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POLITIK/359: Etappensieg für die Meere im neuen Naturschutzgesetz (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Etappensieg für die Meere im neuen Naturschutzgesetz
Braucht Deutschland eine eigene Meeresschutzbehörde?

von Kim Cornelius Detloff


In letzter Minute stoppte im Juni 2017 ein Änderungsantrag des Deutschen Bundestags eine geplante Einvernehmensregelung in Paragraph 57 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Er regelt die Umsetzung der Meeresschutzgebiete unter der Zuständigkeit des Bundes in der sogenannten 'Ausschließlichen Wirtschaftszone' (AWZ). Die Ressorts für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Forschung wollten sich hier ein Vetorecht bei der Umsetzung dringender Schutzmaßnahmen sichern. Damit nahm die Kampagne des Naturschutzbund Deutschland e.(NABU), 'SOS fürs Meer', und das engagierte Intervenieren von Verbänden und ParlamentarierInnen doch noch ein erfolgreiches Ende.(1) Der Schutz von Nord- und Ostsee erzielte einen wichtigen Etappensieg. Aber ist jetzt alles gut, oder brauchen wir vielmehr eine grundlegende Diskussion um den institutionellen Meeresschutz in Deutschland?


Die Auseinandersetzung um den auf den ersten Blick unscheinbaren Paragraph 57 zeigte, dass in der deutschen Meerespolitik etwas grundsätzlich im Argen liegt. Immer öfter sieht sich das Bundesumweltministerium (BMUB) in seinen Versuchen, den internationalen Meeresschutz-Verpflichtungen gerecht zu werden, isoliert und es fehlt an einer gemeinsamen Verantwortung der Bundesregierung. Die fachlichen Vorschläge der "obersten NaturschützerInnen" werden in der Ressortbeteiligung zerrieben und viel zu oft setzen sich am Ende die Klientelinteressen der Fischerei, der Seeschifffahrt, der Meeresforschung oder der maritimen Industrie durch. Der Fehler scheint im System zu liegen. Denn das entscheidende Mandat, ob zur Regulierung der Fischerei oder der Genehmigung von Offshore-Windparks, liegt nicht beim BMUB, sondern in den genannten Fällen im Landwirtschafts- oder Verkehrsministerium. Unter dem Einfluss mächtiger Wirtschaftsverbände und im sektoralen und föderalen Gewirr der Zuständigkeiten bleibt oft kein Platz für den effektiven Schutz von Schweinswalen, Seevögeln oder Riffen. Es scheint daher notwendig, institutionelle Veränderungen zu diskutieren. Die Lösung könnte im Aufbau einer zentralen Meeresschutzbehörde liegen, die uns dem vielzitierten Ausgleich zwischen Schutz und nachhaltiger Nutzung der Meere tatsächlich näherbringt.

SOS fürs Meer

Das Ringen der vergangenen Monate um das neue BNatSchG steht symptomatisch für die Schieflage im System des politischen und behördlichen Meeresschutzes. Die Novelle des Naturschutzgesetzes war nach Auffassung des BMUB und von RechtsexpertInnen notwendig, um zukünftig auch die Vorgaben der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) der Europäischen Union (EU) über das Gesetz umsetzen zu können. Die beteiligten Ministerien für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Forschung nutzten die Novelle dann aber, um eine sogenannte "Einvernehmensregelung" festzuschreiben. Künftige Verordnungen und Managementpläne hätten so per Vetorecht blockiert werden können. Es drohte ein gefährlicher Präzedenzfall, der die Ressortzuständigkeit des BMUB innerhalb der Bundesregierung grundsätzlich auf Kosten des Naturschutzes in Frage gestellt hätte.

