Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

GENTECHNIK/710: Agrogentechnik wartet auf den Aufschwung - Wachsamkeit geboten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Agrogentechnik wartet auf den Aufschwung
Kritische Verbände müssen weiter wachsam sein

Von Dr. Steffi Ober


Das Anbauverbot von MON 810, einer Maissorte die durch Genveränderungen eine bessere Resistenz gegenüber Schädlingen wie dem Maiszünsler haben soll, stimmte NGOs im Jahr 2009 verhalten optimistisch. Der Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung macht allerdings deutlich, wie wichtig es ist im Engagement gegen den Anbau von Genpflanzen nicht nachzulassen.


Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner verbot den Anbau von gentechnisch verändertem Mais MON 810 (Monsanto) kurz vor der Aussaat im April 2009 aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die auf Gefahren für "Nicht Ziel Organismen" durch den Anbau des MON 810 hindeuten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) lief gemeinsam mit der Industrie, den Forschungsgemeinschaften und dem Bundesforschungsministerium (BMBF) Sturm gegen diese Entscheidung. Monsanto ging bislang erfolglos vor Gericht, um doch noch im Jahr 2009 eine Aussaat von MON 810 zu ermöglichen. Doch ein Gerichtsurteil bestätigte die Entscheidung der Ministerin. Das Vorsorgeprinzip wird so hoch gewichtet, dass begründete Zweifel an der Unschädlichkeit von MON 810 für Natur und Umwelt das Verbot rechtfertigen. Das ist neu in der Rechtssprechung, bislang musste in Gerichtsverhandlungen immer ein konkreter Schaden für Natur und Umwelt nachgewiesen werden.

Das zuständige Bundesamt BVL wurde angewiesen das Verbot zu begründen, obwohl das Bundesamt die aufgeführten Untersuchungen in anderen Publikationen bereits als nicht stichhaltig bewertet und aussortiert hatte. Doch Frau Aigner bestand darauf, eine Reihe von Studien zur Kenntnis zu nehmen, unter anderem Untersuchungen auf sogenannte "Nicht Ziel Organismen" wie den Zweipunkt-Marienkäfer (Schmidt et al. 2009), die Untersuchungen von E. Rosi Marshall 2007 und die Ausbreitungsstudien von F. Hofmann (siehe Literatur LUA 2007, 2008).


Auswirkungen auf die Biodiversität

Dass der Anbau von gentechnisch verändertem Mais die Artenvielfalt in Schutzgebieten gefährden kann, geht aus den Untersuchungen im und am Naturschutzgebiet Ruhlsdorfer Bruch (Märkisch-Oderland) hervor, die bereits 2007 durchgeführt wurden.

Im Naturschutzgebiet Ruhlsdorfer Bruch kommen zwei seltene Schmetterlingsarten vor: der Große Feuerfalter (Lycaenar dispar) und der Goldene Scheckenfalter (Euphridryas aurinia). Von Mitte Juli bis Anfang August 2007 und 2008 wurde mit Hilfe von technischen und "biologischen" Pollensammlern (Bienen) der Eintrag von Maispollen ins Schutzgebiet ausgewertet. Die Flugeigenschaften von Mon 810-Pollen unterscheiden sich nicht von denen konventioneller Maispollen. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass die Bienen trotz vorhandener anderer Blütenpflanzen den Mais auch aus größerer Entfernung gezielt angeflogen. Bienenvölker haben einen Aktionsradius von wenigstens zehn, manchmal auch hundert oder mehr Quadratkilometern.

Die Ergebnisse zeigen: Pollen gelangen in großer Zahl selbst bei einer Entfernung von 100 Metern in das geschützte Gebiet. Eine Erklärung hierfür ist der intensive großflächige Anbau von Mon 810 in der Umgebung des Schutzgebietes 2008 mit über 500 Hektar gentechnisch verändertem Mais. Daraus lassen sich die Abstandsregelungen begründen, die Brandenburg (800m), Sachsen (1000m) und Bayern (1000m) für 2009 erlassen haben.

