen Fruchtwechsel, samt eines Mindestanteils an Leguminosen auszubauen. Nicht einzelne Betriebe, die Direktzahlungen beanspruchen, sondern lediglich die Mitgliedsstaaten sollen weiteren Umbruch von Grünland verhindern. Die Hauptkomponente ökologischer Leistung für öffentliche Gelder schließlich, die jedem Betrieb vorschreibt, sieben Prozent seiner Ackerfläche als ökologische Vorrangfläche zu bewirtschaften, soll auf drei bis fünf Prozent heruntergehandelt und zudem bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden. Auch ohne Ergebnis des Finanzgipfels deuten die Kürzungsvorschläge von Ratspräsident van Rumpoy deutlich an was dieser unter den Regierungen für konsensfähig hielt: Bei den Direktzahlungen wollte er moderat, heftig dafür bei der ländlichen Entwicklung und Agrarumweltmaßnahmen kürzen. Aus dieser sogenannten zweiten Säule sollen die Staaten zudem 15 Prozent in die erste Säule der Direktzahlungen umschichten können. Auch der europäische Bauernverband gab daraufhin bereits klar seine Marschroute zu erkennen: Für Greening sei angesichts dieser Streichungen keinerlei Spielraum mehr erkennbar.

Jetzt oder erst 2020 wieder

Ob es am Ende »Kein Geld - kein Greening« oder »Kein Greening - kein Geld« heißt hängt von zwei Faktoren ab. Erstens: Fasst sich eine Mehrheit der EU-Abgeordneten, die 2014 wiedergewählt werden wollen, ein Herz und vertritt die Interessen von Umwelt, Verbrauchern, Entwicklung und Gesundheit auch gegen ihre eigene, fraktions- und parlamentsinterne Agrarlobby? Oder kommen die Abgeordneten weiter mit der Formel davon: »da wenden Sie sich bitte an die Agrarexperten unserer Fraktion«? Zweitens: Wächst der Druck auf die Regierungen seitens der Zivilgesellschaft so an, dass die den Zorn ihrer Bürgerinnen und Bürger über Bienen- und Bauernsterben, die Vermaisung und Verödung des Landes, AntibiotikaTierhaltung und globales wie lokales landgrabbing mehr fürchten müssen als den Fluch der Agrarindustrie und ihrer Verbündeten?

Wie viele am 19. Januar 2013 zur Grünen Woche bei der großen »Wir haben es satt« Demonstration vor dem Kanzleramt stehen werden, wird auf diese Fragen eine wichtige, erste Antwort geben. Jede Nachfrage bei den Europaabgeordneten zwischen Januar und März zählt. Die Saison ist eröffnet!

Der Autor arbeitet für die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und ist an der deutschen Kampagne »Meine Landwirtschaft« und der europäischen Kampagne »Good Food Good Farming« von ARC2020 beteiligt - haerlin[at]zs-l.de

[1] Ein Teil der Direktzahlungen wird an ökologische Kriterien geknüpft.

www.meine-landwirtschaft.de
www.arc2020.eu


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, Seite 21-22
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013