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WALD/706: Luckys langer Weg zur Freiheit (WWF magazin)


WWF magazin, Ausgabe 4/2016
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Luckys langer Weg zur Freiheit

von Jörn Ehlers, WWF


Einst galten Luchse in Deutschland als ausgerottet. Heute leben die Raubkatzen wieder in einigen Wäldern - dank ambitionierter Wiederansiedlungsprojekte wie aktuell im Pfälzerwald.


Der Morgen war perfekt: ein strahlend schöner Sommermorgen auf einer Lichtung im Pfälzerwald. Der ideale Tag, um ein neues Leben zu beginnen - zumindest für Lucky, den ersten Luchs seit 140 Jahren auf pfälzischem Boden. Gemeinsam mit zwei Artgenossinnen aus der Slowakei wurde er Ende Juli nach zehnstündiger Autofahrt in der Nähe von Waldleiningen in die Freiheit entlassen.

Die Hoffnungen sind groß, dass die drei Luchse hier dauerhaft eine Heimat finden und eines Tages Teil einer vernetzten mitteleuropäischen Luchspopulation von Tschechien bis in die Vogesen und in die Alpen werden.


Glück im Unglück

Die Wiederansiedelung ist ambitioniert, doch sie kann gelingen. Neben dem WWF und der Brauerei Krombacher ziehen zahlreiche weitere Partner an einem Strang, um das von der Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz geleiteten Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Insgesamt stehen 2,4 Millionen Euro vor allem aus Mitteln des europäischen Förderprogramms LIFE Natur zur Verfügung. Viel Geld für die Wiederansiedlung eines Tieres, das lange Zeit brutal verfolgt und in Deutschland schließlich ausgerottet wurde.

Die finanziellen Fragen dürften Lucky weniger interessieren, der seinem Namen alle Ehre macht, denn er ist ein wahrer Glückspilz. Vor einigen Monaten war er noch dem Tode geweiht. Luchsmütter bekommen meist zwei bis drei Jungen, von denen aber selten alle das erste Lebensjahr überstehen. Lucky hätte es vermutlich nicht geschafft, doch slowakische Naturschützer fanden den Kleinen ohne Mutter, päppelten ihm im Zoo von Bojinice auf und bereiteten ihn für ein Leben in Freiheit vor. Aus dem selben Gehege stammen zwei weitere Katzen, die Lucky auf seiner Reise in die Pfalz begleiteten. Die dreijährige Kaja und die fünfjährige Luna. Sie sind ebenfalls Waisen, die schon länger in dem Zoo gelebt hatten und jetzt seit einigen Monaten in der Pfalz auf die Pirsch gehen.


Per Zufall nach Deutschland

Die Bedingungen für die drei sind ideal. Der Pfälzerwald ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands. Es grenzt direkt an die Vogesen. Hier gibt es Felsen und viel Unterholz, genau wie es Luchse lieben und verhältnismäßig wenig Straßenverkehr, der ihnen gefährlich werden könnte.

Dass die "slowakische Katzenbande" schließlich eine "GreenCard" nach Deutschland bekam, verdanken sie dennoch auch dem Zufall. Insgesamt sollen im Südwesten der Republik in den nächsten Jahren 20 Luchse aus der Schweiz und der Slowakei frei gelassen werden. Ursprünglich wollte man die Auswilderung mit Wildfängen beginnen, doch so ein Fang ist alles andere als einfach. Die bürokratischen Hürden sind hoch und die Quarantänevorschriften streng.

Nachdem die Fangversuche im Frühjahr gescheitert waren, fiel die Wahl schließlich auf Kaja, Luna und Lucky. Jedes der ausgesetzten Tiere trägt ein GPS-Halsband, um ihre Aufenthaltsorte verfolgen zu können und genaueres über die Lebensweise der scheuen Waldbewohner herauszufinden. Halsband, Sender und Batterie wiegen weniger als 300 g, also weniger als zwei Prozent ihres Körpergewichts. Die Halsbänder sind mit einer Sollbruchstelle versehen, so dass sie nach einiger Zeit von selbst abfallen. Offenbar haben sich die Pinselohren prima eingelebt. Sie sind eigenständig unterwegs, aber ihre Aktionsräume überlappen sich in einem etwa Zehn-Kilometer-Radius rund um den Freilassungsort. Die Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz berichtete von mehreren gerissenen Rehen. Auf dem Speiseplan stehen zudem kleinere Säugetiere wie Mäuse, Marder oder Hasen.

