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SCHUTZGEBIET/629: Kaukasus - Ökoregion am Scheideweg (WWF Magazin)


WWF Magazin 1/2010
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Kaukasus: Ökoregion am Scheideweg

Von Aurel Heidelberg, WWF


Bis 5600 Meter hoch ragen die Gipfel zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Aus mehr als 2200 Gletschern stürzen unzählige eiskalte Flüsse in feuchtwarme Wälder der Tieflagen. Bergmischwälder bedecken die Hänge des hohen und kleinen Kaukasusgebirges, üppig feucht dampfen subtropische Wälder an der östlichen Schwarzmeerküste.

Mit mehr als 100 verschiedenen Landschaftstypen ist der Kaukasus eine Ökoregion der Superlative. Entsprechend groß ist die Artenvielfalt. Im Kaukasus leben noch Wölfe, Braunbären, Wisente und Luchse, die in Mitteleuropa seit ihrer Ausrottung erst in letzter Zeit allmählich wieder heimisch werden. Weltweit einzigartig ist der Kaukasus-Leopard - genauso wie die Bezoarziege, der Westkaukasische und der Ostkaukasische Tur sowie das Gmelins Mufflon.

Neben der Kropfgazelle leben sogar Streifenhyäne und Stachelschwein im Grenzgebirge zwischen Europa und Asien - Arten, die man eher in der afrikanischen Savanne vermutet. Auf einer Fläche von der Größe Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zusammen gibt es insgesamt 153 Säugetier-, 389 Vogel-, mehr als 200 Fisch- sowie 77 Reptilienarten wie zum Beispiel die Darevski-Kreuzotter. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet ist auf wenige hundert Quadratkilometer im südkaukasischen Hochland beschränkt.

Abertausende Zugvögel wie Kraniche, Pelikane, Wildenten und Gänse rasten im Herbst und Frühling auf ihrem Weg in die Winter- und Sommerquartiere in den nahrungsreichen Flussauen, Feuchtwiesen und Mooren, um die notwendigen Energiereserven für ihre lange Reise zwischen Eurasien und Afrika aufzufüllen. Saubere Flüsse ohne Dämme oder Staustufen sind auch für die sieben Störarten wichtig, damit sie erfolgreich aus dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer in die Flüsse aufsteigen und dort laichen können.

Von 6500 bislang erfassten höheren Pflanzen im Kaukasus wachsen 1600 Arten ausschließlich dort. Nirgendwo sonst in den gemäßigten Breiten der Erde gibt es eine vergleichbar hohe Zahl. Auch vertraute Büsche und Bäume aus unseren Gärten stammen aus dem Kaukasus - wie zum Beispiel einige Rhododendrenarten.


Verwüstung aus Not

Auch die ethnische Vielfalt ist groß: Mehr als 40 verschiedene Volksstämme und Sprachen finden sich in der Kaukasus-Region, der größte Teil davon im Nordkaukasus. Eine Ursache sind die meist erzwungenen Umsiedlungen ganzer Volksgruppen durch die sowjetische Kolonisation der Gebiete unter Stalin. Blutige Auseinandersetzungen in Bergkarabach, Tschetschenien, Abchasien und Südossetien sind bis heute die Folge.

Ebenso große Armut: In den abgelegenen, ländlichen Regionen haben wirtschaftliche Notzeiten wie die Energiekrise Anfang der 90er Jahre die Waldzerstörung stark beschleunigt. Da Holz bis heute oft die einzig verfügbare Energiequelle ist, sind viele Wälder mittlerweile erheblich verwüstet.

Die zusätzliche Beweidung der gelichteten Wälder führt dann in vielen Regionen zu massiven Umweltproblemen. Diese Wälder verlieren zunehmend ihre Schutzfunktionen, speichern weniger Wasser oder halten an Hängen den Boden nicht mehr richtig fest. Immer mehr Erdrutsche, Lawinen und Überschwemmungen sind die Folge.

Manche Tierbestände sind durch Wilderei und unkontrollierte Jagd stark dezimiert oder regional bereits ausgerottet. So erging es zum Beispiel Streifenhyäne, Kaukasus-Leopard, Bezoarziege und Maralhirsch - einer Unterart unseres Rothirschs. Hirsche, Antilopen und Wildziegen wurden besonders in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Nahrungsmittel gejagt. Leopard, Braunbär oder Luchs wiederum wurden Opfer der Wilderei und ihre Trophäen erzieltenhorrende Preise auf dem internationalen Schwarzmarkt.


Kaukasus: Lösungen

Das tut der WWF

Trotz ständiger kriegerischer Auseinandersetzung - wie zuletzt im Spätsommer 2008 zwischen Georgien und Russland - führt der WWF seit fast 20 Jahren beharrlich Naturschutzprojekte in der Ökoregion Kaukasus durch. 1992 wurde in Tiflis das erste Projektbüro eröffnet, es folgten weitere Büros in Aserbaidschan (Baku) und Armenien (Erewan). Mit den nationalen Projektbüros des WWF Türkei und WWF Russland entstand ein grenzübergreifendes WWF-Netzwerk für den Naturschutz, das von regionalen, nationalen und internationalen Partnern (Umweltministerien, Organisationen, Unternehmen) unterstützt wird. Gemeinsam wurden seit 1995 rund 900.000 Hektar als Schutzgebiete erfolgreich ausgewiesen und vernetzt, viele davon mit direkter Beteiligung und Unterstützung des WWF. Damit erhöht sich die gesamte geschützte Fläche im Kaukasus auf rund 5,5 Millionen Hektar - ein Gebiet von der Größe Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz' zusammen. Außerdem wurde die Wilderei bekämpft und illegaler Holzeinschlag unterbunden.