Erst durch das entschiedene Intervenieren der Umweltverbände, die NABU-Kampagne 'SOS fürs Meer' und einen Brief an die Bundeskanzlerin kam Bewegung in die Debatte. Nach der bundespolitischen Opposition forderten erst der Bundesrat und dann auch der Umweltausschuss des Bundestages, die Neuformulierung in Paragraph 57 zu stoppen. Mit Erfolg: Am 22. Juni 2017 folgte der Änderungsantrag der Großen Koalition, und die Attacke auf die Grundfesten des Meeresnaturschutzes wurde im parlamentarischen Prozess verhindert. Grund und Zeit zum Durchatmen besteht jedoch nicht, denn gleich mehrere langjährige meerespolitische Prozesse sind in ihrer entscheidenden Phase. So werden heute die Weichen dafür gestellt, wie Deutschland sein Netzwerk Natura 2000 und die MSRL umsetzt.

Vom Musterschüler zum Blauen Brief

Lange galt Deutschland als Vorreiter des europäischen Meeresschutzes. Vergleichsweise früh, Anfang 2005, wurden 45 Prozent der deutschen Nord- und Ostsee als Schutzgebiete nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) und Vogelschutz-Richtlinie an die Europäische Kommission (EC) gemeldet. Damit stand das nationale marine Natura-2000-Netzwerk. Doch dann setzte Stillstand ein. Bis heute wird in den Zonen nach geltendem EU-Recht gefischt, werden Rohstoffe abgebaut und Pipelines realisiert. Deutschland versäumte es, die durch die EC anerkannten Gebiete national unter Schutz zu stellen, zum Beispiel Naturschutzgebiete nach BNatSchG aus ihnen zu machen, und die Gebiete mit Managementplänen auszustatten. So kam es, wie es kommen musste und im Jahr 2015 traf der Blaue Brief aus Brüssel ein; kurze Zeit später wurde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Es adressierte die unzureichende Natura-2000-Umsetzung, darunter eben auch für jene Schutzgebiete in Nord- und Ostsee.

Der Druck aus Brüssel führte dazu, dass 2016 durch das BMUB Verordnungsentwürfe für die Schutzgebiete in der AWZ veröffentlicht wurden. Diese entsprachen jedoch nach Auffassung der Umweltverbände weder den naturschutzfachlichen Notwendigkeiten noch den Vorgaben der FFH- und Vogelschutzrichtlinie.(2) Der Prozess ist nicht abgeschlossen, doch seitdem wurden die ohnehin schwachen Entwürfe immer weiter verwässert. Unter dem Einfluss der FreizeitfischerInnen und des Landwirtschaftsministeriums droht ein Verbot der Angelfischerei in Teilen der Schutzgebiete, bedeutsam für den Erhalt von Riffen und ihrer assoziierten Fischgemeinschaften, zu kippen. Das Forschungsministerium wehrt sich gleichzeitig gegen die Anmeldepflicht für wissenschaftliche Aktivitäten und gegen Verträglichkeitsprüfungen für lärmintensive seismische Untersuchungen. Eigentlich würden damit nur die gleichen Regeln gelten wie an Land - und doch scheint diese "Gleichbehandlung" der Meere ein rotes Tuch zu sein. Alles in allem fordert jedes beteiligte Ministerium vom BMUB sektorale Ausnahmen und Zugeständnisse in den Schutzgebietsverordnungen, so dass am Ende wenig zu regulieren bleibt. Denn Beschränkungen der beruflichen Fischerei, Schifffahrt und Energiegewinnung sind ohnehin über das BNatSchG ausgenommen. Sie müssen über die Gemeinsame Fischereipolitik der EU, die Internationale Seeschifffahrtsorganisation oder nationale Instrumente reguliert werden.

Verlust von Arten und Lebensräumen stoppen

Es ist nicht einfach, den zunehmenden Verlust der Biodiversität an unseren Küsten zu stoppen. Zur Erinnerung: Nach aktueller Roter Liste sind 1 Drittel aller Arten und Lebensräume in der Nord- und Ostsee gefährdet. Der Grund dafür liegt nach Darstellung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in der heutigen Fischereipraxis mit Grund- und Stellnetzen, dem ungebremsten Abbau von Rohstoffen und der andauernden Nährstoffüberlastung insbesondere durch die Landwirtschaft.

