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TECHNIK/027: Hightech auf dem Feld - Fusion von Informationstechnologie und Pflanzenbau (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2010

Hightech auf dem Feld
Die Fusion von Informationstechnologie und Pflanzenbau verändert die Massenproduktion von Lebensmitteln tiefgreifend

Von Tarik Ahmia


Im Schritttempo fährt der Traktor das Spalier aus Apfelbäumchen ab. Am Heck montiert ist ein Schwenk-Arm, an dessen Ende eine Bürste rotiert. Die fährt mal hier, mal da in die Obstbäume hinein und schrubbt gezielt Apfelblüten aus jedem Bäumchen heraus. Je mehr Blüten ein Bäumchen besitzt, desto kleiner werden die Äpfel. Doch die nimmt der Großhandel nur ungern. Deshalb soll die Maschine bei jedem Baum vollautomatisch exakt so viele Blüten ausbürsten, dass sich die größeren Äpfel nach der Ernte gut verkaufen lassen.

Die Blütenbürste kommt zum Einsatz im Forschungsprojekt OptiThin, das gemeinsam vom Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim (ATB), mehreren Industriepartnern und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bearbeitet wird. In zwei Jahren soll das individuelle Ausdünnen der Apfelblüten so präzise funktionieren, dass es praxistauglich ist. Jeder Baum ist anders. So entfernt die Maschine die Blüten nicht wahllos, sondern der Steuercomputer kennt die Geschichte jedes einzelnen Baumes. Wie viele Äpfel hat er in den vergangenen Jahren getragen? Wie viele könnten es im nächsten Jahr sein? Auf dieser Grundlage zählt das System mit Hilfe einer Kamera die Blüten und stutzt sie zurecht. An der Verbindung von Informatik und Pflanzenbau wird seit Jahrzehnten in allen Bereichen der Landwirtschaft geforscht. Fachleute fassen die unterschiedlichsten Ansätze unter dem Begriff "Precision Farming" zusammen. Die Präzisionslandwirtschaft soll dabei helfen, mit weniger Ressourcen höhere Erträge umweltfreundlicher zu produzieren. In Versuchen lassen sich schon heute gut 20 Prozent Dünger und Herbizide einsparen im Vergleich zu weniger raffinierten Verfahren.

"Höhere Erträge und Ressourceneinsparungen allein sind aber keine vorrangigen Ziele des Precision Farming", sagt Agraringenieur Armin Werner, Experte für präzisen Ackerbau am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) im brandenburgischen Müncheberg. Für ihn ist der präzise Ackerbau auch "eine bessere Managementtechnologie" für die gesamte Lebensmittelproduktion.

Bewährt hat sich das in der Praxis bislang vor allem bei der maßgeschneiderten Düngung. Denn große Flächen nach dem Gießkannenprinzip mit Nährstoffen zu versorgen, ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. Die Qualität des Bodens kann alle paar Meter schwanken: Sand, Lehm und kalkige Böden wechseln sich auf vielen Äckern ebenso ab wie der Nährstoffgehalt des Bodens und seine Fähigkeit, Wasser zu speichern. Zuviel Dünger macht die Pflanzen anfällig für Krankheiten und verursacht Mehrkosten, zu wenig schmälert die Ernte. Deshalb fahren Hightech-Traktoren über die Felder, die mit Sensoren und Satellitennavigation an Bord je nach Bodenqualität sekundenschnell die für das Pflanzenwachstum optimale Nährstoffmenge ermitteln und verteilen.


Bodenanalyse in Echtzeit

Weltweit tüfteln Forscher daran, welche Verfahren sich etwa für die Bestimmung des ortsspezifischen Stickstoffbedarfs am besten eignen. Begonnen wurde damit, bei der Ernte die Menge und Qualität des Erntegutes zusammen mit den GPS-Koordinaten zu erfassen. Damit lässt sich eine Ertragskarte generieren, die quadratmetergenau die Stärken und Schwächen eines Feldes anzeigt. In der Praxis hat sich die Methode aber als unzureichend erwiesen, da damit nicht die Ursachen für die Ertragsvariationen geklärt werden können. Deshalb arbeiten Forscher an zwei verschiedenen Arten von Sensoren: Die einen entwickeln Pflanzensensoren, um den Düngerbedarf aus dem aktuellen Zustand der Pflanzen abzuleiten. Die anderen versuchen, den Boden zu analysieren, um auf die allgemeinen Wachstumsbedingungen und die pflanzenverfügbaren Nährstoffe zu schließen. Der Markt für diese Art von Pflanzensensoren wird bislang von dem norwegischen Düngemittelhersteller Yara dominiert. Etwa 900 Exemplare seines "N-Sensors" sind weltweit im Einsatz. Das Gerät sieht aus wie ein Surfbrett, das quer zur Fahrtrichtung auf dem Dach eines Traktors montiert wird. Darin steckt ein Spektrometer, mit dem sich die unterschiedlichen Wellenlängen des Lichtes analysieren lassen. "Das Gerät misst in Echtzeit das Licht, das die Pflanzen reflektieren. So unterscheidet das System zwischen der Grün- und Gelbfärbung des Getreides und regelt während der Fahrt die Stickstoffdüngung", sagt Armin Werner. Andere Düngesensoren messen den Chlorophyllgehalt der Pflanzen mit Laserlicht. Je größer die Betriebe sind, desto eher rentieren sich die Anschaffungskosten von etwa 25.000 Euro in der einfachen Ausführung; mit Fremdlicht zur Messung auch bei schlechter Einstrahlung kostet der Hightech-Helfer fast 40.000 Euro. Mindestens 200 Hektar sollte die Anbaufläche groß sein. "Wenn kleinere Betriebe bei solchen Anschaffungen kooperieren oder Dienstleister beauftragen, können sie Maschinen für Precision Farming ebenfalls wirtschaftlich nutzen", sagt Robin Gebbers, der am ATB in Potsdam die neue Technologie erforscht. Sein Spezialgebiet sind Bodensensoren, mit denen sich unter anderem die Bodenfruchtbarkeit und der erwartete Ertrag vorhersagen lassen sollen. Dabei wird mit Hilfe von vier rollenden, scharfen Metallscheiben, die ein Traktor auf dem Acker hinter sich herzieht, während der Fahrt permanent die elektrische Leitfähigkeit des Bodens gemessen und zusammen mit den Geokoordinaten im Bordcomputer gespeichert. Daraus lässt sich abschätzen, wie viel Wasser und Salz im Boden stecken und ob er sandig oder lehmig ist. Ein anderer Sensor misst den pH-Wert des Bodens, der für das Pflanzenwachstum sehr wichtig ist.

