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WASSER/218: Schützt die Ostsee (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 3/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Schützt die Ostsee

von Severin Zillich



Zum 51. Mal jährt sich in diesen Augusttagen der Bau der Berliner Mauer. Sie manifestierte die Teilung Deutschlands. Und sie verwehrte seit jenem Sommer 1961 der Mehrzahl der Deutschen den Zugang zu vielen der aufregendsten Küstenpartien, die unser Land zu bieten hat. Für beinahe drei Jahrzehnte blieb die Ostsee zwischen Lübecker Bucht und Usedom etwas, das die allermeisten Westdeutschen nur aus der Erinnerung oder vom Hörensagen kannten.
Auch die Bürger der DDR benötigten Glück oder (besser) gute Beziehungen, um für den Urlaub eines der "Ferienobjekte" und Betriebsheime an der Ostsee zugeteilt zu bekommen. Als Alternative boten sich nur die im Sommer überfüllten Campingplätze an. Und wer mehr als schwimmen wollte, brauchte eine Sondergenehmigung. Um Fluchtversuche zu verhindern, war es nur ausgewählten Personen erlaubt, auf der Ostsee zu segeln.
Mit dem Mauerfall rückte die Ostsee wieder stärker ins gesamtdeutsche Bewusstsein. Und das vor allem östlich von Travemünde: Wie vielfältig und naturbelassen präsentierte sich die Küste hier, von hoch aufragenden Kreidefelsen bis zu seichten Lagunen, "Bodden" genannt. Besonders unverfälscht zeigte sich die natürliche Dynamik in den zahlreichen Sperrgebieten entlang der Küste. Um die Klippen und Strände, Riffe und Sandbänke in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren, sicherte die letzte Übergangsregierung der DDR wenige Tage vor der Wiedervereinigung die schönsten Küstenabschnitte - mit den Nationalparks Jasmund und Vorpommersche Boddenlandschaft sowie dem Biosphärenreservat Südost-Rügen.
In weit geringerem Umfang hat sich die Natur an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins erhalten. Von der Insel Fehmarn nordwärts bis zur Flensburger Förde sind einige kleine Schutzgebiete ausgewiesen. Bedeutsamer als an Land zeigt sich die biologische Vielfalt hier unter Wasser. Ausgedehnte Miesmuschelbänke mit Büscheln von Braun- und Rotalgen bedecken den Grund des Fehmarnbelts und der Kadetrinne. Diese unterseeischen Gräben sind für die Ostsee wegen ihres Artenreichtums und ihrer Algenwälder von großer Bedeutung. Und sie bilden ihre Lebensader. Denn durch sie strömt frisches Salzwasser aus der Nordsee in die zentrale Ostsee.

Schön ist die Ostsee - und anfällig wie kaum ein anderes Meer. Lesen Sie in unserem Schwerpunkt, warum das so ist, wo die größten Gefahren lauern und wie sich der BUND für eine lebendige Ostsee einsetzt.
Mal süß, mal salzig

In den 20000 Jahren seit der letzten Eiszeit wechselte das Wasser der Ostsee mehrfach zwischen süß und salzig. Zuerst bildete sich ein riesiger Schmelzwassersee. Mit dem Rückzug des Eises strömte Meerwasser aus der Nordsee ein. Später hob sich das Land, der Zufluss versiegte, und die Ostsee süßte wieder aus. Mit steigendem Meeresspiegel drangen abermals große Mengen Salzwasser vor, und mit ihm viele typische Meeresbewohner. Doch weil sich das Becken der Ostsee weiter hob, verengte sich die Verbindung zwischen Nord- und Ostsee wieder. Salz- und sauerstoffreiches Meerwasser fließt heute nur noch über Skagerrak, Kattegat und die schmalen Durchlässe zwischen den dänischen Inseln zu. Regenwasser und über 200 Flüsse sorgen dafür, dass das Baltische Meer nach Osten zu immer weniger Salz enthält.
Mit dem Salzgehalt schwindet die Vielfalt mariner Arten - von den Rot- und den Braunalgen über die Muscheln bis zu den Fischen. An die Stelle von Dorsch oder Scholle treten in der östlichen Ostsee Arten des Süßwassers wie Zander, Barsch und Hecht.

Tote Zonen

Während das Wasser der Nordsee alle zwei Jahre komplett ausgetauscht wird, dauert dieser Prozess in der Ostsee bis zu 35 Jahre. Fatal macht sich dies vor allem dort bemerkbar, wo das Wasser viele Nährstoffe enthält. Dann können sich massenhaft Blaualgen vermehren, deren Abbau Sauerstoff zehrt und Schwefel freisetzt. Sinkt der Sauerstoffgehalt unter 2 Milligramm pro Liter, verschwindet praktisch jedes Leben. In tieferen Wasserschichten, die sich im Sommer kaum mit dem warmen Oberflächenwasser mischen, entsteht so ein Milieu, in dem nur noch Bakterien überdauern.
"Die Ostsee birgt die wahrscheinlich größte natürliche Todeszone der Welt", sagt Meeresgeologe Daniel Conley von der Universität im schwedischen Lund. Der periodische Sauerstoffmangel in den Tiefen der Ostsee ist zwar ein altes Phänomen. Doch weil seit Jahrzehnten unnatürlich viele Nährstoffe aus der Landwirtschaft in die Ostsee gelangen, weiten sich die lebensfeindlichen Bereiche stetig aus. 10 bis 20 Prozent der Ostsee gelten heute als Todeszone. Über diese und andere Gefahren für das Ökosystem Ostsee berichtet die Meeresschutzexpertin des BUND, Nadja Ziebarth, im folgenden Beitrag.