Aber warum ändern wir nichts? Irgendwie scheint es wie ein trauriges Muster, dass die Bunderegierung auf der internationalen Meeresschutzbühne vorbildlich agiert, von Verbänden für ihren Einsatz zum Schutz der Antarktis oder gegen die Meeresvermüllung gelobt wird, um dann zu Hause ein anderes Gesicht zu zeigen - das Gesicht von Zerstrittenheit und Stillstand. Immer dann, wenn Deutschland Veränderungen im Sinne des Naturschutzes allein auf den Weg bringen könnte, ob bei der Umsetzung der Meeresschutzgebiete oder beim Maßnahmenprogramm der MSRL,(3) dann zeigt sich das Bild des gegenseitigen Blockierens und Verzögerns. Ob es um die Verordnungsentwürfe geht oder um den Paragraph 57, stets überwiegen sektorale Wirtschaftsinteressen, fordern die Ressorts für Wirtschaft, Verkehr oder Landwirtschaft Ausnahmen für die durch sie vertretenen Interessen und sollen Kompetenzen des BMUB beschnitten werden. So setzt Deutschland seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit bei der Umsetzung umweltrechtlicher und völkerrechtlicher Verpflichtungen aufs Spiel. Eine bedrohliche Entwicklung.

Eine deutsche Meeresschutzbehörde

Wir müssen also feststellen, dass der Meeresnaturschutz in den Ressortverhandlungen oft nur "zweiter Sieger" ist - selbst dann, wenn das BMUB verwaltungstechnisch den Hut aufhat. Ganz offensichtlich braucht es eine grundsätzliche Debatte über die zukünftige institutionelle Ausgestaltung der Verwaltung zum Schutz von Nord- und Ostsee.

Der Meeresschutz in der AWZ, aber auch in den Küstengewässern, muss gestärkt werden. Daran geht kein Weg vorbei. Ob es allein ausreicht, die Kapazitäten der Fachbehörden des BMUB, des Umweltbundesamtes und des BfN auszubauen, muss bezweifelt werden. Alternativ - und weitergehend - sollte diskutiert werden, alle nationalen Verantwortlichkeiten zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Meere in einer eigenen, dem BMUB nachgeordneten Behörde zu bündeln. Damit würde die heutige ministerielle "Kleinstaaterei" aufgebrochen und die relevanten Kompetenzen der unterschiedlichen Fachbehörden zusammengeführt werden. So könnten Konflikte frühzeitig identifiziert und möglichst verhindert, die Effizienz gesteigert und der institutionelle Meeresschutz in Deutschland aufgewertet werden. Das ist sicher kein einfacher Weg, erschwerend kommt noch das deutsche System des Föderalismus hinzu. Dass es aber funktionieren kann, das zeigen uns die internationalen Beispiele des 'National Oceans Office' Australiens oder der 'National Oceanic Atmospheric Administration' der USA. Angesichts des beschriebenen Stillstands sollte ein "Weiter so" keine Option mehr sein.

Autor Dr. Kim Cornelius Detloff ist Meeresbiologe und leitet die Abteilung Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland e. V. (NABU).


Anmerkungen

(1) www.sosfuersmeer.de.

(2) NABU/BUND/Greenpeace/WWF (2016): Rechtsgutachten zu den Entwürfen der SchutzgebietsVO in der deutschen AWZ von Nord- und Ostsee.
https://kurzlink.de/awz_recht_2016.

(3) www.meeresschutz.info.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Deutschlands einziger heimischer Wal, der Schweinswal, war ausschlaggebend bei der Ausweisung des marinen Natura-2000-Netzwerks.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 35 - 36
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2017

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