Die Luchse aus der Pfalz sind nicht die einzigen Pinselohren in Deutschland. Insgesamt wird ihr Bestand auf 60 bis 80 Tiere geschätzt. Allesamt sind Sprösslinge von wieder angesiedelten Tieren. Den Anfang machte in den 70er-Jahren der Bayerische Wald. Zwischen 2000 und 2006 wurden auch im Harz insgesamt 24 Luchse ausgesetzt. Von hier wanderten einige Tiere in andere Bundesländer etwa nach Hessen ab.

"Anders als Wölfe, die sich weit entfernte Lebensräume erschließen, wird der Luchs nicht von allein in Deutschland Fuß fassen", erläutert Moritz Klose, Wildtierreferent beim WWF. "Luchse gründen in der Regel nur dort ein eigenes Revier, wo andere Artgenossen vorkommen. Deshalb müssen wir nachhelfen."


Ein Luchs-Parlament für mehr Akzeptanz

Damit die kostspielige Wiederansiedelung glückt, muss vor Ort viel Informationsarbeit geleistet werden. Den Menschen vor Ort müssen unnötige Ängste genommen werden. Von Luchsen geht keine Gefahr aus: Es sind keine Fälle bekannt, in denen die schlanken Katzen Menschen angegriffen oder gar verletzt hätten. Trotzdem ist der heimliche Waldbewohner nicht überall gerne gesehen. Immer wieder werden Tiere abgeschossen oder vergiftet. Allein in Bayern wurden zwischen 2010 und 2016 mindestens fünf Luchse getötet. Weitere 14 Tiere gelten als verschollen. Auch im Harz machte kürzlich der Fall eines gewilderten Luchsweibchens Schlagzeilen.

Damit die Rückkehr der Luchse in der Pfälzerwald gelingt, wird die Freilassung mit Bildungsprojekten, und einem so genannten Luchs-Parlament begleitet. Darin diskutieren verschiedene Interessengruppen - vom Nutztierhalter bis zum Naturschützer - an einem Tisch mögliche Konflikte und den Fortschritt des Projekts. Auch ein Managementplan wurde vom Umweltministerium verabschiedet: Sollte ein Luchs tatsächlich einmal ein Schaf reißen, bekommt der Tierhalter den Schaden ersetzt. Die Klärung solcher Fragen ist wichtig, damit das neue Nebeneinander von Luchs und Mensch gelingt! Die Chancen dafür stehen gut. Der WWF hofft, dass Lucky, Luna und Kaja schon bald Gesellschaft von anderen Artgenossen bekommen oder im Idealfall selbst für Nachwuchs sorgen. Die Paarungszeit der Luchse beginnt im Februar. Man darf gespannt sein, wann die ersten Luchskinder durch das Unterholz des Pfälzerwalds tollen werden.


Was der WWF tut

  • Im Bayerischen Wald unterstützt der WWF bereits seit 2009 die Erfassung und Erforschung von aktuell etwa 20 Luchsen
  • Der WWF sorgt für Aufklärung: Neben seiner Bildungsmappe (wwf.de/bildung) unterstützt er den Einsatz von Luchs-Pädagogen in Schulklassen und Kindertagesstätten.
  • Weil immer wieder Luchse getötet werden, setzt sich der WWF für eine konsequentere Verfolgung dieser Fälle ein.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Neue Heimat: Im Pfälzerwald können im Verbund mit den Vogesen einmal bis zu 100 Luchse leben. Den Anfang machten im Juli Luna, Kaja und Lucky.
  • Auf dem Sprung: Einer der drei Jungluchse kurz vor seiner Freilassung in den Pfälzerwald.
  • Luchse in Deutschland: zwischen 80 und 120 Tiere - so schätzen Experten - sind derzeit in unseren Wäldern unterwegs.
  • Auf und davon: Erste Schritte in die Freiheit.

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Quelle:
Erstveröffentlichung im WWF magazin 4/2016, Seite 22-24
leicht redigierte Autorenfassung
mit freundlicher Genehmigung des Autors
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Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2016

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