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TIERE/118: Milch von glücklichen Kühen? Die unübersichtliche Molkereiproduktion in Europa (Der Rabe Ralf)


DER RABE RALF
Nr. 179 - April / Mai 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Milch von glücklichen Kühen?
Die unübersichtliche Molkereiproduktion in Europa

von Volker Voss



Ein Milchglas in der Gesicht Hand, dazu ein strahlendes Gesicht mit dezent milchbeschmiertem Mund lächelt von der Plakatwand - suggerierend, dass das eiweißhaltige Getränk im Glas nur von glücklichen Kühen von der grünen Wiese stammen kann. Milch macht nicht nur Kinderherzen werbewirksam schwach, sondern erzeugt ebenso glücklich strahlende Spitzensportler, die nach einem Glas Milch wohl gleich sportliche Höchstleistungen vollbringen werden. Dem Molkereiprodukt wird schließlich nachgesagt, nicht nur gesund zu halten, sondern - entsprechend einem Werbespott - sogar müde Männer wieder munter zu machen.

Wie gesund die Milch tatsächlich ist, darüber wird gestritten. Sie gilt als Lebensmittel mit einem hohen Anteil an Kalzium, Eiweiß, verschiedenen Vitaminen und Ballaststoffen. Was von diesen Nährstoffen nach der gesetzlich vorgeschriebenen Wärmebehandlung tatsächlich noch vorhanden ist, bleibt umstritten. Einige Lebensmittelexperten gehen davon aus, dass aufgrund der nur wenige Sekunden andauernden Erhitzung der Vitaminverlust äußerst gering sei. Die ursprüngliche Rohmilch sei noch mit krankheitserregenden Keimen versehen, die durch das Erhitzen abgetötet würden. Doch gerade diese unbehandelte Rohmilch sei es, die wiederum das Immunsystem stärke.

Wie gesundheitsfördernd Milch ist, hängt davon ab, ob die Milchkühe artgerecht gehalten werden, also ob ausreichender Liege- und Bewegungsraum sowie natürliches Licht und frische Luft vorhanden sind und von welcher Qualität das verabreichte Futter ist. Es gibt etliche Fälle, in denen artgerechte Tierhaltung von Molkereien nur vorgegaukelt wird, fanden Lebensmittel- und Tierschützer heraus. Stattdessen werden die Tiere meist ganzjährig nicht artgerecht auf sehr engem Raum gehalten. "Bei Lebensmitteln können Hersteller das Blaue vom Himmel versprechen, ohne es beweisen zu müssen", moniert foodwatch. Außerdem würden auf Höchstleistung getrimmte Kühe geringere Qualität erzeugen, meint Ernährungsphysiologe Professor Gerhard Jahreis von der Universität Jena.

Niedrige Löhne

Schuld daran sei nicht einfach dem Milchbauer zuzuweisen, wird in einer ZDF-Sendung im Sommer 2013 mit dem Titel "Mogelpackung Almidylle?" argumentiert. Sein Alltag sei vom stetigen Ringen mit dem Preisdruck geprägt. Die soziale Situaion der Milchbauern ist ohnehin alles andere als rosig. Denn trotz gestiegener Milcherzeugerpreise im 2. Halbjahr

2013 gab es keine Erhöhung der ohnehin niedrigen Einkünfte. Die Bildung von Rücklagen für Zukunftsinvestitionen sowie eine ausreichende Altersversorgung blieben ebenfalls aus. Selbst die Produktionskosten konnten nicht voll gedeckt werden, geht aus einem Gutachten des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) hervor.

Die Welttierschutzgesellschaft setzt sich nun mit einer Kampagne für die Milchkühe ein. Sie fordert mehr Tierschutz in der Milchwirtschaft. Die Milchkühe hatten ursprünglich eine Lebenserwartung von 20 Jahren. Heute erreichten sie nicht einmal das fünfte Lebensjahr. "Für die meisten gehören Krankheiten, Stress und ein Leben im Stall zum Alltag. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten lege Deutschland nur wenig Wert auf den Tierschutz in der Milchindustrie. Statt tiergerechter Milchkuhhaltung habe die Kostenreduktion in der Milchherstellung Vorrang", ergaben Recherchen der Welttierschutzgesellschaft. Angeprangert wird ebenfalls die oft nicht zutreffende Werbung auf den Milchpackungen, die zufrieden auf einer Weide grasende Kühe zeigt. Denn fast 60 Prozent der Milchkühe auf deutschen Höfen hätten keinen Zugang zu Weiden. Hinzu kommt, dass den Milchkühen rücksichtslos Höchstleistungen abverlangt würden. Gab eine Kuh 1970 noch durchschnittlich 3.500 Liter Milch pro Jahr, sind es heutzutage bereits rund 7.000 Liter Milch. Das ist eine enorme Belastung für die Tiere. So stamme die Milch, die wir trinken, oft von ausgelaugten Kühen, fanden die Tierschützer heraus.