Wieviel der in den Sammlern gemessenen Pollen kommen überhaupt in den Futterpflanzen der Schmetterlingsraupen an? Dieser Frage gingen der Ökologe Frieder Hofmann und sein Team im Sommer 2008 im Ruhlsdorfer Bruch nach. Dafür untersuchten sie die Futterpflanzen der geschützten Schmetterlingsraupen. Die Raupen der FFH-Schmetterlingsart Großer Feuerfalter ernähren sich von großflächigen Ampferarten. Interessanterweise sind die Pollenkonzentrationen auf den Pflanzen unterschiedlich verteilt, an den Blattstrukturen wie den Rippen akkumulieren die Pollen. Und genau an diesen Rippen sitzen auch die Raupen des Großen Feuerfalters. Diese einmaligen Untersuchungen zu den tatsächlichen Pollenverteilungen auf den Futterpflanzen im Freiland sollen in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.

Der Maisanbau nimmt in Deutschland immer mehr zu. In Brandenburg hat sich in den letzten zehn Jahren die Anbaufläche um 150 % gesteigert. Dies liegt vor allem daran, dass der Anbau von Mais als Nachwachsender Rohstoff für Biogasanlagen deutlich zugenommen hat. Es liegt nahe, dass sich in diesen großen Monokulturen Schädlinge sehr gut ausbreiten können, sodass der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis), eine Schmetterlingsart, die im Maisanbau als Schädling gilt, auf dem Vormarsch ist. Aussagekräftige Untersuchungen darüber, ob dieses Gift auch andere Schmetterlinge gefährdet, fehlen bisher.


Aquatische Ökosysteme

Neue Untersuchungen aus den USA geben Hinweise darauf, dass auch aquatische Ökosysteme durch Bt-Mais gefährdet sein können. Rosi Marshall hat 12 Gewässer in intensiv genutzten Maisanbaugebieten des Mittleren Westen (Maisanteil über 90%, gv-Anteil 35%) auf den Eintrag und Transport von Maisanteilen (Pollen, Maisstreu) untersucht (Rosi Marshall et al. 2007). Maispollen und vor allem Ernterückstände werden in die umliegenden Gewässer transportiert, abgelagert und abgebaut. Deposition und Dekomposition machen die Maisstreu zugänglich für aquatische Organismen wie Köcherenlarven. In Laboruntersuchungen konnte Rosi Marshall nachweisen, dass die Larven verschiedener Köcherfliegenspezies sensibel auf Bt-Toxin reagieren. In einem dreijährigen F&E Bund-Länder-Projekt des Bundesamtes für Naturschutz mit Brandenburg wird der Frage nachgegangen, ob in die Gewässerökosysteme von Brandenburg Bt-Maispollen und -Streu gelangen und welche möglichen Folgen dies für den Naturschutz haben kann.


Gentechnik im Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag verspricht nichts Gutes: "Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft brauchen klare Signale für die Forschung an gentechnisch veränderten Pflanzen und deren Einsatz auf der Grundlage des geltenden Rechts".

Wie aber werden Zulassung, Import und Anbau geregelt?

• Die Zulassung der GVO soll vereinfacht werden. Die Koalition setzt sich für eine "stärkere Wissenschaftsorientierung und effiziente Zulassungsverfahren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) auf EU-Ebene ein".

• Die Abstandsregelungen werden wieder neu diskutiert. Die Koalition schafft die "(...)rechtlichen Voraussetzungen, damit die Bundesländer innerhalb eines bundeseinheitlichen Rahmens von Kriterien flexibel eigenständig Abstände festlegen können, die zwischen Feldern mit genetisch veränderten Pflanzen und solchen mit konventionellem oder ökologischem Anbau einzuhalten sind"

• Die Koalition drückt sich um eine eigene Festlegung zum Anbau. Beim erlassenen Anbauverbot für die gentechnisch veränderte Maissorte MON810 wird der Ausgang des Gerichtsverfahrens abgewartet. Dies sollte eigentlich noch im Dezember erfolgen.

• Gekonntes Produktplacement: Das Produkt eines Unternehmens hat es doch tatsächlich in den Koaltionsvertrag geschafft. Dort heißt es: "Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt."

• Böse Falle: "Um eine für Wirtschaft und Überwachung praktikable Anwendung der im Gemeinschaftsrecht der EU festgelegten Nulltoleranz für nicht in der EU zugelassene GVO zu ermöglichen, werden wir das Gentechnikgesetz und das EG- Gentechnikdurchführungsgesetz ändern." Die Verbände wehren sich dagegen, dass nicht zugelasse GVOs in Zukunft importiert werden dürfen. Die Behauptung, das wäre notwendig für die Versorgung unseres Nutzviehs wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahrer.


