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SCHÄDLING/055: Vom Nobody zum weltweiten Imkerschreck (Unser Wald)


Unser Wald - 1. Ausgabe, Jan./Febr. 2013
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Vom Nobody zum weltweiten Imkerschreck

von Otto Boecking



Jahrtausende lang ein Schattendasein - Klein, queroval, rotbraun gefärbt, mit dem bloßen Auge gut erkennbar, ausgestattet mit Sägezahn ähnlichen Mundwerkzeugen, lebte die Varroa-Milbe lange versteckt ein Schattendasein ausschließlich in Honigbienenvölkern in Südostasien.

Entdeckt wurde sie vor über 100 Jahren von Edward Jacobson auf der Insel Java in Apis cerana indica Bienenvölkern. Einzelne Exemplare schickte er damals an das Museum in Leiden, Holland, wo sie als eine neue Milbenart beschrieben wurde. Benannt wurde die ca. 1,6 mm große Milbe nach ihrem Entdecker Varroa jacobsoni. In ihrer Heimat lebt die Milbe Varroa jacobsoni zusammen mit der östlichen Honigbiene in einer gut eingespielten Wirt-Parasit Beziehung. Dafür waren viele Generationen wechselseitiger Anpassung notwendig. Die Milbe, die sich ausschließlich nur in den Honigbienenvölkern vermehren kann, ist gänzlich abhängig von ihrem Wirt. Ihre Reproduktion in der Bienenbrut ist dort ausschließlich auf die saisonal begrenzt aufgezogene Drohnenbrut beschränkt. Die übrige Zeit müssen sich die Milben auf den erwachsenen Bienen aufhalten. Das schaffen sie, indem sie Blut von den erwachsenen Bienen saugen.

Die hiesigen Honigbienen besaßen über Jahrtausende eine andere, mit dem bloßen Auge nicht erkennbare Milbe, die Tracheenmilbe. Sie lebt und vermehrt sich in den Atemwegen der erwachsenen Bienen. Über viele Imkergenerationen hinweg verursachte diese Milbe noch im letzten Jahrhundert erhebliche Völkerverluste auch in Deutschland. Heute scheint sie hier ausgerottet.

Ursprünglicher Wirtswechsel geschah unbemerkt in Asien. Außer der Entdeckung und Erstbeschreibung vor 100 Jahren, blieb es dann lange Zeit gänzlich ruhig um diese Milbe. Der Grundstein für einen Wechsel vom unauffälligen Nobody zum "Imker-Schreck" war aber damals schon vor ihrer Entdeckung in Asien unbemerkt gelegt. Den Anfang machten Umsiedlungen von Bienenvölkern der westlichen Art in das Verbreitungsgebiet der östlichen Honigbiene gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als man diese von der Ukraine und Baschkirien am Ural nach Kasachstan verlagerte. Mit dieser Honigbiene waren höhere Honigerträge zu erzielen und sie waren einfacher in ihrer Handhabung. Sie wurde vermehrt und breiteten sich schließlich bis an die Pazifikküste in die Gegend um Wladiwostok aus. Das reicht nahe an die koreanische Grenze mitten hinein in das natürliche Verbreitungsgebiet der östlichen Honigbiene. Mit dieser Einschleppung der fremden Honigbienenart wurden auch deren typischen Krankheitserreger verschleppt. So konnte nun die Varroa-Milbe unbemerkt auf einen neuen Wirt, die westliche Honigbiene, wechseln. 1964 wurde die Varroa-Milbe in Iman festgestellt, eine sowjetische Stadt im Gebiet Primorije nahe der Grenze zu China. Sie schädigte die von Menschen dorthin eingeschleppten westlichen Honigbienenvolker massiv. Damals begannen in der ehemaligen Union der ozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) Forschungsarbeiten zur Bekämpfung der Varroose.