Artgerechte Tierhaltung

Dem gegenüber steht die immer wieder gepriesene Bio-Milch, deren Anteil an der gesamten Milchproduktion in Deutschland gerademal 2.2 Prozent beträgt, wobei Bio-Milch aus anderen Ländern hinzugekauft werden muss, weil das Angebot in Deutschland nicht die Nachfrage deckt. Für die Bio-Milch spricht, dass die Bio-Bauern im Gegensatz zu den herkömmlichen Milcherzeugern regelmäßig strengen Kontrollen unterliegen, für die sie zudem hohe Gebühren zahlen müssen. Die Tiere kommen regelmäßig auf die Weide und erhalten ökologisch erzeugtes, genfreies Futter. Es werden keine Wachstumshormone verwendet. Außerdem enthalte Bio-Milch mehr Omega-3-Fettsäuren. Bio-Milch sei keine Massenware. Auch die Tiere hätten eine höhere Lebenserwartung. Auf dem Milchmarkt findet seit Jahren eine zunehmende Konzentration auf immer weniger Milchviehbetriebe bei steigender Produktion statt. Wurden auf im Jahr 2000 in Deutschland noch 138.500 Molkereien gezählt, waren es 2013 nur noch 78.000, vermeldet der BDM, obwohl die Milchanlieferung bei einem Gesamtumfang von 30 Millionen Tonnen 2013 um über zehn Prozent gesteigert wurde. Dabei werden die erhöhten Milchmengen "mit geringer Wertschöpfungstiefe" exportiert, heißt es im BDM-Bericht. In Deutschland selbst stagniert die Nachfrage. Um die ausufernde Produktion unter Kontrolle zu bringen, fordert der BDM "zusätzliche Marktinstrumente, um das Angebot von Milch zeitlich befristet zu reduzieren."

Favorisiert wird vom BDM zudem eine stärkere regionale Vermarktung deutscher Milchprodukte und eine klare Herkunftsbezeichnung, "um der Verbrauchertäuschung ein Ende zu setzen". Der deutsche Markt ist gesättigt. Die gestiegene Milchproduktion findet auf dem stagnierenden deutschen Milchmarkt keinen Absatz. Es ist die zunehmende Nachfrage aus Drittländern, die hilft, das Überangebot auf dem deutschen Milchmarkt abzubauen. Der BDM warnt jedoch vor den Folgen einer weltweiten Exportzunahme, wie sie zurzeit zu verzeichnen ist. "Dies könnte negative Auswirkungen auf die Ökobilanz haben: zum Beispiel durch weltweite Transporte, steigenden Importfuttermittelbedarf, Probleme für die Bauern wegen fehlender Flächen für die Versorgung der Bevölkerung in Ländern, in denen diese Futtermittel angebaut werden." Eine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung der Milchviehbetriebe sei nur mit Preisen möglich, die sämtliche Kosten abdecken und Gewinne zuließen. Das ist mit Dumpingpreise wohl kaum erreichbar.

Wie unübersichtlich sich der europäische Milchmarkt gestaltet, zeigt sich auch daran, dass trotz Überproduktion in Deutschland kräftig importiert wird. "In Europa ist viel Milch unterwegs", wurde in der bereits erwähnten ZDF-Sendung dargelegt. Die Milchmengen kommen demnach aus Tschechien, Österreich, Belgien und Polen. So hätten wir keine Chance herauszufinden, wann wir tatsächlich einheimische oder Milch aus anderen Ländern trinken. Darum sollten Lebensmittelproduzenten zur vollständigen Transparenz verpflichtet werden.

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 179 - April/Mai 2014, Seite 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2014