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SCHUTZGEBIET/852: Kehdinger Marsch - Im Reich von Kiebitz und Wachtelkönig (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2017
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Natura 2000
Kehdinger Marsch
Im Reich von Kiebitz und Wachtelkönig

von Severin Zillich


Obwohl die Ufer der Unterelbe einen Großteil ihrer einstigen Vielfalt eingebüßt haben, sind sie ein wertvoller Lebensraum geblieben - besonders für etliche bundesweit bedrohte Vögel. Über den künftigen Status der europäischen Schutzgebiete in der Elbmarsch ist nun ein Streit entbrannt.


Für Wildgänse der Tundra mag das ja ein passender Ort sein. Doch auf die kleine BUND-Delegation, die an diesem Oktobertag vom Deich aus über weite Wiesen und Äcker blickt, wirkt die Kehdinger Marsch entschieden ungemütlich. Der Wind zerrt an Jacken und Ferngläsern, und als Regen einsetzt, findet der Ortstermin ein rasches Ende. Nur die Rastvögel geben sich ungerührt. In großer Zahl beweiden Nonnengänse das Grasland, Schwärme von Kiebitzen und Staren fliegen umher, in den Wassergräben drängen sich Hunderte Stockenten.

Wertvolle Vogelwelt
Über 20 Kilometer begleitet die Kehdinger Marsch die Elbe kurz vor ihrer Mündung in die Nordsee. Ein neuer Hauptdeich, in den 70er Jahren vor dem alten Winter- und Sommerdeich errichtet, entzog dem Fluss damals drei Viertel seines natürlichen Schwemmlands. Die Bauern nahmen das Geschenk dankend an. Sie entwässerten die fruchtbaren Marschböden und nutzten sie fortan intensiv: erst als Viehweide, später immer häufiger als Ackerland für Mais und Raps.

Nur 30 Prozent der Kehdinger Marsch sind heute noch Grünland - Flächen, die ganz überwiegend dem Landkreis, dem Land oder der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gehören. Diese Wiesen sind besonders wertvoll. Hier brüten noch Kiebitz und Kampfläufer, Uferschnepfe und Wachtelkönig, Blaukehlchen und Wiesenweihe. Im Herbst und Winter rasten Vögel wie Nonnen-, Bläß- und Saatgans, Sing- und Zwergschwan oder Goldregenpfeifer. Die Marsch zählt damit zu den wichtigsten Brut- und Rastgebieten für Wat-, Wasser- und Wiesenvögel in Deutschland.

Gemischte Bilanz
Als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung ist die verbliebene Uferzone vor dem neuen Deich seit 1976 geschützt. Zu wenig, fand der BUND. Der fordert seit Jahrzehnten eine Rücknahme des Deiches, um der Elbe wieder mehr Raum zu geben. Massiver Druck aus Brüssel zwang Niedersachsen schließlich 2001 dazu, ein europäisches FFH- und Vogelschutzgebiet »Unterelbe« auszuweisen - letzteres fast 17.000 Hektar groß, mit der Kehdinger Marsch im Zentrum.

Damit war nun auch ein guter Teil der einstigen Elbwiesen hinter dem Deich geschützt. Theoretisch zumindest. Die Umwandlung vieler Wiesen in monotone Äcker konnte das nicht verhindern.

Fazit aus der Sicht des Naturschutzes: Während die öffentliche Hand und die Stiftung auf ihren Flächen viel Positives leisten konnten, nahm das ackerdominierte Agrarland in Privatbesitz eine klägliche Entwicklung. Und bei dieser gemischten Bilanz wäre es wohl auf absehbare Zeit geblieben, wenn, ja wenn die EU hier nicht am Ball geblieben wäre.

Landschaftsschutz reicht nicht
Denn sie hat gegen Deutschland ein »Vertragsverletzungsverfahren« angestrengt. Der Grund: Bis 2010 hätten die Bundesländer ihre FFH-Gebiete in nationales Recht überführen, sprich als Schutzgebiete mit eigener Verordnung ausweisen müssen. Dies ist an der Unterelbe bis heute nicht passiert. Da empfindliche Strafen drohen, muss das Versäumte eilig nachgeholt werden. Um das »wie« aber gibt es nun heftigen Streit.

Dazu muss man wissen: Die Bauern im Kehdinger Land sind ein eigener Menschenschlag. Sehr konservativ und - vorsichtig gesagt - dem behördlichen Naturschutz wenig aufgeschlossen. Darum plante der Landkreis Stade zuerst über Einzelverträge gewisse Schutzpflichten zu vereinbaren. Doch das hätte dem EU-Recht nicht genügt. Darauf kündigte der Kreis an, die Marsch als Landschaftsschutzgebiet (LSG) auszuweisen.

Was für manche Landwirte einer »kalten Enteignung« gleichkommt, geht dem BUND Niedersachsen längst nicht weit genug: »Der Schutzstatus eines LSG öffnet Tür und Tor für Jagd, Vergrämung und die industrielle Landwirtschaft. Wir fordern den Landkreis Stade auf, die Kehdinger Marsch in weiten Teilen als Naturschutzgebiet auszuweisen. Nur so können störungsempfindliche Brut- und Rastvögel geschützt werden.«

Beteiligung gefordert
Um das Neben- und Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft zu regeln, dringt der BUND auf einen detaillierten Managementplan: Wo soll was genau und wie geschützt werden? Entscheidend sei, das verbliebene Grünland zu sichern und hier nicht länger zu düngen und zu spritzen. Auch die Vollzugsdefizite im Ackerland müssten rasch beseitigt werden.

Der BUND fordert, dass sich der Landkreis Stade bald mit den Umweltverbänden an einen Tisch setzt. Nur so könne eine Regelung gefunden werden, die dem europäischen Rang der Kehdinger Marsch gerecht wird - und all den anderen schutzwürdigen Lebensräumen am Unterlauf der Elbe.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Überregional bedeutsam ist die Kehdinger Marsch (hier bei Freiburg) nicht nur wegen ihrer Vogelwelt, sondern weil sie noch weiträumig unzerschnitten ist.
  • Das FFH- und das Vogelschutzgebiet »Unterelbe« überlappen sich in weiten Teilen. Die Kehdinger Marsch bildet ihr Zentrum.
  • Der Wiesen-Alant und die Nonnen- oder Weißwangengans sind zwei typische Bewohner der Kehdinger Marschlandschaft.

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Quelle:
BUNDmagazin 4/2017, Seite 32 - 33
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Redaktion: Severin Zillich
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2018

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