Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

FISCHEREI/137: Stoppt den Beifang! - Meerestiere sind kein Müll (WWF Magazin)


WWF Magazin 1/2009
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Stoppt den Beifang!
Meerestiere sind kein Müll

Von Daniel Goliasch, WWF


Mehrere Millionen Tonnen Meerestiere werden jährlich als Abfall über Bord geworfen, weil sie nicht dem gewünschten Fang entsprechen. Drei Viertel der weltweiten Fischbestände sind bis an ihre Grenzen genutzt oder bereits überfischt. Fatale Folge: Die Nahrungsquelle Fisch droht zu versiegen. Wenn wir im Supermarkt zu Tunfisch greifen, ahnen wir kaum, welcher Teufelskreis des Raubbaus sich soeben geschlossen hat. Grund genug für den WWF, mit einer großen Kampagne auf die alltägliche Tragödie in unseren Weltmeeren aufmerksam zu machen - in Europa genauso wie in Indonesien.


Beifang: Meerestiere sind kein Müll

Die Fangleine spannt sich unter dem Gewicht, die Kurbel quietscht bei jeder Drehung, und die zuckenden Bewegungen der Beute bringen die Wasseroberfläche zum Brodeln. Doch der Kampf zwischen Mann und Meer ist längst entschieden. Etwa 2000 Köder, aufgespießt an Fischhaken entlang der viele Kilometer langen Leine, locken alle möglichen Meerestiere an - auch wenn Soehartoyo auf Gelbflossentunfisch hofft. Doch als sich die Leine spannt und die Kurbel ein letztes Mal quietscht, sieht der indonesische Fischer nicht einen der teuersten Speisefische der Welt - sondern in die gequälten Augen einer Lederschildkröte, die an einem seiner Haken hängt.


Die große Vergeudung

Grob geschätzt hängt an jeder zweite Leine, die täglich hakenbestückt ins Meer ausgebracht wird, eine Meeresschildkröte. Jedes Jahr sterben weltweit schätzungsweise 250000 dieser urtümlichen Reptilien durch Haken und Netze der Fischerei. Sie sind ungewollter Beifang auf der Jagd nach Tunfisch, Mahimahi oder Schwertfisch und werden von den Fischern zurück ins Meer geworfen, wo sie meist schwer verletzt sterben oder ertrinken. Dasselbe tödliche Schicksal teilen jährlich 300000 Wale, Delfine und Tümmler, viele Millionen Haie und ungezählte Meeresvögel. Massenhafter Beifang gefährdet inzwischen sogar die Fischbestände. Denn viel zu oft landen neben ungewollten Arten auch junge Fische in den Netzen.

Durch das wahllose Durchsieben der Weltmeere nach Lebewesen, sprich: durch unselektive Fangtechnik, zieht die Fischerei heute jedes Jahr rund 90 Millionen Tonnen Fisch an Bord ihrer Schiffe. Dabei landet bei weitem nicht nur das im Netz, was die Fischer haben wollen. Allein in der Nordsee wird laut einer aktuellen WWF-Studie jedes Jahr rund ein Drittel des gesamten Fanges als Müll wieder über Bord geworfen. Weil die Fische zu klein oder nicht verkäuflich sind oder nicht gefangen werden dürfen. Fische etwa, deren Fangquote bereits ausgeschöpft ist. Je nach Zielart und Fangtechnik werden sogar bis zu 90 Prozent eines Fischzuges wieder ins Meer zurückgeworfen.

Diese unvorstellbare Verschwendung von Leben ist nicht nur schrecklich, ethisch fragwürdig und unökologisch, sondern auch unwirtschaftlich. In der Nordsee beispielsweise wird derzeit jedes Jahr verwertbarer Kabeljau und Seelachs im Wert von mehr als 60 Millionen Euro einfach weggeworfen.

Für den Fischer Soehartoyo aus der Hafenstadt Benoa auf der indonesischen Insel Bali hingegen ist Beifang ein Existenzproblem. Nur Tunfisch ist für ihn von Wert. Jede seltene Meeresschildkröte am Haken ist ein Verdienstausfall.


Auf den Haken kommt es an

Doch für Soehartoyo gibt es eine Lösung, die seinen wirtschaftlichen Nutzen vergrößern kann - und die zugleich mithilft, die Meeresschildkröten vor dem Aussterben zu retten: Ein neuartiger Fischhaken. Nicht der J-förmige Haken, den fast alle indonesischen Fischer benutzen, sondern der rundliche Circle Hook.

