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INITIATIVE/334: 100 Äcker für die Vielfalt - Ein Schutzgebietsnetz für Ackerwildkräuter (Vogelschutz)


Vogelschutz - 2/2011
Magazin für Arten- und Biotopschutz

100 Äcker für die Vielfalt

Ackerwildkräuterschutz

Von Bernd Raab und Alexander Ulmer

Inbegriff des Sommers: Klatschmohn, der im Sonnenschein glüht - © A. Hartl

Inbegriff des Sommers - der Klatschmohn
© A. Hartl

Beim Wettbewerb des Bundesfachausschusses des NABU "Sag mir, wo die Blumen sind" aus dem Jahr 2008 gewann der Acker-Rittersporn die Wahl der Arten, die für den Artenrückgang stehen. Kornblume und Klatschmohn gehören nicht nur zu den in der Bevölkerung bekanntesten, sondern auch zu den beliebtesten Pflanzen. Kaum eine andere Pflanzengruppe vermittelt mehr Sommergefühle als die bunten Ackerwildkräuter. Da verwundert es, dass der Acker als Lebensraum selbst in Naturschutzkreisen oft wenig gilt. Dabei ist eine Kulturlandschaft in Mitteleuropa in tieferen Lagen ohne Äcker kaum vorstellbar.

Ackerbau hat neben der Entwicklung der Viehzucht die sog. neolithische Revolution in der Jungsteinzeit verursacht und mit ihm erreichten die bunten Wildkräuter Mitteleuropa. Sie zeichnen eine bunte Spur der kulturellen Entwicklung, die aus den kontinentalen Steppen Kleinasiens und aus dem Mittelmeerraum hier zu uns vorgedrungen ist. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte eine starke, auch energetisch sehr aufwendige Intensivierung der Landwirtschaft ein. Durch effektive Saatgutreinigung, Anwendung von Herbiziden, Kunstdüngern und großflächigem Anbau einzelner Kulturen, z. B. Mais, sind viele dieser Kräuter heute aus unseren Äckern verschwunden. Vor allem die Aufgabe von unrentablen Grenzertragsstandorten auf Sand- und Kalkböden verschärft die Situation.

links: Sommer-Adonisröschen bevorzugen kalkhaltige Standorte (Blüte in Großaufnahme) - © Wolfgang Lorenz rechts: das eher unscheinbare Grannenruchgras (blühende Grasrispen) - © Bernd Raab

links: Sommer-Adonisröschen bevorzugen kalkhaltige Standorte
© Wolfgang Lorenz
rechts: das eher unscheinbare Grannenruchgras
© Bernd Raab

Das Projekt "100 Äcker für die Vielfalt"
versucht diesem Prozess entgegenzusteuern. Mit der Errichtung eines bundesweiten Schutzgebietsnetzes für Ackerwildkräuter soll dem voranschreitenden Artenschwund Einhalt geboten werden. Nach Recherchen des Projektes sind die bisher erfolgreichen Aktivitäten zum Schutz der Segetalflora (Ackerwildkrautflora), wie die Anlage von Erhaltungskulturen, Feldflorareservaten und Ackerrandstreifenprogrammen, wegen veränderter Förderbedingungen, hohem bürokratischen Aufwand etc. in den meisten Bundesländern leider gestrichen worden. Das Projekt "100 Äcker für die Vielfalt" unter der Leitung von Dr. Thomas van Elsen wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert und von den Universitäten Kassel und Göttingen sowie dem Deutschen Landschaftspflegeverband seit 2007 durchgeführt. Dabei sollen mindestens 100 geeignete Ackerstandorte für eine "dauerhafte Sicherung" selten gewordener Ackerwildkräuter unter Schutz gestellt und ihre spezielle, auf den Erhalt und Förderung der entsprechenden Arten ausgerichtete Bewirtschaftung langfristig sichergestellt werden.

Erste Schutzäcker wurden 2009 vorgestellt. Schützen bedeutet hier wie bei keinem anderen Lebensraum auch nutzen. Auch der LBV hat seine Ackerflächen, z.B. das Ackerwildkrautreservat auf dem Morgenbühl bei Bad Staffelstein, in das Projekt eingebracht.

Bernd Raab erläutert bei einer Fachtagung im LBV-Projektgebiet 'Lange Berge' die Ziele des '100 Äcker'-Projektes (eine Gruppe auf einer Wiese mit hochstehenden Blüten, der Autor in der Mitte) - © S. Hartlaub

Bernd Raab erläutert bei einer Fachtagung im LBV-Projektgebiet "Lange Berge" die Ziele des "100 Äcker"-Projektes
© S. Hartlaub

LBV-Flächen mit vorbildlichem Modellcharakter
Flankierend werden alljährlich Tagungen zum Thema in den unterschiedlichsten Regionen der Bundesrepublik durchgeführt. Im Juni 2010 trafen sich hierzu 30 Experten von Universitäten, z.B. Uni Kassel, Greifswald oder Erlangen, aus Stiftungen und Verbänden aus dem ganzen Bundesgebiet in Bad Rodach, Landkreis Coburg, um ihr Wissen und neueste Erfahrungen beim Erhalt einer artenreichen Ackerwildkrautflora auszutauschen. Auch über die Stützeffekte für Wildkräuter durch die Einrichtung von Lerchenfenstern wurde diskutiert. Als Vorhaben mit Modellcharakter wurde das LBV-Projekt "Lange Berge/Bruchschollenkuppen" vorgestellt, wo in direkter Nähe zur thüringischen Landesgrenze auf LBV-Flächen extensiver Ackerbau betrieben wird. Hier wurden in vorbildlicher Kooperation von Naturschutz und Bio-Landwirten nicht nur seltenste Ackerwildkräuter erhalten, sondern auch alte Kultursorten wie Emmer, Einkorn, Dinkel oder auch die schwarze Linse wieder eingeführt. Inzwischen werden auf über 15 ha Getreide und auf 10 ha Linsen angebaut. Ahlstadt im Landkreis Coburg ist die "Linsenhauptstadt Bayerns" geworden.