Zwischen 2000 und 2005 erstellte der WWF mit Expertenbeteiligung einen ökoregionalen Naturschutzplan mit festen Zielen, der nun als Leitfaden in der Region sowohl für die Regierungen als auch für die vielen Nichtregierungsorganisationen dient. Vor allem der mit WWF-Hilfe 2001 errichtete 76.000 Hektar große Borjomi-Kharagauli-Nationalpark in Georgien gilt als Vorbild für ein modern ausgerüstetes und geführtes Naturschutzgebiet.

Heute wird der Borjomi-Kharagauli-Nationalpark ebenso wie andere Schutzgebiete aus einem Schutzgebietsfonds für den Kaukasus mitfinanziert, der mit Hilfe des WWF, Conservation International (CI) und des BMZ eingerichtet wurde. Der Fonds bezahlt die Verwaltungskosten des Nationalparks bis maximal zur Hälfte. Der andere Teil muss von den zuständigen Behörden getragen werden.

Um im gesamten Kaukasus das Netz der insgesamt 250 Schutzgebiete weiter zu verdichten, kümmert sich der WWF um die Ausweisung weiterer Reservate. Der Nationalpark Lake Arpi wurde bereits vom armenischen Parlament beschlossen. Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojektes des BMZ, der KfW und der zuständigen Ministerien erstellt der WWF inzwischen auch dort einen Managementplan. Der Nationalpark Javakheti in Georgien hingegen steckt noch im Planungsprozess. Besonderen Wert legen der WWF und seine Partner dabei auf die Mitsprache und direkte Beteiligung der Bevölkerung. Denn ein wirkungsvoller Schutz des fragilen Bergökosystems kann nur gelingen, wenn sich für die Menschen, die hier unter extrem harschen Umweltbedingungen leben - in den Wintermonaten sind auch tagsüber Temperaturen unter minus 20 Grad Celsius keine Seltenheit -, durch eine Nationalparkausweisung auch die Lebensbedingungen verbessern.

Daher soll auch im Rahmen des Projektes gezielt die ländliche Entwicklung in einer um den Nationalpark liegenden Entwicklungszone gefördert werden, um den Menschen eine langfristige Perspektive zu bieten. Beispielsweise durch Hilfe in der Vermarktung und Qualitätsverbesserung regionaler Produkte wie Käse, Fleisch und Honig, wenn sie auch umweltfreundlich erzeugt sind: etwa durch weniger Tiere pro Hektar oder Beweidung nur auf ausgewiesenen Flächen. Ziel sind vorerst die lokalen Märkte. Damit könnte die Bevölkerung ein nachhaltiges Einkommen erzielen und zugleich die Landschaft geschont werden.


Gesunde Wälder pflanzen

Um bereits verschwundene und stark verkümmerte Wälder im Kaukasus wieder in funktionierende, artenreiche Waldökosysteme zu verwandeln, will der WWF seit Ende 2008 mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und der KfW Entwicklungsbank diese Flächen wieder mit naturnahen Wäldern aufforsten. Das Projekt wird im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative durchgeführt. Durch den neu entstehenden Wald wird klimaschädliches Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Form von Kohlenstoff in der Biomasse der Wälder gespeichert und damit der Treibhauseffekt reduziert.

http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/januar-2010/kaukasus-probleme/
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/januar-2010/kaukasus-loesungen/


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Der Kaukasus-Leopard

Der Kaukasus-Leopard wurde wie viele andere Arten verfolgt und seines Lebensraumes beraubt. Sein Bestand in der gesamten Ökoregion Kaukasus wird heute auf 40 bis 60 Tiere geschätzt. Weil er riesige Gebiete durchstreift und sehr scheu ist, fällt es Wissenschaftlern bislang schwer, Vorkommen und Bestand des Leoparden genauer zu bestimmen.

Genau das ist aber wichtig, um Schutzmaßnahmen effizient umzusetzen. Deshalb sollen von WWF-Experten ausgebrachte automatische Kamerafallen dabei helfen, diese entscheidenden Informationen zu bekommen. Anhand der charakteristischen Fellzeichnung kann man einzelne Tiere unterscheiden und identifizieren.

Gleichzeitig registrieren WWF-Mitarbeiter, Wildhüter und Nationalpark-Ranger auf ihren Kontrollgängen alle Spuren der Leoparden wie Tatzenabdrücke und Reste gerissener Beutetiere. Nach Auswertung all dieser Informationen können die Fachleute schließlich die Größe eienr ganzen Population abschätzen.

Diese Feldarbeit unserer Kollegen ist nicht immer ungefährlich. Vor allem entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze gibt es noch verminte militärische Sperrgebiete.

Auf Grundlage eienr 2007 unter internationaler Expertenbeteiligung entwickelten ökoregionalen Leopardenschutzstrategie führt der WWF zudem im ganzen Kaukasus mit Ausnahme des Irans umfangreiche Maßnahmen für den Leopardenschutz durch. Sie reichen von umfassender Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung der Bevölkerung über Bekämpfung der Wilderei bis zur Ausweitung und Vernetzung von Schutzgebieten. Denn nur in ungestörten Ökosystemen wird die Großkatze im Kaukasus dauerhaft überleben können.  HEI


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Quelle:
WWF Magazin 1/2010, Seite 8-15
Herausgeber:
WWF Deutschland
Rebstöcker Str. 55, 60326 Frankfurt am Main
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E-Mail: info@wwf.de
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2010