Gentechnikforschung

Mit dem Verbot von MON 810 waren nicht alle glücklich. Frau Schavan, verantwortlich für das Bundesministerium für Forschung (BMBF), kritisierte die Entscheidung ihrer Kollegin und antwortete mit einem "Runden Tisch" zur Gentechnikforschung. Dieser ist nach unserer Ansicht höchst einseitig und industrielastig besetzt. Das Thema Welternährung wurde zum Beispiel beim ersten Treffen abgehandelt, ohne dass eine einzige Organisation der Entwicklungszusammenarbeit oder ein Experte (mal abgesehen vom Hauptredner und Gentechnik-Lobbyisten Joachim von Braun) vertreten war. Das zweite Treffen hatte die Biosicherheitsforschung zum Thema.

Überraschenderweise wurde die Kritik des NABU an der gängigen Sicherheitsforschung von Frau Schavan aufgegriffen und sehr kontrovers diskutiert. Denn wir fordern ein Umdenken: Statt Sicherheitsforschung, die ja eigentlich nur die Sicherheit der gentechnisch veränderten Pen bestätigen soll, fordern wir Risikoforschung. Letztere erforscht die möglichen Risiken, benennt das Nicht-Wissen und die Grenzen der Erkenntnis. Nur so können wir zu einer vernünftigen Abwägung kommen. Doch auch hier verspricht der Koalitionsvertrag ein "Weiter so" mit einer technologiefixierten Sicht statt einer nötigen problemorientierten Wende.

Nach den Plänen der Koalition soll der nörgelige Bürger in Zukunft noch intensiver überzeugt werden."Dazu brauchen wir auch einen umfassenden Dialog über Zukunftstechnologien mit und unter den Bürgerinnen und Bürgern. Wir stehen für eine zukunftsorientierte Kultur der Chancen. Wir wollen wieder eine optimistische und technik- und innovationsfreundliche Gesellschaft werden."

Wer kennt den BioÖkonomieRat? Dieses von Ministerin Schavan eingesetzte Gremium soll laut Koalitionsvertrag: "eine international wettbewerbsfähige Strategie zu einer wissensbasierten Bioökonomie erarbeiten und umsetzen".

Dem BioÖkonomieRat gehören Experten aus universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Ressortforschung des Bundes und der privatwirtschaftlichen Forschung an. Der Rat ist administrativ bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) angesiedelt. Die Geschäftsstelle wird mit 2 Mio. EUR jährlich vom BMBF ziert.

Last but not least die ultimative Erkenntnis des Koalitionsvertrages: "Die grüne Gentechnik kann einen Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers leisten." Das sieht nicht nur der Weltagrarbericht deutlich kritischer (www. agrarbericht.de).


Die Autorin arbeitet beim NABU-Bundesverband zu Gentechnik.

Der 9-Punkte Katalog des NABU zur Sicherheitsforschung ist unter: http://www.nabu.de/themen/gentechnik/allgemein/11320.html zu finden.


Literaturhinweise:

• Landesumweltamt Brandenburg (2007): Durchführung eines Pollenmonitorings von Mais im Naturschutzgebiet Ruhlsdorfer Bruch 2007. Fachbeiträge des Landesumweltamtes, Heft Nr. 109, http://www.mluv.brandenburg.de/cms/media.php/2320/fb_109.pdf

• Landesumweltamt Brandenburg (2008): Durchführung eines Pollenmonitorings an Kulturmais in FFH-Lebensräumen, Projektbericht 2008 http://www.mluv.brandenburg.de/info-publikationen

• Hofmann, F. [2007]: Kurzgutachten zur Abschätzung der Maispollendeposition in Relation zur Entfernung von Maispollenquellen mittels technischer Pollensammler PMF. BfN-Publikationen. Online: http://www.bfn.de/dmin/MDB/documents/themen/agrogentechnik

• Greenpeace (2009): A critique of the European Food Safety Authority's opinion on genetically modified maize MON 810; Brüssel www.greenpeace.eu

• ROSI-MARSHALL, E J.; TANK; J L.; ROYER, T V.; WHILES, M R.; EVANS-WHITE, M.; CHAMBERS, C. & N. A. Grif(2007): Toxins in transgenic crop by products may affect headwater stream ecosystems, Proc. Nat. Acad.Sci. 104, 204-208


*


Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 6-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65, 53173 Bonn
Telefon: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2010