Ehemalige "Massenunkräuter" wie Kornrade oder Sommer-Adonisröschen sind sehr selten geworden oder vom Aussterben bedroht. Der Acker-Schwarzkümmel oder der Acker-Meier sind bereits ausgestorben. Leider ist die Situation auf sauren Sandäckern auch nicht besser. Lämmersalat oder Bauernsenf stehen vor dem Aussterben. Letzte erhaltene Flächen werden zu Pilgerstätten für Botaniker. In Deutschland gelten heute rund 21% der Getreide begleitenden Pflanzenarten als hochgefährdet, 5% sogar als ausgestorben.

Auf den Langen Bergen im Raum Ottowind liegt der oberfränkische Schwerpunkt des ehrgeizigen LBV-Programms, unterstützt von der Regierung von Oberfranken, die biologische Vielfalt der Äcker zu fördern. Für über 250 Hektar sind hier inzwischen Verträge im Rahmen von Naturschutzprogrammen abgeschlossen worden. Als positives Signal für den Erfolg des Vorhabens ist das erstmalige Auftreten einer extrem seltenen Pflanzenart der Äcker, des Krähenfußes, zu werten. Nicht nur die beim Anbau angewandte Dreifelderwirtschaft, sondern auch die Aussaat in weiten Zeilen und der Verzicht auf Herbizide bieten den Ackerwildkräutern hier eine Überlebenschance. So sind auf den Äckern im Projektgebiet noch Ackerhaftdolde oder Ackerkohl zu finden. Eine große Besonderheit ist das Flammen-Adonisröschen. Von diesem schönen Hahnenfußgewächs sind in Bayern keine zehn Standorte mehr bekannt.

Der Acker-Rittersporn wurde zum Sinnbild für den Artenrückgang in der Feldflur (mehrere Blüten in Großaufnahme) - © Petra Altrichter

Der Acker-Rittersporn wurde zum Sinnbild für den Artenrückgang in der Feldflur
© Petra Altrichter

Probleme der Blühmischungen mit fremdländischen Samen
Bei der Tagung wurden auch Kalkscherben-Äcker im Staffelberggebiet besichtigt. Hier liegt noch immer ein Eldorado für Ackerwildkrautfreunde. Die bunte natürliche Fülle der Ackerflora mit Adonisröschen, Kornrade, Rundblättrigem Hasenohr etc. hat aber inzwischen einen bizarren Konkurrenten bekommen: Bunte Blühmischungen mit Arten aus aller Herren Länder und Gärten, wie Bartnelken, algerischer Lein, kalifornischer Mohn usw. werden als "Blühstreifen" - teilweise auf Wuchsorten ursprünglicher Ackerflora - eingesät. Sie erwecken beim unbedarften Wanderer ein völlig falsches Bild heimischer Flora. Abgesehen davon ist eine invasive, schädigende Wirkung in die Äcker der Umgebung ungeklärt. Die Experten fordern daher ein Überdenken dieser Blühstreifenstrategie.

Leider ist dies wieder einmal ein - eigentlich unnötiges - Zeichen, wie der an sich gute Wille der Agrarverwaltung in eine völlig falsche Richtung geht. Warum kann die Verwaltung solche Aktivitäten nicht vorher mit den Naturschutzfachleuten abstimmen und geeignete, standortgerechte, heimische Saatmischungen, ohne Gefährdung unserer Wildkrautflora auswählen?

links: Auch das Blau der Kornblume ist auf dem Rückzug (eine Blüte in Großaufnahme) - © R. Brode rechts: Nur selten sieht man den Frauenspiegel (einige Blüten in üppigem Grün) - © Bernd Raab

links: Auch das Blau der Kornblume ist auf dem Rückzug
© R. Brode
rechts: Nur selten sieht man den Frauenspiegel
© Bernd Raab

Dies wäre dann auch ein kleiner Beitrag zur Unterstützung der fast ausgestorbenen Ackerfauna und der Erhaltung/Wiederbeschaffung der Biodiversität in der Ackerflur. So sähe die "gute fachliche Praxis" im Sinne der Agrargesetze aus! Dies wäre zudem ein kleiner bescheidener Ersatz für die von der EU ersatzlos gestrichene Stilllegung von 10% der Agrarflächen, die als artenreiche Wildkrautbrachen bis 2010 noch die Biodiversität in den landwirtschaftlichen Fluren erhalten hatten.

DER AUTOR
Bernd Raab
Landschaftsökologe
Referat Artenschutz
Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein
Telefon: 09174-4775-39
E-mail: b-raab@lbv.de

DER AUTOR
Alexander Ulmer
Diplom-Geoökologe
LBV Kreisgeschäftsstelle Coburg
im Naturkundemuseum Coburg
Telefon: 09561/8081-23
E-mail: a-ulmer@lbv.de
www.coburg.lbv.de


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Quelle:
Vogelschutz - 2/2011, S. 14-17
Magazin für Arten- und Biotopschutz
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
sowie der Autoren und Fotograf(inn)en
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
LBV-Landesgeschäftsstelle
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein
Tel.: 09174 / 47 75-0, Fax: 09174 / 47 75-75
E-Mail: info@lbv.de
Internet: www.lbv.de

Vogelschutz ist das Mitgliedermagazin des LBV
und erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2011