In diesen Rundhaken können sich Schildkröten nicht mehr qualvoll verbeißen und ihn auch nicht verschlucken, weil der Durchmesser dieser Haken größer ist als ihr Maul. Werden Circle Hooks eingesetzt, verringert sich der Beifang von Schildkröten nachweislich um bis zu 90 Prozent.

Seit Jahren läuft Imam Musthofa vom WWF Indonesien in den Häfen Balis auf und ab und versucht, Fischer von der kleinen, aber wirkungsvollen Idee zu überzeugen, ihre J-Haken an den Langleinen ihrer Boote durch die neuen Rundhaken zu ersetzen. Darüber hinaus sollen die Fischer eine einfache Technik erlernen, die Schildkröten wieder lebend vom Haken zu lassen, wenn sie doch mal an der Leine hängen.

Doch die Fischer sind skeptisch. Bis heute ließen sich erst 38 von 780 der Tunfisch-Kapitäne auf Bali von Imam überzeugen, die Rundhaken zu übernehmen - und das, obgleich der WWF sie ihnen im Rahmen des Projekts kostenlos zur Verfügung stellt. Imam erzählt uns, den Fischern sei durchaus bewusst, dass eine Schildkröte weniger an der Leine womöglich ein Tunfisch mehr bedeuten kann. Trotzdem verabschieden sie sich aus Sorge um Fangeinbußen nur ungern von ihren etwa 2000 traditionellen J-Haken pro Boot, mit denen sie bis zu 70 Kilogramm schwere und 1,70 Meter lange Gelbflossen- und Großaugentunfische fangen.

Dass der WWF ausgerechnet arme Fischer auf Bali von den neuen Rundhaken überzeugen will, hat seinen guten Grund: Indonesien gilt als Schlüsselmarkt. Es ist die viertgrößte Fischereination der Welt. Und der wichtigste Exporteur für Tunfisch. Schon gibt es, angeregt durch den WWF, Überlegungen im indonesischen Fischereiministerium, die Rundhaken vielleicht innerhalb der nächsten fünf Jahre als Standardmaßnahme einzusetzen.


Ein Anfang ist gemacht

Solche Überlegungen könnten Verbraucher durchaus beschleunigen. Denn für immer mehr Menschen spielen Überfischung und Artensterben bei ihrer Kaufentscheidung eine ausschlaggebende Rolle. Das bestätigt auch Bas Zaunbrecher, Manager des niederländischen Fischgroßhändlers Anova, der auf Bali Fische im großen Stil verarbeitet und sie dann nach Nordamerika und Europa verschickt. Das Unternehmen beliefert in Deutschland unter anderem Aldi, Metro und Deutsche See. "Immer mehr Kunden fragen, wo der Fisch herkommt und wie er gefangen wurde", berichtet der Manager. "Heute haben wir Kennzeichnungen auf unseren Packungen, von welchem Boot der Fisch stammt, an welchem Tag er wie gefangen wurde, wann er wo verarbeitet und wie lange er transportiert wurde." Fisch von Anova aus Bali trägt die Aufschrift "100 Prozent Delfin-sicher". Schildkröten-sicher ist er noch nicht. Deshalb arbeiten Anova und der WWF zusammen, um die balinesischen Vertragspartner des Unternehmens zu motivieren, auf die schildkrötenfreundlichen Rundhaken umzusteigen. Zugleich hat Bas Zaunbrecher einem Testlauf mit Circle Hooks auf den firmeneigenen Booten zugestimmt. Wenn der Test erfolgreich ist - und das bedeutet für ihn: Wenn am Ende mindestens ebenso viele Tunfische aus dem Meer gezogen werden wie mit den alten Haken - möchte er die gesamte Flotte mit den Rundhaken ausstatten. Dann könnte er sich vorstellen, in etwa drei Jahren Tunfischfilets in Europa anzubieten, die "beifangfrei" gefischt wurden - und damit ohne Meeresschildkröten zu gefährden.