Blutsaugendes Biest

Die Varroa-Milbe lebt vom Blut der Bienen und vermehrt sich in deren Brutzellen. Mit ihren messerscharfen Mundwerkzeugen kann die weibliche Milbe die Haut der Bienenlarve und -puppe anstechen. Dies gelingt ihr auch bei erwachsenen Bienen, wenn sie sich dazu mit ihrem flachen Körper zwischen die Hinterleibssegmente zwängt. Beim Anstich können gefährliche Viren und Bakterien übertragen werden oder diejenigen Viren, die schon in den Bienen schlummern, aktiviert werden. Im Milbenspeichel ist ein Enzym enthalten, das die Blutgerinnung der Biene hemmt. So können auch die Milbennachkommen an der offenen Wunde in der Bienenpuppe ihre Nahrung aufnehmen. Die Vermehrung in der Brutzelle ist optimal an die sich entwickelnde Biene angepasst. Sie wird sogar durch Duftstoffe der Bienenlarve synchronisiert. Die Milbe bevorzugt Drohnenbrut gegenüber der Arbeiterinnenbrut, weil ihr damit drei Tage länger Zeit für die Entwicklung ihrer Nachkommen bleibt. Im Gegensatz zur asiatischen Biene, bietet die westliche fast das ganze Jahr hindurch Reproduktionsmöglichkeiten für die Milbe. Ohne die Abhilfe durch den Imker gehen Bienenvölker unweigerlich an der Varroa-Milbe ein. Sie kann Bienen und -larven am Geruch unterscheiden. Mit ihren vier Beinpaaren und kleinen Haftlappen ist sie zwar auf der Einzelbiene und auf Kurzstrecken auf der Wabe äußerst mobil. Zum weiteren Transport oder gar zur Ausbreitung braucht sie jedoch die erwachsenen Bienen, auf der sie so als Hitchhiker Neuland betreten kann. Imker und die Globalisierung haben die rasante Ausbreitung dieser invasiven Art beschleunigt.

In Deutschland angekommen, folgte eine nahezu weltweite Ausbreitung. Die Varroa-Milbe hat sich in den letzten 40 Jahren nahezu weltweit ausgebreitet. In Europa wurde sie erstmals 1967 in Bulgarien nachgewiesen, 1971 in Tschechien und 1976 im früheren Jugoslawien. Diese Milben hatten ihren Ursprung aus den Regionen, in die man die westliche Honigbiene mehr als ein Jahrhundert zuvor verbracht hatte. Damit war auch der umgekehrte Weg für die Milbe geebnet. 1977 fand man die ersten Varroa-Milben in Deutschland, zunächst begrenzt in Hessen. Der Sprung hierher gelang der Milbe jedoch auf direktem Wege aus Asien, zunächst unbemerkt, auf dorthin für Forschungszwecke eingeführte Apis cerana Völker. Alle Bemühungen, sie wieder loszuwerden, waren damals erfolglos. Anfangs mussten Varroa befallene Völker vernichtet werden, bis man feststellte, dass diese Strategie die Ausbreitung der Milbe allenfalls verzögern, aber nicht stoppen kann. Selbst wenn es den beschleunigten Weg für die Varroa-Milbe direkt von Asien nach Deutschland nicht gegeben hätte, wäre sie dennoch über kurz oder lang hier angekommen. Ihre schnelle Verbreitung verdankt die Milbe der Tatsache, dass Bienenvölker stetig Kontakt zu anderen Völkern unterhalten. Werden Bienenvölker durch die Varroaschädigung immer schwächer, sind sie ein willkommenes Ziel räubernder Bienen stärkerer Völker aus der Umgebung. Sie schleppen nicht nur den fremden Honig zurück in den eigenen Stock, sondern auch alle Krankheitserreger einschließlich der Milben. Der weltweite Handel, das Verbringen von Bienenvölkern über Grenzen hinweg, begünstigen natürlich die Ausbreitung dieses "Biests".

Die Milbe mit weltweitem Siegeszug, ist eine andere Varroa-Milbe. Molekular biologische Untersuchungen ermöglichen heute die Wege der invasiven Arten im Nachhinein zu rekonstruieren. Im Jahre 2000 zeigte sich, dass es sich bei der am weitesten verbreiteten Bienenmilbe nicht um die ursprünglich 1904 beschriebene Varroa jacobsoni handelt, sondern um eine eigene Art. Sie wurde aufgrund ihrer zerstörerischen Fähigkeiten Varroa destructor genannt. Die weltweit zu beobachtende genetische Uniformität dieser Varroa destructor zeigt, dass sie offensichtlich mit nur einigen wenigen Individuen von Apis cerana auf Apis mellifera übergegangen ist. Die weltweite Ausbreitung der Varroa-Milbe gelang ihr in kürzester Zeit. Die Grundlagen dafür haben Menschen schon Jahrhunderte zuvor geebnet. Bis auf Australien und die widrige Antarktis, in der keine Honigbienen leben, ist heute kein Kontinent mehr frei von dieser invasiven Art. Der Sprung von Varroa destructor nach Australien ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit.

Autor Dr. Otto Boecking, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Institut für Bienenkunde Celle; E-Mail: Otto.Boecking[at]LAVES.Niedersachsen.de

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
1. Ausgabe, Jan./Febr. 2013, Seite 14-15
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
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Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013