In Arbeit sind auch Unkraut-Sensoren. "Unerwünschte Pflanzen zu identifizieren und gezielt zu besprühen, ist technisch noch viel komplizierter, als variabel dosiert zu düngen", sagt Robin Gebbers. Immerhin hat das ATB bereits ein kameragesteuertes System entwickelt, das im Vergleich zu herkömmlichen Methoden 20 Prozent weniger Herbizide spritzt. Bis es marktreif ist, wird aber noch einige Zeit vergehen. Das gilt auch für Flugdrohnen, die in Zukunft mit Hilfe verschiedenster Sensoren Bilder von Agrarflächen für umfassende Messungen liefern sollen.


Kompetenzzentrum für Landwirte

Viel Tüftelei und relativ wenig praktische Verbreitung - das ist ein typisches Merkmal für viele Ansätze im Precision Farming. "Nach einem anfänglichen Hype gab es eine Phase der Ernüchterung", sagt Gebbers. Der Anteil der Hightech-Sparte macht noch deutlich weniger als ein Prozent der etwa 7,5 Milliarden Euro aus, die hierzulande jährlich mit Landmaschinen umgesetzt werden. Ursache sind hohe Investitionskosten sowie teilweise nicht ausgereifte Produkte. Geplant ist deshalb, für interessierte Betriebe in Brandenburg ein Kompetenz- und Koordinationszentrum Precision Farming einzurichten, um die neuen Techniken stärker in der Praxis zu verbreiten.

Zukunftsszenarien mit Feldrobotern und voll automatischen Agrarfabriken sind angesichts vieler noch ungelöster praktischer Probleme vorerst weder zu erwarten noch zu befürchten. "Nach und nach wird sich Precision Farming aber durchsetzen", urteilt Robin Gebbers. Der Wandel werde das Berufsbild des Landwirts verändern und noch mehr technisch interessierte, dynamische und gut qualifizierte Menschen in die Betriebe bringen. Die Forscher erwarten auch, dass die Hightech-Landwirtschaft für mehr Qualität und Nachhaltigkeit sorgen wird. "Die Verbraucher werden vom Acker bis zum Einzelhandel immer besser verfolgen können, wo die Lebensmittel herkommen", sagt ZALF-Wissenschaftler Werner. Automatisierte elektronische Systeme aus dem Precision Farming schaffen die Basis für lückenlose Dokumentationsketten. "Und neue Techniken können der Natur dienen, etwa beim Gewässerschutz und der Biodiversität", fügt Werner hinzu.

So hat das ZALF eine Methode entwickelt, mit der sich Feldvögel schützen lassen. Die intensive Feldbewirtschaftung droht den Vögeln zunehmend zum Verhängnis zu werden, weil sie die früher viel häufigeren Freiflächen auf dem Acker beseitigt, die den Vögeln als Rückzugsgebiet dienten. Mittlerweile wird auf ertragsschwachen, sandigen oder anderen vordefinierten Bereichen des Ackers dank Hightech gezielt nicht gesät und gedüngt. So entstehen mit Hilfe von Precision Farming geplante Freiflächen, die beispielsweise den Vögeln Nahrung und Schutz bieten. Werner: "Ziel vieler Agrarwissenschaftler weltweit ist es, die globalen Ertragsleistungen in den nächsten dreißig Jahren um bis zu 70 Prozent zu steigern und gleichzeitig die Umweltleistungen nicht zu verschlechtern, möglichst eher zu verbessern. Precision Farming ist dabei eine der notwendigen Technologien."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Der VERISBodensensor misst nicht nur pHWert, sondern auch elektrische Leitfähigkeit des Bodens. Außerdem ist ein Spektrometer integriert. Das Gerät gehört der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), mit der das ATB kooperiert.

Die Blütenbürste agiert computergesteuert und dünnt Apfelblüten so aus, dass die Bäume später größere Früchte tragen.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2010, S. 8-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2011