Schlaue Netze

Der Rundhaken in der Langleinenfischerei ist nur ein Beispiel, wie man die unvorstellbaren Mengen an Beifang reduzieren kann. Fangnetze können mit artspezifischen Fluchtfenstern ausgerüstet werden, durch die mitgefangene, aber unerwünschte Arten entkommen können, während die Zielfischart im Netz gefangen bleibt. Ein Großteil des Beifangs kann durch solche selektiven Fanggeräte vermieden werden. Und das ist noch nicht alles: Der WWF richtet seit einigen Jahren regelmäßig den weltweiten Wettbewerb "Smart Gear" ("Schlaue Netze") aus, bei dem Innovationen prämiert werden, die den Beifang verringern. Inzwischen gibt es bereits eine Vielzahl praktischer Lösungen zur Beifangverminderung: Von akustischen Signalgebern - so genannten Pingern - in Stellnetzen, die Wale und Delfine auf Abstand halten, über Scheuchvorrichtungen für Seevögel an Langleinen bis zu "Notausgängen" in Schleppnetzen, die es Schildkröten und Meeressäugern ermöglichen, das Netz wieder zu verlassen.

Zurück im Hafen von Benoa auf Bali: Die Meeresschildkröte am Haken von Soehartoyo hat Glück. Der Fischer hatte bereits seine J-Haken gegen die Rundhaken ausgetauscht. Als sie in den Köder biss, hat sich der Haken zwar in ihre Wange gebohrt, aber sie konnte ihn nicht verschlucken. So kann Soehartoyo das Tier leicht mit einem speziellen Gerät befreien und es wieder ins Meer entlassen. Die Wunde im Maul wird verheilen und die Meeresschildkröte kann weiterleben.

Raute

Mitgefangen, mitgehangen
Die häufigsten Beifangopfer

Rochen und Haie

Bislang ist die Hauptursache für das Verschwinden von fast 90 Prozent der Hammerhaie und 80 Prozent der Weißen Haie aus dem Nordostatlantik. Insgesamt sterben Jahr für Jahr schätzungsweise mehrere Millionen Haie und Rochen weltweit ungewollt durch die Langleinenfischerei und in Netzen. Haie kommen auch durch "Finning" ums Leben. Dabei werden ihnen bei lebendigem Leib die Flossen abgetrennt.

Wale und Delfine

Mehr als 300.000 Wale und Delfine werden jedes Jahr durch Fischernetze stranguliert oder am Luftholen gehindert und ersticken. Gefährlich für Meeressäuger sind vor allem Kiemennetze, Stellnetze, Schleppnetze, Ringwadennetze und Langleinen.

"Wertlose" Fische

Wegen zu enger Maschen geraten auch tonnenweise Fische in die Netze, die noch nicht geschlechtsreif sind. Sie sind für den Fischer ohne Wert, weil sie zu klein sind und daher gar nicht vermarktet werden dürfen. Wird der Nachwuchs aber massenhaft getötet, ist der Fortbestand der Art gefährdet.

Meeresschildkröten

Jedes Jahr geraten rund eine Viertelmillion Meeresschildkröten in tödliche Fallen. Unzählige, etwa 100 Kilometer lange Angelschnüre schwimmen im Meer, jede mit Tausenden Haken und Ködern für Tun- oder Schwertfische bestückt. Sie locken auch Unechte Karettschildkröten und Lederschildkröten an. Schon in den nächsten Jahren könnten beide Arten aussterben.

Seevögel

Auch rund 300.000 Vögel ertrinken jährlich, weil sie nach den Ködern tauchen, die an Langleinen befestigt sind - vor allem Albatrosse (im Bild), Sturmvögel, Sturmtaucher und Pinguine. Andere verheddern sich in Treib-, Schlepp- und Kiemennetzen oder kollidieren mit den Leinen, die das Netz mit dem Boot verbinden. Sie werden angelockt durch Abfälle und Rückwürfe.

Korallen

Grundschleppnetze, die über den Meeresboden gezogen werden, hinterlassen eine Schneise der Zerstörung in empfindlichen Korallenriffen. Insbesondere Kaltwasserkorallen sind bedroht, da sie besonders lange brauchen, um wieder nachzuwachsen. Allein im Nordostatlantik werden jährlich 40 Tonnen Korallen vom Meeresboden gerissen.

