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VERBAND/125: BUND-Agrarsprecher zur EU-Agrarpolitik - Vorsichtiger Optimismus (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

TITELTHEMA

Europäische Agrarpolitik
Vorsichtiger Optimismus


Lutz Ribbe ist stellvertretender Agrarsprecher des BUND. Im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hat er die Stellungnahme zur Agrarreform formuliert. Was lässt ihn hoffen, dass sich die EU diesmal zu einer echten Reform ihrer längst nicht mehr zeitgemäßen Agrarfinanzen durchringt?

Herr Ribbe, warum sollte die Neuordnung der Agrarfinanzen nicht nur den Bauernverband interessieren?

Weil wir ja sehen, dass sich Agrarpolitik vielfältig auswirkt nicht nur auf die Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, sondern auf die Qualität unserer Nahrungsmittel, auf den Tierschutz, auf den Zustand unserer Umwelt, auf die biologische Vielfalt usw. Alle Politikbereiche der EU sind heute zu mehr Nachhaltigkeit angehalten. Da der Agrarsektor allein 40% der EU-Ausgaben bindet, ist er in besonderem Maße gefordert. Das hat auch die EU-Kommission erkannt.

Unterstützt Agrarministerin Ilse Aigner die EU dabei, dieser gesamtgesellschaftlichen Dimension durch eine Agrarreform gerechter zu werden?

Nein, absolut nicht. Zum Auftakt der europäischen Debatte über diese Frage ist die Bundesregierung erst einmal unter den Tisch gekrochen, sie verweigert den Dialog und signalisiert: Wir wollen keine Veränderung. Dabei denkt sie v. a. finanzpolitisch: Sollten andere Mitgliedsstaaten künftig stärker partizipieren, käme bei deutschen Bauern weniger an. Bislang aber werden in Griechenland 700 Euro pro Hektar gezahlt, in Deutschland über 300 und in Lettland und Rumänien nur 80. Die Bundesregierung versucht also ein nicht mehr vermittelbares, ungerechtes und ökologisch abträgliches System zu konservieren. Dabei weiß sie genau, dass sie diese Position in der EU nicht wird halten können.

Täuscht der Eindruck, dass die Politik einmal mehr weit von dem entfernt ist, was in der Sache geboten wäre?

Ja, das lässt sich gut mit der Atomenergie oder auch mit Stuttgart 21 vergleichen. Hier wird jeweils eine Politik der Vergangenheit betrieben, die darauf ausgerichtet ist, Großstrukturen zu fördern und Klientelinteressen zu bedienen. Von den 6 Milliarden Euro Agrarzahlungen für Deutschland profitieren nur wenige sehr stark: 1,6% der Bauern kassieren 30% dieser Mittel.

Was kritisieren Sie am gegenwärtigen System?

Schon 1992 sagte der damalige Agrarkommissar MacSharry treffend: Es kann doch nicht angehen, dass wir Milliarden ausgeben und als Resultat bäuerliche Arbeitsplätze vernichten und die Umwelt zerstören. Doch dabei ist es bis heute geblieben. Die Landwirtschaft erleidet einen brutalen Strukturwandel in Richtung Industrialisierung. Und die Tatsache, dass unsere biologische Vielfalt weiter schwindet, liegt auch und zentral an der Landwirtschaft. Bis heute verfestigt die europäische Agrarpolitik diese zentralen, nicht nachhaltigen Strukturen. Genau da wollen wir ansetzen. Ganz wichtig ist, dass wir nicht gleich darüber reden, wer wie viel Geld bekommt, sondern uns erst einmal fragen: Was will die Agrarpolitik eigentlich erreichen?

Sie vertreten den BUND in Brüssel. Wird unsere Stimme dort gehört?

Ja, hier können wir wohl von einer Erfolgsgeschichte sprechen: Gemeinsam mit Hubert Weiger und unserem Agrarsprecher Jochen Dettmer haben wir zuletzt viele vertrauliche Gespräche geführt, in der Generaldirektion Landwirtschaft wie im Kabinett des Agrarkommissars Ciolos. Ich sehe dem, was die Kommission im November zur Agrarreform mitteilen wird, relativ optimistisch entgegen. Da werden sich viele Aspekte wiederfinden, die der BUND eingebracht hat. Anschließend müssen wir diese positiven Ansätze verteidigen - auch gegen Deutschland, das mit seinem politischen Gewicht und seiner Finanzmacht gegensteuern wird.

Erstmals kann das Europaparlament die Reform mitbeschließen. Wird der EU nach vielen Anläufen endlich eine echte Reform ihrer Agrarfinanzen glücken?

Das Parlament ist diesmal eine entscheidende Größe. Bisher haben sich 27 Agrarminister in einem Raum eingeschlossen und faule Kompromisse ausgeschachert. Das Parlament hat vielfach gezeigt, dass es nationale Egoismen nicht mitträgt. Für die BUND-Strategie ist es ganz wichtig, jeden einzelnen der 99 deutschen Europaabgeordneten anzusprechen und ihm zu sagen: Agrarpolitik betrifft uns alle - und du hast eine Stimme!

Was können wir alle für eine bessere Agrarpolitik tun?

Viele unserer Gruppen könnten noch klarer erkennen, dass die europäische Agrarpolitik direkten Einfluss auf die Landschaft in ihrer Region hat. Dafür müssen wir vor Ort noch stärker werben, uns mehr einmischen, die EU-Abgeordneten ansprechen. Der zweite Ansatzpunkt ist: So wie jeder seinen Ausstieg aus der Atomenergie vollziehen kann, indem er Ökostrom bezieht, können wir alle aus der Agrarindustrie aussteigen, indem wir Qualitätsprodukte aus der Region stärker nachfragen, vom Bio- oder Neulandhof. Agrarpolitik bedeutet mehr, als nur in Brüssel Geld zu verteilen. Agrarpolitik ist auch unsere tagtägliche Kaufentscheidung.

Severin Zillich


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Quelle:
BUNDmagazin 4/2010. S. 16
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011