Marine Schutzgebiete...

Wo aber konzentriert sich das Leben in der Ostsee
? Einen Hinweis darauf geben die Meeresschutzgebiete vor der deutschen Küste, die zum europäischen Netzwerk "Natura2000" gehören. In der "Ausschließlichen Wirtschaftszone", 12 bis maximal 200 Seemeilen vor der Küste, sind dies Fehmarnbelt und Kadetrinne sowie östlich von Rügen vier FFH- und Vogelschutzgebiete (siehe Karte).
Die "Westliche Rönnebank" prägen muschelbewachsene Gesteinsblöcke. Das reichhaltige Nahrungsangebot und viele Versteckmöglichkeiten locken größere Fische wie den Dorsch und vereinzelt auch Schweinswale an, die in der Ostsee eine eigene Unterart bilden. Im Schlick des "Adlergrundes" verstecken sich zahllose Sandklaff- oder Herzmuscheln. Von ihnen ernähren sich im Winter Massen von Meeresenten. Gleiches gilt für die flache "Oderbank ", wo Schalentiere und Würmer für die Enten leicht erreichbar sind. Weil sie relativ flach ist, wird hier der Sauerstoff nie knapp. Die Oderbank dient vielen Lebewesen somit als Insel, von der aus sie sich in tiefere Bereiche der Ostsee ausbreiten können. Auch als Kinderstube für viele Plattfische und für die Wiederansiedlung des Störs spielt sie eine wichtige Rolle. Hier sollen die urzeitlichen Störe an Größe zulegen, bevor sie zum Laichen zurück in die Flüsse schwimmen.
Die "Pommersche Bucht" schließt als Vogelschutzgebiet auch die Oderbank und den Adlergrund mit ein. Sie bildet das wichtigste Überwinterungsgebiet für Hunderttausende von Eis-, Trauer- und Samtenten vor unserer Küste. Zur Brut ziehen diese Vögel nach Skandinavien, Sibirien oder noch weiter in die Arktis. Ähnliche Wanderungen vollziehen auch Pracht-, Stern- und Ohrentaucher.

... alleine reichen nicht

Die erwähnten Meeresgebiete sind zwar nach europäischem Recht geschützt. Bestimmte Eingriffe bedürfen hier einer speziellen Genehmigung. Nicht möglich aber ist es bislang, die starke Belastung der Gebiete durch die Fischerei und den Schiffsverkehr zu verringern.
Innerhalb der 12-Seemeilen-Zone, im deutschen Hoheitsbereich, sind neben den erwähnten Nationalparks und der Biosphäre Südost-Rügen viele weitere, oft kleinflächige Naturschutz- und Natura2000-Gebiete ausgewiesen. Wieder gilt: Gegen die größten Gefahren - die Überfischung und Überdüngung oder die Folgen einer Schiffskollision - bieten sie keinen Schutz. Hier werden deshalb nur solche Maßnahmen greifen, die den Lebensraum Ostsee als Ganzes dauerhaft schützen.
Über zwanzig Jahre nach der Grenzöffnung ist die Ostseeküste zur beliebtesten deutschen Urlaubsregion geworden. Von Flensburg im Norden bis Usedom im Osten lässt sich das "Mare balticum" auf vielerlei Weise erleben. Ob am Kieler Hafen oder am Badestrand in Travemünde, an der naturbelassenen Küste des Darß oder den Kreideklippen auf Rügen, beschaulich auf Fehmarn oder leicht mondän in den Seebädern auf Usedom: Die Ostsee präsentiert sich in den verschiedensten Gewändern. Und doch ist sie immer dieselbe, ein einziger großer Wasserkörper, ein einmaliges Ökosystem, das unseren Schutz sehr nötig hat.

Mehr zur Ostsee und zum BUND-Engagement für diesen Lebensraum unter
www.bund.net/ostsee



Die Ostsee in Zahlen
Größe
413.000 km², davon 15.435 deutsche Ostsee
Tiefe
durchschnittlich 52, maximal 459 Meter
Tidenhub in Deutschland
10 bis 15 Zentimeter
Salzgehalt
17 bis 8 Promille (von West nach Ost)
Schutzgebiete
15.531 km², davon 4.542 in der AWZ


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Gut, dass diese Assel hier kein Kulturfolger ist: Die Baltische Riesenassel lebt als Aasfresser am Meeresgrund und wird so groß wie ein Handteller
  • Unten links: Die Scholle kommt nur etwa bis Gotland vor, weiter östlich ist ihr das Wasser zu wenig salzhaltig. Unten rechts: Auch Braunalgen, hier besiedelt von Seeigeln, leben vor allem in der westlichen Ostsee.
  • Lage der Schutzgebiete in der deutschen Ostsee
  • Über die Hälfte der deutschen Ostsee diesseits (hellblau) und jenseits (dunkelblau) der 12-Seemeilen-Zone ist geschützt durch "Natura 2000" (gestreift).
    dunkelblau: 2.074 km²
    dunkelblau gestreift: 2.468 km²
    hellblau: 5.524 km²
    hellblau gestreift: 5.472 km"

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Quelle:
BUNDmagazin 3/2012, Seite 12-15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2012