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FORSCHUNG/428: Frischluft im Sand - Was Bakterien in der Nordsee antreibt (idw)


Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie - 02.05.2017

Frischluft im Sand: Was Bakterien in der Nordsee antreibt

Zwei neue Studien liefern spannende Details über das Leben der Bakterien im Boden der Nordsee.


Fast fünf Millionen Deutsche machen alljährlich Urlaub an der Nordsee. Sie erholen sich am Strand oder genießen das Naturschauspiel des Wattenmeers. Doch die Nordsee ist mehr als nur eines der beliebtesten deutschen Reiseziele. Sie ist auch ein faszinierendes Ökosystem, das für unser Leben höchst bedeutsam ist und immer noch voller Überraschungen steckt.


Foto: © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

LanceALot auf dem Weg zu einem seiner Einsätze. Das Gerät erlaubt die gleichzeitige Messung der Strömungsgeschwindigkeit, des Sauerstoffs im Boden und der Bodenform.
Foto: © Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Soeren Ahmerkamp und David Probandt vom Bremer Max-Planck-Institut verbringen deshalb viel Zeit an der Nordsee. Die beiden Forscher beschäftigen sich mit dem Lebensraum Sand - oder, wissenschaftlich gesprochen, mit permeablen Küstensedimenten. Nun beschreiben sie in zwei neuen Veröffentlichungen, wie Sauerstoff den Sand durchdringt und was das für die dort lebende Bakteriengemeinschaft bedeutet.


Abb.: © D. Probandt/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

Karte der Stationen, an denen Soeren Ahmerkamp und David Probandt ihre Messungen durchführten.
Abb.: © D. Probandt/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

"Sande bedecken große Teile des Meeresbodens entlang der Kontinentalränder", erklärt Soeren Ahmerkamp aus der Abteilung Biogeochemie am MPI Bremen. "Sie sind viel durchlässiger für das Meerwasser als der meist schlammige Boden der Tiefsee." Wenn Meerwasser durch den Sand strömt, gelangt auch Sauerstoff in den Boden und regt die dortigen Mikroorganismen an. Je mehr Sauerstoff in den Boden gelangt, desto aktiver sind die Mikroorganismen und können beispielsweise große Mengen Kohlenstoff oder Stickstoff umsetzen. "Das ist besonders wichtig angesichts dessen, dass durch die Flüsse große Mengen an Stickstoff und anderen Nährstoffen in die Nordsee gelangen", so David Probandt aus der Abteilung Molekulare Ökologie.

"Bisher wurde die Wechselwirkung von Sanden und dem Meerwasser meist nur im Labor untersucht", fährt Ahmerkamp fort. "Wir haben sie uns vor Ort angesehen, unter realen Bedingungen, um mehr über ihre tatsächliche Bedeutung aussagen zu können."

Gemeinsam mit Kollegen vom MPI Bremen entwickelte Ahmerkamp ein Gerät namens LanceALot, das gleichzeitig die Strömungsgeschwindigkeit, die Form des Bodens und den Sauerstoff im Sand messen kann. An 16 verschiedenen Stellen in der Nordsee wurde LanceALot eingesetzt, um den Zusammenhang zwischen diesen Faktoren zu untersuchen.

Eine bedeutende Rolle spielen demnach Rippel - die typischen, an ein Wellblech erinnernden Sandwellen am Meeresboden. "Durch die ständigen Veränderungen der Rippel und die wechselnden Gezeitenströme ist der Sand ein sehr dynamischer Lebensraum, der sich ständig verändert. Sauerstoff ist mal mehr oder weniger vorhanden, mal dringt er mehrere Zentimeter tief in den Sand ein und mal bleibt er an der Oberfläche - daran müssen sich die Mikroorganismen im Sand anpassen", sagt Ahmerkamp.

Den bakteriellen Bewohnern des Sandes wird also viel abverlangt. "Auf jedem Sandkorn sitzen zehntausende bis hunderttausende Bakterien. Die können natürlich einiges bewirken", meint auch David Probandt. Da diese Bakterien beispielsweise Kohlenstoff und auch Stickstoff aus dem Meerwasser verarbeiten, wirken die Sande wie riesige, reinigende Filter. Vieles von dem, was das Meerwasser in den Boden spült, kommt nicht wieder heraus.

Bislang ist nur wenig über die bakteriellen Bodenbewohner entlang der Küsten bekannt. Probandt und seine Kollegen haben sie nun an verschiedenen Stellen der Nordsee mit modernen molekularen Methoden und Fluoreszenzmikroskopie erforscht. "Schon in den obersten fünf Millimetern des Meeresbodens finden wir ganz andere und vielfältigere Bakterien als im Meerwasser selbst", so Probandt. "Wer wo wohnt, hängt vor allem von der Zusammensetzung des Meeresbodens ab. Je durchlässiger der Boden für einströmendes Meerwasser ist, desto mehr aerobe Bakterien treten auf." Die Arbeit zeigte ebenfalls, dass eine Bakteriengruppe, die sogenannten Planctomyceten, besonders häufig in Küstensedimenten vorkommen. Planctomyceten unterscheiden sich von anderen Bakterien durch ihren komplexen Lebenszyklus und stellen viele verschiedene Naturstoffe her. Sie könnten daher auch besonders gut an die besonderen Bedingungen in Oberflächensedimenten angepasst sein. "Ob dies der Fall ist, werden wir in zukünftigen Arbeiten betrachten" betont Probandt.

Der Meeresboden entlang der Küsten ist besonders stark von menschlichem Einfluss - von der wirtschaftlichen Nutzung über Nährstoffeintrag durch die Flüsse bis hin zum Klimawandel - betroffen. Die neuen Studien zeigen, wie komplex dieser Lebensraum ist und welche bedeutende Rolle seine Bewohner für unser Leben spielen. "Durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen konnten wir viele neue Erkenntnisse über dieses dynamische Ökosystem erlangen", betont Probandt.

"Es gibt noch sehr viel zu erforschen in der Nordsee und den anderen Küstenmeeren", schließt Ahmerkamp. "Die Vorgänge und mögliche Veränderungen in diesem Ökosystem betreffen uns alle."



Originalveröffentlichungen

S. Ahmerkamp, C. Winter, K. Krämer, D. de Beer, F. Janssen, J. Friedrichs, M. Kuypers und M. Holtappels (2017): Regulation of benthic oxygen fluxes in permeable sediments of the coastal ocean. Limnology and Oceanography. DOI: 10.1002/lno.10544
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/lno.10544/full
Die Publikation ist im Rahmen des MPI-marum Cross-Cutting-Project 5 (CCP5) "Organic-matter remineralization and nutrient turnover in permeable sandy sediments" unter der Leitung von Moritz Holtappels entstanden.

D. Probandt,. K. Knittel, H. E. Tegetmeyer, S. Ahmerkamp, M. Holtappels und R. Amann (2017): Permeability shapes bacterial communities in sublittoral surface sediments. Environmental Microbiology 19(4): 1584-1599. DOI: 10.1111/1462-2920.13676
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1462-2920.13676/epdf


Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news673834

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution536

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie,
Dr. Fanni Aspetsberger, 02.05.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2017

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