Fisch aus Farmen

Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, wird Fisch auch in Unterwasserfarmen gezüchtet. Eine Entlastung für ihre frei lebenden Artgenossen? Leider nein - der wachsende Bedarf an Futter stellt eine zusätzliche Gefahr für die überfischten Bestände dar. Denn um ein Kilogramm Aquakulturfisch zu züchten, werden vier Kilogramm frei lebende Fische verfüttert - Tiere, die oftmals nicht nachhaltig gefangen wurden. Bei der Tunfischmast sind es sogar bis zu 22 Kilogramm. Außerdem verursachen Aquakulturen in der Regel große Umweltschäden, wenn Chemikalien oder beigefütterte Antibiotika ins Meer gelangen. Die Aquakultur ist mit Steigerungsraten von durchschnittlich neun Prozent seit 1970 der am schnellsten wachsende Zweig in der globalen Ernährungswirtschaft. Rund 50 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte werden inzwischen pro Jahr in Süßwasser- und Meereszuchten erzeugt. Das entspricht mehr als einem Drittel des weltweit konsumierten Fisches. Der WWF arbeitet deshalb an einem zertifizierten Öko-Gütesiegel, das nachhaltige Fischzuchten künftig für Verbraucher erkennbar machen soll - ähnlich dem vom WWF entwickelten MSC-Zeichen für Wildfisch. Bis dahin sind nur Bio-Zuchttiere empfehlenswert. MGL


*


Die Tunfisch-Tragödie

Weltweit sind die Bestände an Tunfischen um bis zu 90 Prozent zurückgegangen. Nur noch wenige erwachsene Exemplare von Blauflossen-, Großaugen- oder Gelbflossentunfischen landen für viel Geld auf den globalen Märkten für Luxusprodukte.

Die Population des Roten Tunfischs (Bild re.) im Mittelmeer zum Beispiel steht vor dem Kollaps. Trotz Protest des WWF bei den zuständigen Vertragsstaaten soll er auch 2009 in großen Mengen gefangen werden. Vom Weißen Tunfisch - den es meist preiswert in Dosen gibt - gelten hingegen bislang nur einige Populationen als gefährdet.


*


Fisch aus Farmen

Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, wird Fisch auch in Unterwasserfarmen gezüchtet. Eine Entlastung für ihre freilebenden Artgenossen? Leider nein - der wachsende Bedarf an Futter stellt eine zusätzliche Gefahr für die überfischten Bestände dar. Denn um ein Kilogramm Aquakulturfisch zu züchten, werden vier Kilogramm frei lebende Fische verfüttert - Tiere, die oftmals nicht nachhaltig gefangen wurden. Bei der Tunfischmast sind es sogar bis zu 22 Kilogramm. Außerdem verursachen Aquakulturen in der Regel große Umweltschäden, wenn Chemikalien oder beigefütterte Antibiotika ins Meer gelangen. Die Aquakultur ist mit Steigerungsraten von durchschnittlich neun Prozent seit 1970 der am schnellsten wachsende Zweig in der globalen Ernährungswirtschaft. Rund 50 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte werden inzwischen pro Jahr in Süßwasser- und Meereszuchten erzeugt. Dies entspricht mehr als einem Drittel des weltweit konsumierten Fisches. Der WWF arbeitet deshalb an einem zertifizierten Öko-Gütesiegel, das nachhaltige Fischzuchten künftig für Verbraucher erkennbar machen soll - ähnlich dem vom WWF mitentwickelten MSC-Zeichen für Wildfisch. Bis dahin sind nur Bio-Zuchttiere empfehlenswert.


*


Der Einsatz von Rundhaken und die Verwendung schlauer Netze sind zwei ganz wichtige Wege, um die kolossale Verschwendung auf den Weltmeeren deutlich zu verringern. Auch als Verbraucher können Sie sich aktiv gegen Überfischung und übermäßigen Beifang einsetzen, indem Sie beim Einkauf Produkte mit dem MSC-Siegel bevorzugen.


http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/januar-2009/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/januar-2009/beifang-teil-1/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/januar-2009/beifang-teil-2/


*


Quelle:
WWF Magazin 1/2009, Seite 8-12
(aus Druck- und Online-Fassung)
Herausgeber: WWF Deutschland
Rebstöcker Str. 55, 60326 Frankfurt am Main
Tel.: 069/7 91 44-0, Fax: 7 91 44-112
E-Mail: info@wwf.de
Internet: http://www.wwf.de

Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2009